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Kabarettistin Jäger über Bodyshaming„Der Humor stirbt zuletzt“

Auf der Bühne und in Büchern verarbeitet die Hamburgerin Nicole Jäger erlebte Verletzungen. Ihr hat geholfen, offen und laut darüber zu reden.

Sieht Humor als Kommunikationstool: Nicole Jäger Foto: Miguel Ferraz
Jan Freitag
Interview von Jan Freitag

taz: Frau Jäger, wie definieren Sie Scham?

Nicole Jäger: Oha! Als ein sehr einnehmendes, sehr schwieriges Gefühl, das fast nirgendwo wirklich Platz hat.

Also ein rein destruktives, kein positives?

Wenn Sie die hilfreiche Scham meinen, nicht nackt durch die Mönckebergstraße zu laufen, ist es vor allem ein bremsendes, blockierendes Gefühl, sich für das zu schämen, was man ist oder wie man aussieht. Opfer sollten nie Scham empfinden oder sich sonst wie schuldig fühlen für das, was Täter ihnen antun. Scham und Schuldgefühle machen da stumm.

Kann man Ihr publizistisches Werk, in dem Sie Ihr Innerstes ständig nach außen kehren, dann so verstehen, dass Sie sich an Ihren Scham- und Schuldgefühlen von Bodyshaming bis Mangel an Selbstwert abarbeiten?

Abarbeiten klingt so negativ, irgendwie protestantisch, aber natürlich arbeite ich unablässig daran. Schon vom feministischen Gesichtspunkt aus, den man ja als Frau im Kampf um Selbstbestimmung grundsätzlich einnehmen sollte. Aber auch aus der Perspektive meines Andersseins, über das immer irgendwie komisch gesprochen wird. Insofern bringe ich alles relativ laut auf die Bühnen, weil leise zu sein mich als jemand, der in einer toxischen Beziehung gesteckt hat, nur blockieren würde. Da sind wir wieder bei der Scham, die uns daran hindert, Potenziale zur Entfaltung zu bringen.

Wobei Sie nicht nur in aller Öffentlichkeit laut über sehr Persönliches wie Ihre Beziehungen oder den eigenen Körper reden, sondern sich dabei geradezu nackig machen und alles, wirklich alles auf den Tisch packen.

Weil es nötig ist! Bevor ich „Unkaputtbar“ geschrieben habe, saß ich oft zu Hause, habe mich selbst in Gesellschaft wahnsinnig allein gefühlt und dachte, der einzige Mensch zu sein, dem das in dieser Art geschieht. Ich bin so aufgewachsen, dass Opfer immer schwach sind und immer die anderen sind. Deshalb dachte ich, mir geht’s doch gut, mich kann das nie betreffen. Als es das dann doch tat, bin ich am Ende meiner toxischen Beziehung, die einen psychisch und physisch völlig zermürbt hinterlässt, trotz meines beruflichen Erfolges erst mal verstummt.

Offenbar nur kurz.

Ja. Weil ich mir vor Augen hielt: Wenn es mir mit diesem harten Upfuck schon so furchtbar ergeht – wie soll es Frauen in schlechterer Position in wirtschaftlicher Abhängigkeit mit Kindern da erst gehen. Da wurde mir klar, offen und laut darüber reden zu müssen. Wenn nicht ich, wer dann?

Im Interview: Nicole Jäger

39, geboren und aufgewachsen in Hamburg-Eimsbüttel, ist Kabarettistin, Komikerin, Podcasterin („Ponyhof und Mittelfinger“) und Autorin. In Ihrem Selbsterfahrungsbericht „Unkaputtbar“ erzählt sie von toxischen Männerbeziehungen und was sie daraus gelernt hat. Das Buch, Jägers drittes, erscheint am 17. August (Rowohlt Polaris, 256 S., 16 Euro; E-Book 12,99 Euro).

