piwik no script img

Volksentscheid Berlin autofrei„Viele haben die vielen Autos satt“

Donnerstag übergibt Berlin autofrei die gesammelten Unterschriften dem Innensenator. Sprecher Manuel Wiemann ist zuversichtlich.

Autoverkehr auf dem Kaiserdamm in Berlin, Mai 2021 Foto: dpa
Interview von Claudius Prößer

taz: Herr Wiemann, wie viele Unterschriften hat die Initiative Berlin autofrei zusammenbekommen?

Manuel Wiemann: Das können wir leider noch nicht sagen, wir wollen ja keine falschen Zahlen in die Welt setzen. Aber wenn wir alle Listen bis Donnerstag ausgezählt haben und bei der Innenverwaltung einreichen, werden wir unsere Zählung bekannt geben.

Im Interview: Manuel Wiemann

Pressesprecher für den Volksentscheid Berlin autofrei, lebt außerhalb des S-Bahn-Rings und pendelt 45 Minuten zur Arbeit nach Mitte.

Reichen wird es ja wohl?

Davon gehen wir aus, sonst hätten wir die Sammlung ja nicht vorzeitig beendet.

Welche Reaktionen haben Sie beim Sammeln erlebt?

Die waren unterschiedlich, aber in der Regel sehr positiv. Ganz viele kannten „Berlin autofrei“ schon und haben ohne Rückfrage unterschrieben. Das war für uns überraschend, weil wir ja ganz neu auf der politischen Bühne waren und uns ohne Rückendeckung einer NGO oder einer Partei Gehör verschaffen mussten. Viele Berlinerinnen und Berliner haben gesagt, dass sie unser Anliegen teilen und mehr Lebensqualität auf den Straßen wollen. Sie haben die vielen Autos satt und möchten eine Veränderung sehen. Und viele sind enttäuscht vom Senat, dass wir zwar dieses wunderbare Mobilitätsgesetz haben, sich davon aber fast nichts auf der Straße wiederfindet.

Gab es auch Gegenwind?

Natürlich haben wir nicht von allen eine Unterschrift bekommen. Wobei es auch Menschen gab, die nicht ganz verstanden haben, dass wir „autofrei“ als Schlagwort verwenden, aber natürlich „autoreduziert“ meinen. Sprich: Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, können weiterfahren. Das hat zu Missverständnissen geführt, die wir aufklären mussten.

Hätten Sie Ihr Anliegen anders kommunizieren müssen?

Wir haben uns dazu im Vorfeld Gedanken gemacht, und ich glaube, es war genau richtig so, weil „autofrei“ ein eingängiger und kurzer Begriff ist. Alles andere wäre unklar und schwer zu greifen gewesen. Wir werden evaluieren, wie wir damit weitermachen.

Die meisten schweren und tödlichen Verkehrsunfälle entstehen durch Lkws. Den Lieferverkehr verbannt Ihr Gesetzentwurf nicht aus der Stadt. Bringt er so wirklich das entscheidende Mehr an Sicherheit?

Grundsätzlich stimmt die Beobachtung, aber einerseits haben wir ja als Nebenforderung flächendeckendes Tempo 30 in der Stadt. Das erhöht die Verkehrssicherheit schon einmal generell. Und andererseits entstehen die bekannten schweren Abbiegeunfälle ja nur in Situationen, in denen die Lkw-Fahrer:innen die Straße nicht gut einsehen können, etwa weil Autos bis an die Kreuzung herangeparkt wurden. Das verändert sich, wenn es weniger parkende Autos gibt.

Das Volksbegehren

Am 25. April hatte sie die Unterschriftensammlung für die Zulassung eines Volksbegehrens gestartet: Dann hatte die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ sechs Monate Zeit, um mindestens 20.000 BerlinerInnen zur Unterschrift zu bewegen. Schon nach der Hälfte der Zeit war man nun der Ansicht: Es reicht. Am Donnerstag sollen die Listen der Senatsinnenverwaltung überreicht werden, im Umfeld der Initiative ist von rund 40.000 gesammelten Unterschriften die Rede.

Ziel des von „Berlin autofrei“ vorgelegten Gesetzentwurfs ist, „die Umweltzone von nicht notwendigem Autoverkehr“ zu befreien. Dazu sollen alle landeseigenen Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings zu „autoreduzierten Straßen“ umgewidmet werden, auf denen grundsätzlich nur der Umweltverbund aus Fuß-, Rad- und Nahverkehr unterwegs sein darf. Über die Bundesstraßen wie die B1 und die B96 hat das Land keine Verfügungsgewalt.

