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Der HausbesuchNordherz mit Münchner Klamotte

Jay Miniano ist auf den Philippinen geboren und wuchs in Flensburg auf. Heute lebt er mit seinem Mann in München. Dort fand er seine Passion: Drag.

In seiner Wohnung im Münchner Dreimühlenviertel: Jay Miniano Foto: Thomas Dashuber

Nicht immer ist es zielführend, das Leben zu planen. Jay Miniano hat das Talent, sich dem Schicksal in die Hände zu legen, und es kommt doch das raus, was er will.

Draußen: Von der stark befahrenen Auenstraße an der Isar geht es in einen ruhigen Hinterhof. Es hat geregnet. Die Bäume und Sträucher leuchten in sattem Grün. Das sechsstöckige Haus ist schlicht, die ockerfarbene Wand ohne Risse und Graffiti, etwas weiter hinten plätschert der Westermühlbach vorbei. Von dem großen Balkon hängt eine Regenbogenfahne, der Lavendel der Nachbarin könnte etwas Wasser vertragen.

Drinnen: Weiße Wände, schlichtes Flair. Jay Miniano wohnt hier mit seinem Mann. Sein Reich ist die schwarz-weiße Küche, es gibt „Sauwetter-Kräutertee“ aus einer gusseisernen Kanne. Immer wieder wird die Ordnung in der skandinavisch eingerichteten Wohnung durch Farbtupfer durchbrochen: Im schlichten Bücherregal liegen ein pinkes und ein weißes Diadem von der Hochzeit, etwas weiter oben ein paar gehäkelte Figuren – und in großen Buchstaben das Wort „Hamburg“. Chaos allerdings herrscht im kleinsten Zimmer: Dort stehen ein Dutzend Perücken, viele High Heels und riesige Koffer voller Make-up.

Damals: Miniano ist auf den Philippinen geboren. Mit fünf Jahren folgte er seiner Mutter nach Flensburg. Davor sei das Leben sehr einfach gewesen, „aber schön“. Er wuchs in einem philippinischen Dorf auf, verbrachte viel Zeit bei „Omma und Oppa“, wie der 35-Jährige mit plattdeutschem Zungenschlag sagt und: „Ich hatte viel Spaß, auch wenn wir nicht viel hatten.“ Doch die Jobs und vor allem das Geld waren in Deutschland. Das war die Hoffnung seiner Mutter. Und deshalb auch seine.

Jay Miniano liebt bunte Socken und Farbtupfer in der sonst schlichten Wohnung Foto: Thomas Dashuber

Zweifel: In Deutschland ging es geordnet und streng zu. Arzt oder Anwalt, das wären doch gute Berufe, mit viel Geld, das man in die Heimat schicken kann, war so eine Vorstellung, die in der Familie kursierte. Miniano war eines von drei Kindern in der Grundschule, das aufs Gymnasium durfte. Doch es folgte eine graue Zeit voller Selbstzweifel. In der 12. Klasse schmiss er hin, zog aus und begann bei H&M zu jobben, um sich über Wasser zu halten. Die Mappe fürs Modedesign-Studium wurde nie fertig, auch die Bewerbung für die Musical-Ausbildung an der Stage-School in Hamburg brach Miniano ab. „Mach erst mal was Ordentliches, mach nichts mit Kunst“, meinten seine Eltern.

Hamburg: Die Stadt wurde ihm irgendwann zu klein, die Selbstzweifel, die Enge. „Ich habe jeden Stein in Flensburg mindestens drei Mal umgedreht“, erinnert er sich. Also ging es nach Hamburg, zuerst wieder zu H&M und später zu TK Maxx. Dort arbeitete sich Miniano langsam hoch und machte so auch seine Mutter stolz, ganz ohne Studium. Doch der Alltagstrott war eigentlich nichts für ihn. Er wollte kündigen – sein Chef schickte ihn stattdessen zu einer Filialeröffnung in München.

München: „Hier kennt mich niemand, ich kann machen, was ich will.“ Das ist der beflügelnde Gedanke, den Miniano in München hegte. Zu Recht. Denn er entdeckt Neues, das gelebt werden muss. Eigentlich wollte er nur drei Monate bleiben, um die Mitarbeitenden in der TK-Maxx-Filiale einzulernen. Doch dann traf er Uli. Der war in einer Beziehungspause mit seinem damaligen Partner. Perfekt für Miniano, er sei schließlich nur kurz da. Es kam anders.

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Heimat: Als sich Miniano entschied, in München zu bleiben, ließ er sich sein erstes Tattoo stechen, einen Anker am linken Unterarm. Er soll ihn erden. Mit der Zeit kam ein Kompass dazu, weil er immer nach Norden zeigt, eine Meerjungfrau, eine Qualle. „Mein norddeutsches Herz wird immer lauter schlagen“, erzählt er. „Ich habe nur eine Münchner Klamotte drüber.“

On-Off-On: Im September 2016 zog Miniano also richtig nach München, es folgte ein Auf und Ab der Gefühle. Die Beziehung mit Uli zerbrach, dann fanden sie wieder zusammen, so ging das eine Weile. Doch eigentlich war ihm klar, dass diese Liebe halten wird. „Deswegen konnte ich da auch relativ geduldig sein“, sagt Miniano. „Uli wusste es halt noch nicht.“ Irgendwann war Schluss mit dem Hin und Her. 2019 machte ihm Uli einen Heiratsantrag, im August 2021 feierten sie ihr Einjähriges.

