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Nachruf Kurt BiedenkopfEin König für Sachsen

Ex-Ministerpräsident Biedenkopf gab den Sachsen wirtschaftliche Erfolge und Selbstbewusstsein. Den Rechtsextremismus unterschätzte er.

Kurt Biedenkopf beim Neujahrsempfang von Sachsens Ministerpräsident Kretschmann in Dresden, 2019 Foto: Max Stein/ronaldbonss/imago

Berlin taz | Der Mauerfall öffnete ihm eine zweite Karriere. Eigentlich war Kurt Biedenkopf Ende der 1980er Jahre komplett abgeschrieben. Das Verhältnis zu Helmut Kohl war zerrüttet, als Landesvorsitzender der CDU in NRW war er gescheitert – gegen die Übermacht der damaligen nordrhein-westfälischen Staatspartei SPD kam er, der immer ziemlich professoral wirkte, nicht an.

Arnold Vaatz, damals Bürgerrechtler und heute weit rechts in der CDU, holte ihn nach Sachsen, um einen ehemaligen Funktionär der DDR-Blockpartei CDU als Ministerpräsidenten zu verhindern. Es begann die Ära von „König Kurt“ als Ministerpräsident.

Biedenkopf holte drei Mal eine absolute Mehrheit für die CDU. Er verstand es, die Sehnsucht des konservativen Teils der Sächsinnen und Sachsen nach einer besonderen sächsischen Identität zu bedienen und dockte an die Vergangenheit des kleines Landes als Königreich an, was für ziemlich viele ältere BewohnerInnen bis heute wichtig ist. Zur Staatskanzlei machte er einen königlichen Protzbau an der Elbe, auf dessen Dach bis heute eine goldene Krone sitzt.

Für die Rolle als Sachsen-Versteher war hilfreich, dass er von 1938 bis 1945 nebenan in Sachsen-Anhalt aufgewachsen war, was er und sein Berater geschickt nutzten. Nach 1945 zog seine Familie zurück in den Westen.

Industriestandort reaktiviert

Sein Sensorium für die Schattenseiten des Landes nach der Wende war weniger ausgeprägt. Berüchtigt ist sein trotziger Ausspruch, dass die Sachsen immun gegen Rechtsextremismus seien. Das war im Jahr 2000, als die NPD bereits in zahlreichen Kommunalparlamenten saß und die Straßen der Kleinstädte in der Sächsischen Schweiz und im Erzgebirge – der Autor hat es selbst erlebt – abends den Skinheads gehörten.

Eisern hielt Biedenkopfs CDU-Regierung am Dogma fest, dass die „SED-Nachfolger“ von der PDS genauso schlimm – oder schlimmer – seien wie die, die rechtsaußen stehen. Das war die sächsische Variante der Hufeisentheorie.

Aber seine Popularität hatte auch einen Kern. Erfolgreich reaktivierte er die Tradition Sachsens als Industriestandort, er half bei der Ansiedlung der Chipindustrie in Dresden und machte sich für den sächsischen Standort von VW in Zwickau stark.

Linke Ideen angezapft

Der erfolgreiche Wirtschaftskurs lag auch an guten Leuten, die er in sein Kabinett holte – ein Talent, bei dem er Helmut Kohl ähnelte, der ihn, der schon mit 34 Jahren Professor für Wirtschafts- und Arbeitsrecht in Bochum wurde, in den siebziger Jahren in die Politik geholt und ihn 1973 zum CDU-Generalsekretär gemacht hatte. Kohl förderte mit Heiner Geißler, Biedenkopf und später Rita Süssmuth unabhängige Köpfe, die die intellektuell ausgetrocknete Partei wiederbeleben sollten.

Der Zeitgeist in der Bundesrepublik war damals klar links – das Trio setzte etwa nicht daran, die CDU als rechten Gegenpol zu verorten, sondern zapfte linke Ideen an und übersetzte sie für die CDU. Biedenkopf saß einer nach ihm benannten Kommission vor, die die betriebliche Mitbestimmung vorantreiben sollte und deren Vorschläge später in das Mitbestimmungsgesetz von 1976 einflossen.

