Andreas Speit Der rechte Rand: Wo der rechte AfD-Flügel weiter schlagen darf
Am kommenden Sonntag will die AfD unter dem Motto „Kinder schützen! Impfpflicht verhindern“ vor dem niedersächsischen Landtag in Hannover protestieren. Stephan Bothe bewirbt die Demonstration auf seiner Facebook-Seite. Das AfD-Landtagsmitglied greift die staatlichen Maßnahmen gegen die Pandemie ständig an. Er wettert gegen die „Pharma-Lobbyisten in den Altparteien“, die Maskenpflicht und mögliche Lockdowns und beklagt, dass es mehr Rechte für Geimpfte geben soll. Bei der Demo am Wochenende kann der AfD-Politiker mit all seinen Parteifunktionen auftreten. Der Bundesvorstand hatte sie ihm eigentlich entzogen, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg.
Erst im Juni erregte ein Treffen von AfD-Politiker:innen am 20. Februar in Verden die Aufmerksamkeit des Bundesvorstandes. Bothe steht mit weiteren AfD-Mitgliedern in Niedersachsen im Verdacht, den offiziell aufgelösten rechtsextremen „Flügel“ der Partei wieder aufzubauen. Seitdem das Bundesamt für Verfassungsschutz das Netzwerk um den Thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke als gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft hat, befürchtet die AfD als Gesamtpartei, diesem Verdacht zu unterliegen.
Die Sorge darum ist groß. Nach dem Treffen hatten mehr als 20 Kreisverbände in einem offenen Brief vom niedersächsischen AfD-Landesvorsitzenden Jens Kestner gefordert, sich eindeutig von der Wiederbelebung des parteiinternen „Flügels“ zu distanzieren. Alle Beteiligten sollten ihre Ämter und Mandate niederlegen, schreibt der Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Hannover, Dirk Brandes, der den Brief initiiert hatte. Ein Parteiausschlussverfahren gegen Stephan Bothe, der auch stellvertretender Landeschef in Niedersachsen ist, wurde eingeleitet. Eine Entscheidung steht noch aus. Die Ämtersperre ist inzwischen aufgehoben – durch Nichtstun. Denn die vom Bundesvorstand eingeleitete Sperre hätte das Landesschiedsgericht innerhalb einer Frist überprüfen müssen. Das parteiinterne Gericht beschäftigte sich jedoch nicht in der vorgegebenen Zeit damit. Durch Nichtbehandlung wurden auch die Ämtersperren gegen Uwe Wappler, ebenfalls AfD-Landesvize, und Bothes Mitarbeiter Nicolas Lehrke aufgehoben.
Bei dem mehrstündigen Treffen in Verden sollen sich die AfD-Mitglieder verbindlich über eine klandestine Parallelstruktur ausgetauscht haben – auch im Beisein des Bundestagsabgeordneten Armin-Paul Hampel. Tonaufnahmen von dem Treffen, die ein Parteimitglied aufgenommen und NDR und WDR zugespielt hatte, legen nahe, dass ein neuer „Flügel“ gegründet wurde. Der öffentlich-rechtliche Rechercheverbund zitiert aus dem Tondokument einen Teilnehmer, der gesagt haben soll: „Ich beglückwünsche uns dazu, dass wir die alten Flügel-Strukturen wieder reaktiviert haben.“ Diese Strukturen gingen „zu 100 Prozent“ an den AfD-Kreisverbänden „vorbei“. Die „gewählten Vertreter des patriotischen Lagers“ sollen über diese neuen Strukturen „Mehrheiten“ gewinnen. „Wir nennen es natürlich nicht so, wie es früher hieß, wir nennen das dann irgendwie anders“, zitieren WDR und NDR.
Andreas Speitarbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.
Dem Parteiausschlussverfahren sieht Bothe gelassen entgegen, sagte er unlängst. In das Verfahren ist wieder das Landesschiedsgericht involviert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen