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Klima, Umverteilung, MietenHeiße Wochen bis zur Wahl

Wer geht wofür in den nächsten Wochen auf die Straße? Den Überblick gibt es hier im taz-Protest-Poesiealbum zwischen zivilem Ungehorsam und Großdemos.

Protest auf und von der Straße: Demo am 27.06.2021 in Berlin-Kreuzberg gegen Zwangsräumungen Foto: M. Golejewski/AdoraPress

Extinction Rebellion – Klimablockaden

Forderungen: In einem Wort: Weltrettung! Diverse Klimainitiativen rufen zu einer Woche des zivilen Ungehorsams auf, um für einen „ganzheitlichen Wandel für soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit“ zu protestieren. Wirklich festlegen, was das bedeutet, will die Gruppe aber nicht. Das überlässt sie einem Klimarat, der die Demokratie aus dem Joch der fossilen Lobby befreien soll – selbstverständlich ergebnisoffen. Die Idee: Zufällig ausgewählte Bür­ge­r:in­nen legen – von Ex­per­t:in­nen und Betroffenen beraten – fest, was für die Rettung der Welt nötig ist. Eine Exekutive, die entschlossen handelt, brauche es aber trotzdem, heißt es.

Mobi-Potential: Aufgrund der konspirativen Natur einer Besetzung lassen sich die meisten Aktionen wohl nicht öffentlich ankündigen. Die Bewegung selbst rechnet mit bis zu 2.000 Ak­ti­vis­t:in­nen – bei der Großdemo könnten es auch mehr werden.

Illustration: Miriam Rech

Radikalität: Zum Auftakt der Protestwoche soll am Montag ein Platz in der Mitte Berlins besetzt werden – weitere Aktionen des zivilen Ungehorsam sind für die gesamte kommende Woche geplant. Doch auch für Menschen, die sich nicht von der Polizei wegtragen lassen wollen, gibt es Angebote: Am Dienstag ist um 14 Uhr (Startpunkt Willy-Brandt-Haus) ein großer Klimaprotestzug geplant, am Freitag könnte eine Fridays-for-Future-Demonstration folgen. Die Webseite informiert hoch professionell über das Subversionslevel einer jeden Aktion; von „angemeldet“ bis „anketten“. Wie viel Klimaaufstand es sein soll, ist also je­dem:r selbst überlassen.

Parteienkompatibiltät: Obwohl zumindest das Reden über die Klimakrise mittlerweile Mainstream ist, bleibt die Bewegung außerparlamentarisch. Überschneidungen gibt es höchstens mit Teilen der Grünen und der Linken.

Drei Fragen

Reform oder Revolution? „Rebellion! Mit der zeitgleichen Schaffung der gesellschaftlichen Strukturen, so wie wir sie uns für eine solidarische und gerechte Gesellschaft vorstellen.“

Von einer grünen Regierung erhoffen wir uns? „Keine leeren Phrasen, sondern eine Politik, die der Unabwendbarkeit der Klimakatastrophe gerecht wird und alles daran setzt, das zu verhindern, was noch möglich ist.“

Sind Straßenblockaden nicht reine Symbolpolitik? „Ja, sind sie: Es ist symbolischer Widerstand um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Sobald wir 10.000 Menschen sind, beginnt die eigentliche Rebellion.“

Demonstration: 17. 8., 14 Uhr, Wilhelmstraße 14

Wer hat der gibt – Umverteilungsdemo

Forderungen: Den Reichtum der Reichen umverteilen! Konkret besteht das Programm, das den Kapitalismus abschaffen soll, aus einer ganzen Menge Steuern: Einer Vermögenssteuer, einer Vermögensabgabe, höheren Spitzensteuersätzen, einer EU-weiten Unternehmenssteuer und effektiveren Erbschaftssteuern. Neben der Vergesellschaftung des Gesundheitswesens und der Immobilienkonzerne natürlich.

Mobi-Potential: Zur Berliner Demonstration des bundesweiten Aktionstages wird wohl mindestens eine vierstellige Teil­neh­me­r:in­nen­zahl erscheinen.

Illustration: Miriam Rech

Radikalität: Keine Sorge! Nicht etwa der Griff der Massen zum Gewehr, sondern die demokratische Vergesellschaftung schafft den Sozialismus her – wobei die Initiative das S-Wort selbst gar nicht gebraucht. Aber sie erklärt klar, dass im Kapitalismus der Reichtum der einen auf der Arbeit der anderen basiert. Um hierauf hinzuweisen, zieht sie gerne durch die Reichenviertel dieses Landes.