Der Gesetzentwurf unterscheidet nicht zwischen Verbrenner- oder Elektroautos. Ausnahmen soll es für alle Fahrten mit öffentlichen Belangen, Lieferverkehr und Taxis geben, ebenso für mobilitätseingeschränkte Menschen oder Menschen, die etwa geltend machen können, dass sie einer diskriminierten Gruppe angehören und sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen. Für alle anderen soll vorerst eine begrenzte Anzahl privater Fahrten erlaubt sein.

Während der Senat die entstehenden Kosten auf „mehrere hundert Millionen Euro“ schätzt – unter anderem, weil der ÖPNV massiv ausgebaut werden müsste –, spricht die Initiative selbst von „einmalig 0,62 Millionen“ und „jährlich rund 5 Millionen Euro“. Dem stünden jährliche Einsparungen in Höhe von rund 425 Millionen Euro gegenüber. (clp)

Ein Teil der Bergmannstraße in Kreuzberg ist kürzlich radikal umgestaltet worden. Es gibt dort jetzt einen Zweirichtungs-Radweg und eine Restspur für Autos, aber nur in eine Richtung und mit Schwellen unterbrochen. Sieht für Sie so die ideale Straße aus?

Unser Gesetz adressiert mit dem gesamten S-Bahn-Ring einen sehr großen Bereich, da wird am Ende jede Straße anders aussehen müssen. Auch bei einer deutlichen Reduktion des Autoverkehrs wird es einige Straßen geben, über die der restliche Verkehr weiterfährt. Daneben kann es Durchfahrtsperren wie in den Kiezblocks geben. Es kann wie in der Bergmannstraße aussehen oder auch wie auf der verkehrsberuhigten Friedrichstraße. Das lässt sich stadtplanerisch am besten vor Ort unter Beteiligung der Menschen entscheiden. Die können gemeinsam überlegen: Wollen wir mehr Platz für Cafés, wollen wir Platz für Radwege oder breite Fußwege?

Apropos Umgestaltung des Straßenraums: Zur Gruppe derer, die laut Ihrem Gesetz weiter Auto fahren können, gehören mobilitätseingeschränkte Menschen. Da wurde schon bei der Bergmannstraße Kritik laut, die könnten den Kürzeren ziehen – beispielsweise können die meisten von ihnen nicht mal eben fünf Straßen zum Parkhaus laufen oder brauchen das Taxi direkt vor der Haustür.

Wir sagen ja bewusst, dass wir den Autoverkehr und damit auch den stehenden Verkehr reduzieren, aber nicht komplett abschaffen wollen. Damit muss es natürlich auch weiterhin Raum für Taxis geben oder Parkplätze für mobilitätseingeschränkte Menschen oder Handwerker und Handwerkerinnen. Für all das braucht es weiterhin Platz, aber deutlich weniger als aktuell.

Andere Gruppen sollen ebenfalls Ausnahmegenehmigungen erhalten – weil ihr Weg zur Arbeit oder ihr Heimweg mitten in der Nacht stattfindet oder sie im öffentlichen Raum Gefährdungen ausgesetzt sein können. Ist es nicht unglaublich aufwendig für eine Verwaltung, solche Ansprüche zu prüfen?

Ich bin mir sicher, dass das möglich ist. Bei diesen Personen soll es Genehmigungen mit festen Plaketten für drei Jahre geben. Das ist ein einmaliger Prüfaufwand, der sich am Anfang vielleicht ballt, aber langfristig leicht umsetzbar ist. Wir haben uns gut überlegt, wie wir den Aufwand insgesamt möglichst gering halten können, und das Charmante an unserem Gesetz ist ja, dass wir gar keine baulichen Maßnahmen brauchen. Es reichen ein paar Schilder, die anzeigen, wo der autoreduzierte Bereich beginnt.

Und die 12 erlaubten Fahrten, die man online beantragen muss?

Die Menschen in der Innenstadt können einfach losfahren, ohne auf eine Genehmigung zu warten – die Behörden sind es, die entscheiden, wie häufig sie die Nutzung überprüfen. Der Kniff unseres Gesetzes liegt aber darin, nach dem Grund der Fahrt zu fragen. Das ist ein völlig neues Herangehen in der Verkehrsdebatte. Zu fragen, ist diese Fahrt wirklich notwendig? Ist es gerechtfertigt, dass eine Person so viel Platz einnimmt, Feinstaub erzeugt und ein Sicherheitsrisiko darstellt?

Aber ist Ihr Entwurf nicht so radikal, dass er am Ende zum Scheitern verurteilt ist? Bei einem Volksentscheid dürfte er die Autofahrenden extrem mobilisieren. Dann wäre alles umsonst gewesen.

