Situation für Geflüchtete: Mehr als Luftbrücke

Für unsere_n Autor_in bedeutet „Refugees Welcome“ mehr als nur eine Luftbrücke. Sondern auch einen sicheren Aufenthaltsstatus für Flüchtende.

Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen

Das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen Foto: Stefan Sauer/dpa

Es jähren sich die rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen. Vom 22. bis zum 26. August 1992 tobte der völkische Mob vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber_innen und vor dem Sonnenblumenhaus, in dem ehemalige Vertragsarbeiter_innen aus Vietnam lebten. Die Polizei kam zu spät, verzog sich zwischendurch, erschien mit zu wenig Personal. Das staatliche Versagen erlaubte, dass die Ausschreitungen vier Tage dauerten. 3.000 Deutsche standen daneben und applaudierten vor der brennenden Unterkunft, als sei Silvester.

Wenn ich sage „Refugees Welcome“, dann meine ich nicht nur eine Luftbrücke nach Kabul, sondern auch einen sicheren Aufenthaltsstatus für Flüchtende und die Einigung darauf, dass sich so etwas wie in Rostock niemals wiederholen darf. Doch es hat sich bereits zu oft wiederholt, in den 1990ern, aber auch nach 2015. Wenn sich aus dem häufig genannten Jahr etwas nicht wiederholen darf, dann der Anstieg von Gewalt gegen Geflüchtete. Oder das Verschwinden Tausender geflüchteter Kinder.

Jede zweite cis Hetera, die ich kenne, ist gerade schwanger oder hat in den letzten 18 Monaten ein Kind geboren. Ich habe nichts gegen Kinder, ganz im Gegenteil. Ich bin dafür, dass alle, die Kinder wollen, welche bekommen, und dass alle, die nicht wollen, auch nicht müssen und im Falle einer ungewollten Schwangerschaft einen sicheren Zugang zu Abtreibungen bekommen. Das sollte selbstverständlich sein, doch das ist es nicht. In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche nicht per se legal und in manchen Orten müssen Menschen für eine Abtreibung mehrere hundert Kilometer fahren.

Am 17. September wollen Abtreibungsgegner_innen in Berlin aufmarschieren. Zum Glück gibt es feministischen Gegenprotest, der trotz staatlicher Repression unermüdlich wie ein heller Stern am Himmel durch diese düsteren Zeiten leitet. Reproduktive Gerechtigkeit und körperliche Selbstbestimmung sind keine Nice-To-Haves, sondern Must-Haves. Wer die Taliban verurteilt, muss auch hier für die Rechte von FLINTA einstehen.

Dazu zählt nicht nur, verhüten und abtreiben zu dürfen, sondern ein Kind zu gebären und es behalten zu dürfen. Das führt zurück zum Sonnenblumenhaus. Während die DDR gelobt wird, im Vergleich zu Westdeutschland fortschrittlicher in puncto Abtreibung gewesen zu sein, wird ein Detail häufig übersehen: Für vietnamesische Vertragsarbeiter_innen gab es keine reproduktiven Rechte. Ihnen drohten Abschiebungen, wenn sie ihre Schwangerschaften nicht abbrachen.

Zur reproduktiven Gerechtigkeit gehört aber auch das Recht, in relativer Sicherheit aufwachsen zu können. Es kann immer etwas Unvorhersehbares passieren, doch es gibt Gefahren, über die wir als Gesellschaft mehr Kontrolle haben: Klimawandel oder strukturelle Gewalt. Das wirkt sich auf die Lebensqualität und -erwartung aus. Wollen wir wirklich über Kinder als etwas nachdenken, was Leute sich leisten können müssen?

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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