Parteiennähe: Die Demo wird so links, wie die Linke manchmal vorgibt zu sein, aber eigentlich gar nicht mehr ist.

Drei Fragen

Reform oder Revolution? „Reform bis zur Revolution! Unser Ziel ist und bleibt eine gerechte Gesellschaft für alle. Das wäre eine Revolution, wird aber andauernde Kämpfe benötigen. Wir fordern daher auch aktuell umsetzbare Verbesserungen der Lebensumstände.“

Von einer grünen Regierung erhoffen wir uns? „Zumindest klimapolitische Sofortmaßnahmen. Letztlich wird ein Kapitalismus mit ökologischen Antlitz die soziale Schieflage nur weiter zuspitzen. Unsere Hoffnung ist der politische Druck aus der Bevölkerung – und nicht irgendeine Regierung.“

Was regelt der Markt am besten? „Dass Reiche immer reicher werden. Das funktioniert sehr reibungslos. Dabei ist der freie Markt ein Mythos. Bankenrettung oder Subventionen für Atom- und Kohlekonzerne sind Ausdruck politischer Machtverhältnisse, keine Naturgesetze.“

Demonstration: 21. 8., 14 Uhr, Urban-Kranken­haus

Unteilbar – Solidaritätsdemo für alle

Forderungen: Ein großes „Wünsch dir was“ aus einer besseren Welt: friedlich, gerecht, ökologisch, menschlich. Unteilbar bringt alles auf die Straße. Hier demonstrieren Gewerkschaften und So­zi­al­ak­ti­vis­t:in­nen für bessere Arbeitsbedingungen und Umverteilung, Antirassismusinitiativen für Seenotrettung und gegen die AfD, Bürgerrechtsgruppen für Grundrechte und Datenschutz, Friedensbewegte gegen Aufrüstung und Krieg. Zusammengefasst formuliert Unteilbar: „Wir fordern andere politische Prioritäten.“

Foto: Miriam Rech

Mobi-Potential: Wer endlich mal mit Kindern und Oma auf eine Demo gehen will, ist hier richtig. Für alle ist etwas dabei, nur Klaustrophobiker sollten sich fernhalten. Es wird voll.

Radikalität: Seit der ersten vom Republikanischen AnwältInnenverein RAV initiierten Unteilbar-Demo im Oktober 2018 gleicht die Un­ter­stüt­ze­r:in­nen­lis­te einem Alphabet der sozialen Bewegungen, vom Allgemeinen Behindertenverband bis zum Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. In Großplena mit Großorganisationen, die bis ins bürgerliche Milieu reichen, ist kein Platz für Revolutionsromantik. Behutsam gilt es alle mitzunehmen und niemanden zu verärgern. Das gilt auch für Corona: Steigen die Inzidenzen, verzichtet man womöglich noch auf eine Demo, sondern verteilt sich stationär auf verschiedene Orte.

Parteiennähe: Rot-Rot-Grün auf der Straße. Unteilbar ist die Vision einer progressiven Mitte-links-Koalition, in der die SPD nicht als Bremser allen Fortschritt verhindert. Angesichts drohender CDU-Erfolge ist das für viele sicher die beste der zurzeit vorstellbaren Welten. Nicht zuletzt für jene innerhalb der Parteien, die noch Gestaltungsansprüche jenseits der Konservativen haben. Die Linke versteht sich explizit als Teil von Unteilbar; die Grünen haben mit Landes- und Bundesstrukturen den Aufruf unterschrieben. Die SPD ist immerhin mit zwei Bezirks- und dem Berliner Landesverband dabei.

Drei Fragen

Reform oder Revolution? „Als breites Bündnis haben wir diverse Ansätze gesellschaftlicher Veränderung – und sind uns doch einig: Wir wollen ein besseres Leben für alle Menschen, eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus, Armut und Ausgrenzung. Ist das schon revolutionär?“ (Nein – Anm. d. Red.)

Von einer grünen Regierung erhoffen wir uns? „Wie von jeder anderen Regierung auch, dass sie den Druck von der Straße ernst nimmt – und machen als Zivilgesellschaft klar: Wir lassen nicht zu, dass soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Klimaschutz gegeneinander ausgespielt werden.“

Ist Bündnisgröße Ausdruck inhaltlicher Beliebigkeit? „Im Gegenteil, sie zeigt, dass unsere Kämpfe zusammengehören!“

Demonstration: 4. 9., 13 Uhr, Mitte

Mietenwahnsinn – Demo gegen Verdrängung

Forderungen: „Bundesweiter Mietendeckel. Wohnungskonzerne enteignen. Wohnungen für alle.“ Drei Forderungen, kein Geschwafel – und der Versuch, originär Berliner Themen auf Bundesebene zu heben.