Wir sind sehr optimistisch, dass Berlin bereit ist, in der Verkehrswende einen Schritt weiterzugehen, dass es weltweit Vorreiter sein kann bei der Frage, wie eine Großstadt lebenswerter wird. In Berlin besitzt ja nicht mal jeder zweite Haushalt ein Auto. Und von allem, was ich selbst erlebt und von anderen Sammlern und Sammlerinnen mitbekommen habe: Die Mehrheit der Passantinnen und Passanten unterschreibt. Ich bin da sehr zuversichtlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Als Radfahrerin und zeitweilige BVG Nutzerin stehe ich dem Volksbegehren positiv gegenüber.

    Was ich nicht nachvollziehen kann ist diese Rechtfertigungsmanie bei der Beantragung einer Fahrt - wer nur 12 Fahrten erlaubt macht doch vollkommen klar, das jede Fahrt gut überlegt sein will. Sprich: sollte wer so dringend den Kopf frei kriegen müssen das die Person glaubt dafür eine von 12 Fahrten hergeben zu müssen, dann mag das anderen absonderlich erscheinen - es muss aber sachunabhängig möglich sein und geht die Verkehrsverwaltung nix an.

    Das moralische Gängelband passt überhaupt nicht zum ansonsten so konstruktiven und auf Maß bedachten Autofrei-Begehren.

    12 Fahrten auf 365 Tage sind ein klarer Schnitt, chillt mal ... der Rest geht niemand was an.

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Wie , es soll nach dem Grund der Autofahrt gefragt werden, und damit ist nicht nur das Hinweisschild- Nur für Anlieger- gemeint? Ich denke diese Herangehensweise zeigt den Kontrollzwang von bestimmten Politikern, die im öffentlichen Raum am liebsten an jeder Ecke Kameras installieren möchten, frei nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Ich verstehe ein Stück weit diese Forderung. Allerdings scheint mir das insgesamt als völlig unausgegoren.



    Wir leben in einer Großstadt und nicht im Lummerland. Hauptverkehrswege kann man nicht mit Tempo 30 belegen.



    Es wird zwar kräftig auf den Straßen gemalt aber die kaputten Radwege sind immer noch da!



    Die BVG erhöht weiter ihre Preise!



    Es werden keine zusätzlichen und v.a. bezahlbare Parkhäuser gebaut. Es werden - jahrelang gefordert - keine P+R Parkplätze an den S-Bahn-Stationen gebaut.



    Es gibt keine wirklichen Direktiven der Arbeitgeber mit Öffentlichen zur Arbeit zu kommen. Auch dazu brauchte es P+R-Plätze.



    Die Bewohner Berlins bestehen nicht ausschließlich aus Menschen bis 30, die gerne Radfahren.



    Kreative Vorschläge anstatt Verbote sind nötig!

    [...] Beitrag gekürzt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

  • Dass man für den Grund von Privatfahrten dem Staat gegenüber rechenschaftspflichtig sein soll, ist in der Tat "ein völlig neues Herangehen in der Verkehrsdebatte."

    Wie man sich das wohl in der Praxis vorstellen muss?

    Wenn jemand z. B. sagt, er sei zu seiner Oma gefahren, um sie zu besuchen, hat damit ja noch nicht die Notwendigkeit der Fahrt dargelegt, sondern muss dann auch noch darlegen, wieso der Besuch notwendig war.

    Und wer zu einer politischen Versammlung gefahren ist, muss angeben, was das für eine Versammlung war. Dann braucht der Staat keinen Verfassungsschutz mehr, sondern kann einfach die Verkehrsdaten auswerten, um zu gucken, wer wo mitmacht. Und die Notwendigkeit der Fahrt kann dann danach beurteilt werden, ob man zu einer vom Staat geschätzten oder zu einer weniger geschätzten Gruppe gefahren ist.

    Laut Artikel kann man auch angeben, man gehöre zu den "Menschen, die etwa geltend machen können, dass sie einer diskriminierten Gruppe angehören und sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen." Da kann sich eigentlich so ziemlich jeder etwas einfallen lassen. Ob das dann nachgeprüft werden soll? So, dass die Behörde auch sagen kann, die betreffende Gruppe sei ja gar nicht diskriminiert? Das könnte spannend werden.

  • Mich erinnert das an die "Tribute von Panem". Berlin hat eine hervorragende Infrastuktur, der Lieferverkehr ist weiterhin erlaubt und die Stadt erhält als Länderfinanzausgleich pro Person fast 1000€ pro Jahr.