Aber wer ist dann der Adressat Ihrer publizistischen und komödiantischen Offenheit, in der es permanent um Ihre Verletzungen geht: Sie selbst als Teil einer öffentlichen Eigentherapie – oder all die anderen meist weiblichen Opfer im Publikum?

Sowohl als auch. Mit Humor als Schwert und Schild. Denn der war nie ein Stilmittel, sondern mein wichtigstes Kommunikationstool, das ich seit jeher benutze. Ich bin so. Trotzdem nutze ich es natürlich, um anderen etwas mitzuteilen. Der Mensch hört nämlich dann am besten zu, wenn er gut, am besten positiv unterhalten wird. Je schlimmer das Thema, desto angebrachter ist Humor, denn er öffnet die Ohren – und zwar nicht nur von denen, die zum Beispiel Opfer von Bodyshaming sind, sondern auch der Täter. Doch obwohl Kunst in jeder Form für mich Heilung bedeutet, kann Sie niemals Therapie-Ersatz sein.

Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, Sie setzen Ihre vorherige Tätigkeit als Coach irgendwie in Buch- und Bühnenform fort.

Ganz falsch ist das nicht. Gesellschaftskritische Comedy hat ja generell den Anspruch, Dinge durchs Ansprechen zu verbessern, und das gelingt ihr schon deshalb leichter, weil sie schnell ein paar Hundert Leute pro Abend erreicht, während es beim Coaching einer pro Stunde ist. Beim Signieren höre ich dann oft, wie mein Programm die Menschen inspiriert. Dass sie sich Ihrem Partner endlich mal wieder nackt zeigen oder leicht bekleidet unter Leute trauen zum Beispiel. Mein Publikum glaubt mir, weil ich genauso wenig perfekt bin wie sie, aber mich trotzdem auf die Bühne traue.

Weil Schwäche zeigen die neue Stärke ist?

Finde ich schon. Wobei Schwäche zu zeigen schon immer von Stärke gezeugt hat, aber darin von Konventionen unterdrückt wurde. Das belegen ja schon all die dramatischen Kunstwerke, die oft aus Emotionen wie Trauer, Enttäuschung, Leid entstanden sind und erzählen, dass das Leben nun mal einen harten linken Haken hat und wehtut, aber mit Kunst, besonders der komischen leichter verständlich wird. Reden hilft immer, und Tragik ist Komik in Spiegelschrift – stimmt schon, das Sprichwort.

Ich fühle mich – hier spreche ich allerdings nur von mir persönlich – von all den Dick-Pics, die ich kriege, nicht mal richtig belästigt. Die sind einfach affig

Aber war Ihre Komik zu einer Zeit, als die Scham Sie noch stärker im Griff hatte, nicht auch ein bisschen das Pfeifen im Walde, also eher Panzer als Leichtigkeit?

Die lustige Dicke ist ein sehr beharrliches Klischee, aber bei mir war es tatsächlich schon immer so. Mein Vater meinte zu mir, du brauchst weder teure Klamotten noch Statussymbole, sondern ein starkes Rückgrat und ein loses Mundwerk. Humor ist deshalb für mich immer das erste und letzte Mittel der Wahl, um mich mitzuteilen. Die Hoffnung stirbt zuletzt – da glaube ich nicht dran; der Humor stirbt zuletzt.

Lacht kaputt, was euch kaputt macht.

Dann macht er dich heile! Deshalb bedeutet mir ein lachendes Publikum auch viel mehr als ein applaudierendes, denn Lachen ist echt. Magic Super Power!

Aber kann Lachen nicht auch die Ernsthaftigkeit so einlullen, dass sie verloren geht?

Manchmal ist Humor auch Eskapismus, keine Frage. Aber selbst das finde ich voll okay, denn Humor und Ernst schließen sich nie aus. Sie bedingen einander und sorgen gerade gemeinsam für ein besseres Verständnis komplizierter Probleme. Humor legt den Finger in die Wunde, ohne richtig wehzutun.