Illustration: Miriam Rech

Mobi-Potential: Das eher linke Aktionsbündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn und das etwas bürgerliche, etwa von Mieterbund und DGB getragene Bündnis Mietenstopp, das die Aussetzung von Mieterhöhungen für sechs Jahre fordert, mobilisieren gemeinsam bundesweit nach Berlin – und haben dafür wohl so einige ideologische Unterschiede überbrückt. Dazukommt die Kampagne DW enteignen. Deren eingeübte Propagandamaschinerie wird die Chance nutzen wollen, der Demo ihren gelb-lilafarbenen Stempel aufzudrücken.

Radikalität: Dass Berlins Mie­te­r:in­nen noch nicht zur Forke gegriffen und die Spekulanten aus der Stadt gejagt haben, kann als Zivilisierungsfortschritt gewertet werden – oder als Ausdruck verlorengegangener Fähigkeit zur Rebellion. Je nach Perspektive. Immerhin will man mittels DW enteignen Spekulanten doch noch aus der Stadt heraus entschädigen. Es bleibt also zivilisiert. Eine Wiederholung der Rangeleien mit der Polizei nach der Demo, die als Reaktion auf der Verfassungsgerichtsurteil zum Mietendeckel zum Kotti zog, ist nicht zu erwarten.

Parteiennähe: Mit Parteien wollen viele, vor allem aus der Berliner Mie­te­r:in­nen­be­we­gung eher nichts zu tun haben, zumindest nicht offiziell. Gerade radikal-linke Bündnisakteure sind sauer auf Rot-Rot-Grün. Nicht wegen des gescheiterten Mietendeckels, dieser Versuch wird durchaus anerkannt, sondern wegen der Räumungen vieler alternativer Projekte vom Syndikat bis zur Liebig 34. Doch die Macht des Faktischen macht die Linke zum Partner der Herzen. Die nämlich wirbt für eine „Mietenwahl“, unterstützt als einzige konsequent das Enteignungs-Volksbegehren und fordert auch den bundesweiten Mietendeckel. Man kann sich seine Freunde eben nicht immer aussuchen.

Drei Fragen

Reform oder Revolution? „Durch den massiven Verkauf von Grundstücken und Wohnungen haben Bundes- und Landesregierungen aber die Macht, den Wohnungsmarkt regulieren zu können, an private Investoren abgegeben. Ein Veränderung der Lage für Mietende ist ohne Veränderung des Machtgefüges nicht möglich.“

Von einer grünen Regierung erhoffen wir uns? „Die Grünen changieren zwischen mieterfreundlichen Ideen und einer kaum gebremsten Huldigung von Wirtschaftswachstum und Investition. Wie sie eine Verhandlungsmasse gegen rein profitorientierte Wirtschaftsvertreter aufbauen wollen, wird spannend.“

Wer empört sich noch, wenn der Wahnsinn Normalzustand ist? „Leid, Angst und Ausbeutung treibt die Menschen so weiterhin auf die Straße.“

Demonstration: 11.9., 13 Uhr, Alexanderplatz

Gemeinsam auf die Straße – Enteignungsdemo

Forderungen: Macht heil, was euch kaputtmacht! Das Bündnis für Rekommunalisierung und Enteignung mit dem Allerweltsnamen „Gemeinsam auf die Straße“ fordert das Ende der neoliberalen Politik des Einsparens und Privatisierens. Die Schuldenbremse muss weg und die Gerhardschröderisierung öffentlicher Güter ebenso. Die Privatwirtschaft soll eine ordentliche Schelle von der öffentlichen Hand bekommen. Klatschen (kein Applaus) soll es überall, wo es eine Versorgungsschieflage gibt: Gesundheitssystem, Wohnungsmarkt, Wasserversorgung, Bildungssystem und der S-Bahn.

Radikalität: Sagen wir mal so: Einen schwarzen Block wird es nicht geben. Barrikaden und brennende Autos ebenso wenig. Dafür vermutlich Unterschriftenlisten und vielleicht verteilt sogar jemand die Rote Fahne.

Mobi-Potential: Die Ber­li­ne­r:in­nen haben keinen Bock mehr auf neoliberale Politik auf ihrem Rücken, wie die breite Unterstützung der Krankenhausbewegung und 360.000 Unterschriften für Deutsche Wohnen und Co enteignen zeigen. Insofern dürfte es voll werden.

Illustration: Miriam Rech

Parteienkompatibiltät: Die halbe Linke sammelt Unterschriften, die paar linken Grünen und ein paar idealistische Sozen kommen vielleicht auch, wenn keine „Sachzwänge“ im Weg stehen.

