Ausstellung in Wien: Kunst mit Hand und Fuß
In der Wiener Galerie Hubert Winter trifft Künstlerin Birgit Jürgenssen auf Designerin Cinzia Ruggeri. Beide eint die Auseinandersetzung mit Mode.
Die Auszeichnung als artist’s artist bedeutet für den Künstler das zwiespältige Vergnügen, vom breiten Publikum, vom Kunstmarkt und auch der Kunstkritik weitgehend übersehen, gleichzeitig aber besonders geschätzt zu werden, von den Kollegen, die das Werk inspiriert.
Birgit Jürgenssens (1949–2003) Status als artist’s artist änderte sich, als Gabriele Schor 2004 die Kunstsammlung des österreichischen Energieunternehmens Verbund aufbaute und dabei in großem Stil ganz gezielt die Arbeiten der österreichischen Fotografin und Zeichnerin ankaufte.
Damit trat neben Hubert Winter, den Galeristen, der ihrem Werk verbunden war, ein großer Sammler auf den Plan und mit ihm kam die Öffentlichkeit. Deren Interesse fand zunächst eine Ausstellung am Firmensitz in Wien 2009. Und im Jahr darauf die Ausstellung „Donna: Avanguardia Femminista Negli Anni 70“ in Rom. In ihr wurde Birgit Jürgenssen als eine kardinale Protagonistin des weiblichen künstlerischen Aufbruchs der 1970er Jahre vorgestellt.
Neben dem Publikum, dem Sammler und dem Galeristen gab es dann noch den Künstler Maurizio Cattelan, berühmt für seine figurativen plastischen Arbeiten wie den von einem Meteoriten getroffenen Papst Johannes Paul II. („La Nona Ora“, 1999) oder den klein, kindlich und fromm in der Ecke knienden Adolf Hitler („Him“, 2001), bekannt aber auch dafür, sich doch sehr weitgehend von den Künstler:innen inspirieren zu lassen, die ihn interessieren, wie etwa Vanessa Beecroft oder Francesca Woodman.
Idiosynkrasie und Ironie
Im Jahr 2010 entpuppte sich dann die Schwarz-Weiß-Fotografie „Nest“, die in der ersten Ausgabe der Kunstzeitschrift TAR als neue Arbeit Cattelans vorgestellt wurde, als die alte Arbeit „Nest“ von Birgit Jürgenssen. 1979 hatte sie sich ein Vogelnest mit zwei kleinen Eiern in den Schoß gelegt, dessen scheinbare Nacktheit durch eine banale Nylonstrumpfhose mit dickem Bund verdeckt wurde.
Dass nach Francesca Woodman Birgit Jürgenssen Cattelans Interesse erregte, war keine Zufall. Beide verstorbenen Künstlerinnen eint ein Werk, das erkennbar durch feministische Fragestellungen motiviert ist, auf die beide künstlerisch extrem provokative und einfallsreiche Antworten finden. Dabei waren sie auf leisen Sohlen unterwegs, traten also alles andere als agitatorisch auf.
Bis 28. August, Galerie Hubert Winter, Breite G. 17, 1070 Wien
Idiosynkrasie und Ironie sind wesentlich für ihr Werk, in dem sie vor allem ihren Körper und seine Accessoires als Projektionsfläche für die Kritik an der kulturellen Konstruktion von Weiblichkeit nutzten. Bei allem Ärger in der „Nest“-Affäre imponierte Hubert Winter und Natascha Burger vom Estate Birgit Jürgenssen Cattelans Wertschätzung und Faszination mit der Kunst von Jürgenssens.
Man kam ins Gespräch und bald führte der italienische Künstler für den Katalog der 2019 über mehrere europäische Stationen wandernden Ausstellung „Birgit Jürgenssen. Ich bin“ ein fiktives Interview mit der Künstlerin. Es endete mit der Frage: „Warum sind Sie schon gestorben?“, und diese Frage war kein Vorwurf, in ihr lag nichts als Bedauern.
Emanzipatorischen Auseinandersetzung durch Mode
Diesem Jammer lässt sich bei einer Künstlerin durch die Aufarbeitung ihres Nachlasses entgegenwirken. Tatsächlich ist Cattelan jetzt ins Archiv der Estate gegangen. Dort nahm er Jürgenssens’ Spur als „Frau mit den Schuhen“ auf. Diesen Ruf hatte sie weg, nachdem sie durch ihre zeichnerischen und plastischen Untersuchungen des Damenschuhs bekannt geworden war.