Trotzdem kriegen Männer in Ihrer künstlerischen Arbeit unablässig Saures. Üben Sie dabei auch ein wenig Rache?

Nein, schon weil ich das Konzept der Rache nie verstanden habe. Ich bin größer als Rache. Und Humor ist es sowieso. Männer – und seltener Frauen – stellen sich in emotionaler Hinsicht oft so saukomisch bescheuert an, dass es nach Comedy förmlich schreit.

Ihre Dick-Pic-Witze darf man also nicht zu ernst nehmen?

Doch, das darf man. Aber ich fühle mich – hier spreche ich allerdings nur von mir persönlich – von all den Dick-Pics, die ich kriege, nicht mal richtig belästigt. Die sind einfach affig. Deshalb mach ich darüber Witze, keine Therapien. Rache verleiht der Täterseite Aufmerksamkeit, die sie nicht verdient.

Sie kann aber auch als psychiatrisch verordneter Boxsack dienen, in den man seine Wut prügelt.

Durchaus, aber ich funktioniere so nicht. Ich versuche mittlerweile mehr, auf mich selbst als andere Bezug zu nehmen.

Dennoch schreiben Sie im Buch, es seien „immer ERs, die meine Geschichte prägen“ – also Männer.

Weil die in der Tat unfassbaren Einfluss auf mich ausgeübt haben. Meine Ehe ist daran kaputt gegangen, dass mein Mann nicht akzeptieren konnte, weniger im Rampenlicht zu stehen und zu verdienen. Ich bringe Geld nach Hause, bin viel unterwegs, lasse ihm alle Freiheiten, doppeltes Einkommen, keine Kinder, und er fühlt sich kas­triert? Wie bescheuert ist das denn! Obwohl ich durch einen extrem dominanten Vater vorgeschädigt bin, lasse ich mich aber von dominanten Männern mittlerweile weniger prägen.

Was prägt Sie dann? Wer „Unkapputtbar“ liest, könnte meinen, es sei Ihre Heimatstadt Hamburg, der Sie darin fast eine Liebeserklärung machen.

Schön, dass Sie das da herauslesen. Ich bin Hamburgerin aus Leib und Seele. Aber was mich noch mehr prägt, ist die Kunst. Denn die hat mich aus allem rausgeholt. Ich saß mal im Rollstuhl, ich war mal wohnungslos, hatte Minderwertigkeitskomplexe – alles auch überwunden dank meiner Kunst, die mir endlich das Gefühl gab, etwas wirklich gut zu können, damit sogar Geld zu verdienen und nebenbei alles aufarbeiten zu können. Mein nächstes Bühnenprogramm wird auch von häuslicher Gewalt handeln.

Und wie macht man die witzig?

Wirste sehen!

Ist Humor für Sie eine Art Heimatersatz? Im Buch schreiben Sie, nirgends jemals ganz zu Hause gewesen zu sein.

Ich bin in der Tat tausendmal umgezogen, habe ständig die Stadt gewechselt und war rastlos, ohne jemals irgendwo anzukommen. Bis ich gemerkt habe, ohne Hamburg nicht sein zu können. Deshalb ist das Haus hier in Winterhude zum ersten Mal so was wie ein Zuhause. Hier riecht es nach mir, hier sieht es nach mir aus, hier bin ich safe. Aber stimmt schon – auch der Humor, die Kunst sind Heimaten für mich. Licht aus, Mikro an, alles gut.

Klingt fast, als wären Sie glücklich.

Eher zufrieden. Glück wird überschätzt, das ist in der Regel nicht langlebig. Ich fühle mich zurzeit in meinem eigenen Leben willkommen und bei aller Unvollkommenheit voll in Ordnung und angenehm verletzlich.

Angenehm verletzlich?

Wer sich aus freien Stücken verletzlich zeigt, bietet kaum befriedigende Angriffsflächen zum Reinschlagen, das macht sogar Hasskommentare im Internet erträglich.

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