Drei Fragen

Reform oder Revolution? „Unsere Initiative will die Unterstützung für die Enteignung der Immobilienkonzerne – was die größte Reform des Jahrhunderts im Wohnungsbereich wäre – sowie den Kampf für mehr Personal im Krankenhaus und den Protest gegen die drohende Privatisierung der S-Bahn und gegen Kürzungen nach der Wahl zusammenführen. Dafür heißen wir alle willkommen, die eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft jenseits des Kapitalismus anstreben.“

Von einer grünen Regierung erhoffen wir uns? „Die grüne Verkehrssenatorin hat die Teilprivatisierung der S-Bahn vorangetrieben. Ramona Pop weist schon jetzt auf knappe Kassen hin. Auch eine grün geführte Regierung muss sich auf unseren Widerstand einstellen.“

Was wollt ihr eigentlich nicht verstaatlichen? „Private Konzerne haben in allen Bereichen der Daseinsvorsorge Verschlechterungen gebracht. Preise wurden erhöht, Service gekürzt, der Ausbau der Netze dem Profit unterworfen und nicht nach Bedarf geregelt. Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens führt tagtäglich zur Patientengefährdung. Wo es die ganze Gesellschaft betrifft, ist öffentliches Eigentum entscheidende Voraussetzung, um Profitlogik auszuschalten. Doch auch in öffentlichen Einrichtungen wurden Löhne gedrückt und Dienste verschlechtert. Hier braucht es Investitionen und einen Ausbau demokratischer Entscheidungsmöglichkeiten.“

Demonstration: 18. 9., 14 Uhr, Washingtonplatz

Fridays for Future – Globaler Klimastreik

Forderungen: Suchen Sie sich was aus: 1,5 Grad. Überleben der Menschheit. Klimakipppunkte verhindern. Einhaltung der Pariser Klimaziele. Kurzum: Alle, die nicht mit einem Klammerbeutel gepudert sind (sagt man das noch?), logisch denken können und wissenschaftliche Fakten akzeptieren oder schlichtweg keinen Bock haben abzusaufen, bei einem Waldbrand draufzugehen oder von einem Tornado weggetragen zu werden, müssten die Forderungen der weltweiten Klimabewegung unterschreiben – und entsprechend handeln.

Illustration: Miriam Rech

Radikalität: Oszilliert irgendwo zwischen „Too cool for school“ und „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle!“

Mobi-Potential: Weltweiter Streik. In Berlin könnte es sechsstellig werden: Nach den mittlerweile alljährlichen Ex­tremwetterereignissen des Sommers und der verheerenden Flut in NRW gehen wirklich alle Vernünftigen auf die Straße.

Parteienkompatibiltät: FFF ist natürlicheine Schüler:in­nen­be­we­gung mit grünem Anstrich. Allerdings sind ihre denklogischen Schluss­folgerungen anschlussfähig, menschheitsrelevant und überlebenswichtig. Insofern sollte jede Partei, die zumindest vorgibt, vernünftige und zukunftsorientierte Politik machen zu wollen, sich den Forderungen anschließen. Es sind also alle dabei außer CDU, FDP und AfD.

Drei Fragen

Reform oder Revolution? „Langfristig müssen wir uns fragen, ob wir in unserem derzeitigen System die anstehenden Herausforderungen wirklich bewältigen können oder ob wir einen Wandel brauchen. Die Herausforderungen durch die Klimakrise sind erschlagend, daher brauchen wir zum einen jetzt Maßnahmen, und zum anderen langfristige Pläne.“

Von einer grünen Regierung erhoffen wir uns? „Wir verbinden mit allen Regierungen die Erwartung, dass sie eine klimagerechte Zukunftsvision umsetzen. Um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, müssen hier auch die Grünen über ihren Schatten springen, sonst ist keine klimagerechte Welt möglich!“

Ist die Welt gerettet, wenn FFF ein eigenes Bundesministerium hat? „Nein, die Klimakrise ist eine globale Herausforderung. Wir haben in Deutschland eine große Verantwortung, zu handeln, diese ist aber mit einem Ministerium nicht erfüllt. Wir brauchen den Druck von der Straße, um die Politik zum Handeln zu bringen, um eine Wende einzuleiten, um Klimagerechtigkeit einzufordern! Deswegen braucht es uns als Bewegung und nicht als Ministerium, ohne uns passiert nichts!“

Demonstration: 24. 9., 12 Uhr, Brandenburger Tor

Diese Texte sind Teil eines dreiseitigen Schwerpunktes aus der taz.berlin-Wochenendausgabe vom 14./15. August 2021.

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