In dieser Werkreihe hatte sie die fetischistischen und zynischen Fantasien, die der Schuh hervorruft, auf die Spitze getrieben, veralbert oder einfach nur sinnfällig dekonstruiert, wie etwa in der Zeichnung „Stütze“ (1967), in der der High Heel wie das Kreuz erscheint, an das die Frau erotisch gefesselt ist.
Cattelan erkennt über diesen Werkkomplex hinaus das Thema Mode als wichtigen Bezugspunkt der feministisch-emanzipatorischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft im künstlerischen Werk von Birgit Jürgenssen.
Daher stellen Cattelan und Marta Papini, die 2022 auf der Biennale von Venedig mit deren Leiterin Cecilia Alemani die Ausstellung „Le muse inquiete“ im Zentralpavillon der Giardini organisiert, ihr Cinzia Ruggeri (1942–2019) an die Seite, in der von ihnen kuratierten Galerieausstellung „Einsam sind alle Brücken“ bei Hubert Winter. Ruggeri bewegte sich in den 1960er Jahren in Mailands radikaler Designszene und arbeitete etwa mit Studio Alchimia zusammen.
In Kleidung und Raum hat der Mensch täglich seinen Auftritt
Im Jahr 1977 gründete sie ihr eigenes Modelabel, wobei sie die Modeschauen als aufwendige Performances gestaltete, entsprechend Andy Warhols Diktum von 1974, Modeschauen seien die neue Kunst.
Mit den Übertreibungen ihrer surrealen Handschuhobjekte und der in ihnen steckenden Ironie scheint sie ähnlich zu argumentieren wie Jürgenssen. Ruggeri zielt mit ihren Objekten und Entwürfen auf den architektonischen Raum, wie die zwei mal ein Meter messende schwarze Samthand gleich zu Beginn der Schau zeigt, aber auch eine schwarze samtbezogene Chaiselongue in Form einer abstrahierten menschlichen Figur. In Kleidung und Raum hat der Mensch alltäglich seinen Auftritt.
Wahrscheinlich funktionieren Ruggeris einfache Formexperimente auch jetzt so gut, weil wir mehr denn je erleben, wie sehr – je nach der geschlechtlichen Identität des Menschen – dieser Auftritt, mit den Freiheiten, die er sich nimmt, und den Grenzen, die er wahrt, den libidinösen und kommunikativen Zusammenhalt unserer patriarchalen Gesellschaft irritiert.
Jürgenssen interessieren die kollektiven Fantasien der Mode, ihre untergründigen, unheimlichen Quellen, ihr totes, morsches Material, ihre Raubzüge am schönen Tier, dessen Raubtierunterkiefer ihrem „Relict Shoe“ (1976) seine Form gibt. Ihre Auseinandersetzung mit Kleidung zielt auf den Raum der Gesellschaft, wenn sich bei ihr Kunst und Design verbünden, um einen Konsumartikel wie die Strumpfhose modisch auf die Höhe der Zeit zu bringen.
Die Laufmasche als gesellschaftliches Stigma
Freilich – ihr Paket mit ihren „24 Sketches for the Wolford Company“ (1988) kam von der Firma ungeöffnet zurück. Im letzten Raum der Ausstellung werden sie nun zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Ergeben die staubigen Pfoten des Hundes, der einen freudig anspringt, bei ihr ein reproduktionswertes Strumpfmuster, wird es bei der Laufmasche schon bedenklicher.
Wie die Frauenmagazine wussten, verwandelte einen die Laufmasche ja sofort in eine Schlampe, weswegen Jürgenssen in ihr den Blitz der Erkenntnis sah. Sie ließ ihn dann ganz naturalistisch am vielbeschworenen Frauenbein hinabfahren und an der Fessel in einem Tannenwäldchen einschlagen. Noch deutlicher wurde Jürgenssen beim Thema unrasierte, haarige Frauenbeine.
Den aus den Schaufenstern bekannten transparenten Displaybeinen zog sie nicht wie sonst die Strumpfhose an, sondern steckte in ihr hohles Inneres ein pelziges Tierbein samt Pfote und setzte darunter den Satz aus Antoine de Saint-Exupérys „Kleiner Prinz“: „Man kennt nur die Dinge, die man bezähmt.“
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