Drag: Auf dem Christopher Street Day 2017 in München verguckte sich Miniano vor allem in die Dragqueens. Zwölf Monate, ein 120-Euro-Einkauf und drei Stunden vor dem Spiegel später verwandelte er sich das erste Mal. „Ich sah aus, als hätte ich mich nur fünf Minuten geschminkt“, sagt Miniano heute. Aber es hat sich genau richtig angefühlt. Er macht weiter. Für seine Mutter war das zuerst befremdlich. Wolle er nun eine Frau werden? „Nein, das will ich nicht. Ich liebe es, auch Jay zu sein“, sagt er. „Für mich ist das ein Hobby, ein Job.“ Sein Drag-Name ist Pinay Colada. Ein Wortspiel: Pinay wird informell für weibliche Filipina verwendet.

Der CSD 2018 war das Debüt von Pinay Colada (links) Foto: Thomas Dashuber

Wettbewerb: Bald nahm Miniano beim Dragqueen-Contest im Münchner Nachtclub Harry Klein teil, der erste richtige Auftritt als Pinay Colada. Sie trug „typische Sitzschuhe“, in denen man kaum tanzen konnte, deshalb performte sie barfuß weiter – und machte trotzdem den zweiten Platz. „Pinay Colada ist keine erfundene Person, sondern eine Erweiterung von mir“, sagt Miniano. Sie ist lauter, etwas mutiger. Und sie kriegt viel Aufmerksamkeit. „Das genieße ich als Jay natürlich mit.“

Zweites Wohnzimmer: Spätestens nach dem Auftritt im Harry Klein war klar: Das ist Passion. Miniano reduzierte seine Stelle bei TK Maxx, begann einen Make-up-Kurs an der Kosmetikschule Schöner in München. Die Chefin sah etwas in ihm, fragte, ob er nicht Dozent werden wolle. Er wollte und bekam im September 2020 nach einer Einarbeitung seine erste eigene Klasse. So verbinden sich seine Leidenschaften: Er kann Leuten etwas beibringen, wie damals im Einzelhandel, und gleichzeitig seine Kreativität zum Ausdruck bringen.

Sein dürfen, wer man ist: Die Make-up-Schule ist für Miniano zum ersten Mal ein Ort, wo er sich nicht verstellen muss. „Mir wird keine Feindseligkeit entgegengebracht: Ich laufe mit Nagellack rum, manchmal habe ich einen Fetisch-Gurt an oder einen bunten Ohrring“, erzählt er. „Ich kann da wirklich ein bisschen verrückter sein. Ich muss mich nicht verstellen.“

Erst die richtige Perücke macht die Verwandlung zu Pinay Colada perfekt Foto: Thomas Dashuber

Feindseligkeiten: Probleme gibt es eher außerhalb dieser sicheren Räume. Einmal, als Miniano einen weiblichen Look trug, wurde er auf der Straße von einem Mann gecatcalled, der ihn wohl für eine Frau hielt. Als er mit bewusst tiefer Stimme antwortete, schlug die Stimmung sofort um. Eine Bierflasche flog. „Ich habe sie halt gefangen“, sagt er, „und zurückgeworfen.“ Miniano meint, er könnte sich immer irgendwie wehren, auch wenn es die hohen Schuhe nicht einfacher machten. Uli wäre es lieber, wenn er sich öfter ein Taxi nähme.

Unfertig: Als Pinay Colada verwirklicht sich Miniano, und es darf noch mehr werden. „Vielleicht werde ich doch mal ein berühmter Dragqueen-Serienstar, who knows?“, sagt er. Einen Anfang machte er in der Sitcom „The Drag and Us“, die auf ZDF Neo läuft. Dort spielt er eine Dragqueen in einer Nebenrolle. Doch Corona hat ihm viele Aufträge vermasselt. Dennoch: er weiß um seine vielen Standbeine und es gibt ihm Sicherheit. Perfektionismus ist nicht das Ziel. Außer vielleicht beim Make-up, zumindest ein wenig.

Familie: In Zukunft möchten Miniano und sein Mann ein Kind adoptieren, dafür arbeitet er gerade an seinem nächsten Projekt. In seinem Zimmer soll eine Liege einziehen, damit er dort Massagen, Sugaring, Enthaarung also, und Augenbrauen- und Wimpernstyling anbieten kann. Er wäre, da er mit Kind mehr in der Wohnung sein müsse, „sonst zu Hause irgendwann so gelangweilt“. Miniano ist dankbar für alles, was passiert ist. Gerade auch, weil er ein Bild davon hat, wie es den Menschen auf den Philippinen geht, schätzt er sein Leben hier: „Das ist bei mir kein Spruch in einem Poesiealbum.“

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