Zusammen mit Geißler stellte er die „Neue Soziale Frage“ – und schuf damit ein neues Schlagwort. Es ging darum, Arbeitslose, RentnerInnen mit geringem Einkommen und alleinstehende oder nicht berufstätige Frauen, die in der Sozialpolitik bis dahin kaum mitgedacht waren, mehr in den Blick zu nehmen. Die CDU, bis dahin eher ein konservativer Honoratiorenclub, musste man plötzlich wieder ernst nehmen.

Als König Kurt war er ein (bei den meisten) beliebter, unangefochtener Ministerpräsident, zwanzig Jahre vorher ein scharfsinniger Analytiker, der Debatten mitprägte – nur wenige PolitikerInnen schaffen es, zwei so unterschiedliche Rollen in ihrem Leben auszufüllen. Am Donnerstag ist Kurt Biedenkopf in Dresden mit 91 Jahren gestorben.

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2 Kommentare

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  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an:

    “König Kurt

    Glückauf! Ja, ist denn heute schon Mittwoch? Oder war der Entzug für die Moderation nicht mehr auszuhalten?







    Bei spiegel online wurde fast kritisch aufgearbeitet. www.spiegel.de/pol...-912d-eb4b9c332e56 Es wurde auch auf die Funktionen von Vater und Schwiegervater hingewiesen."Um die [seine Ingrid] zu treffen, ist er schon mit elf Jahren [1941/1942?] jedes Mal 66 Kilometer geradelt...." Möglicheweise war das der einzige standesgemäße Umgang, den die Eltern erlaubten???“

  • Gute Reise - Kurt von Sachsen zu Biedenkopf -

    unterm——- btw but not only —-



    Selten feine Hofberichterstattung mittels Nachsichtbrille vander ahnungslos JunggästSchranzenart.



    Gunnar Hinck, 1973 in Stade geboren, studierte Politikwissenschaften, Publizistik und Öffentliches Recht in Göttingen und Uppsala und arbeitete als Redakteur für Innenpolitik bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle. Hinck lebt mittlerweile als freier Autor in Berlin. Perlentaucher



    Geißler - der Schwarzkontenführer -

    Willy Brandt warf ihm am 12. Mai 1985 vor, „seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land“ zu sein.

    Biedenkopf & Co - 🪖ts 🥬s Wadenbeißertruppe kritiklos als intellektuelle Truppe abfeiern ist schonn stark.



    Biedenkopf & Mitbestimmung? Wohl wat jung?



    Unvergessen die Kari: Zwei Molocher beugen sich über den offenen Motorraum einer schicken Limousine mit Gogomotor!



    “Und wieder mit dem rasanten Biedenköpfchen!“



    Jung - wat höbt wi lacht.



    Viel ist nicht hängengeblieben - wa! - beim Studium Generale - wa! Uppsalatata- Schade nach Göttingen & Stade - 🤪 -



    & => entre nous only !!! =>



    & Ok Ok - das alles doch recht fade:



    Mal einer außem Skat - Nu grade!



    Ließ sich der sparsame Landesvater - um den Landeshaushalt nicht weiter zu belasten - seine & familiäre Krankenkosten beihilfig 😎 vom Bund bezahlen! Wie das?!



    Das war ihm als ehemaliges Bundestagsmitglied - Däh! wahlweise! - eingeräumt! - 🙀😱 - 🤪. But.



    Als eine Kur!! auf Lanzerote des Ehegespensts - nicht den Gefallen der Bundesverwaltung fand. Fuhr König Kurt schwer hochdotiertes RA-Geschütz auf! Aber Hallo! & Däh!



    Die Schriftsätzeflut stoppte der KollegeVors mit dem fein formulierten Hinweis:



    Die Landesmutter sei sicherlich auch schwerst belastet! Newahr.



    Aber um eine sächsische Landesbeamtin handele es sich bei ihr wohl nicht!



    Nö. Normal nich.

    kurz - Selten ein Soufflé - so schon implodieren gesehen.



    (Kur => nur für Beamte • ;))