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Beitrag der IT-WirtschaftKlimaretter Digitalisierung

Gastkommentar von David Wortmann

In der Digitalwirtschaft bezweifelt kaum jemand mehr, dass beim Klimaschutz schnell gehandelt werden muss. Deshalb hat sie sich zusammengetan.

Können Computer das Klima verbessern? Foto: UIG/imago

N ein, die Digitalwirtschaft ist nicht besonders grün. Versteht die Digitalwirtschaft etwas von Skalierung, Kipppunkten und Disruption? Ja! Wir haben verstanden, dass wir nach aktuellem Pfad 2050 eine 3 Grad wärmere Erde haben, die für viele nicht mehr bewohnbar ist, in der Vegetationszonen verschoben oder vernichtet worden sind, in der sich ein immer größerer Teil der Menschheit auf der Flucht befindet, Gesellschafts- und Staatssysteme kippen, die Welt in ein großes Chaos stürzt. All das ist heute absehbar, in einer Welt die bereits heute schon um 1,2 Grad erwärmt ist.

Das kann nicht gut gehen. Das sagt nicht nur die Wissenschaft oder der gesunde Menschenverstand, sondern auch unser rationales, unternehmerisches Kalkül. In den Chefetagen der Digitalwirtschaft zweifelt daher heute kaum jemand mehr, dass beim Klimaschutz schnell und entschieden gehandelt werden muss.

David Wortmann

ist Mitgründer und Mitglied des Vorstands „Leaders for Climate Action“ – der aktuell erfolgreichsten Klimaschutz-Initiative der Digitalwirtschaft sowie Gründer und CEO von DWR eco, einer führenden Politik-, Strategie- und Kommunika­tions­beratung im Bereich Cleantech und Nachhaltigkeit.

Die Transformation unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft hin zu an den planetarischen Grenzen ausgerichteten Ressourcennutzung, Konsumverhalten und Technologieeinsatz ist nicht nur langfristig zukunftsfähig, sondern rechnet sich. Jeder Euro Investition, der zum Beispiel in erneuerbare Energien fließt statt in ein noch so effizientes Kohle- oder Gaskraftwerk, gibt uns nicht nur saubere, sondern auch inzwischen viel günstigere Energie für unsere Server, unsere Industrien und unsere Wirtschaft insgesamt. Das haben auch US-Präsident Joe Biden oder die chinesische Regierung bereits verstanden, die ihre Volkswirtschaften zu Weltmarktführern für grüne Zukunftstechnologien machen wollen.

Wir in der Digitalwirtschaft haben da ein Déjà-vu. Schon bei der Digitalisierung sind wir im globalen Wettbewerb gegen die USA oder auch China stark ins Hintertreffen gekommen. Das darf uns bei Klimaschutztechnologien nicht noch einmal passieren. Und da können wir aus der Digitalwirtschaft einen wesentlichen Beitrag leisten, Klimaschutztechnologien zu skalieren, technologische Kipppunkte herbeizuführen und das auf Treibhausgasemissionen basierte Energie- und Wirtschaftssystem schnellstens zu disruptieren.

Die Lösung heißt Dezentralisierung

Die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft heißt nämlich vor allem Dezentralisierung. Und eine effiziente, ressourcenschonende Dezentralisierung unserer komplexen Gesellschaft gelingt nur mit der Digitalisierung. Die Energieerzeugung rückt näher an den Verbraucher – die schwäbischen Reihenhausbesitzer produzieren von ihren eigenen Hausdächern einen Großteil der Energie, die sie benötigen.

Wir haben den Schalter Richtung Klimaneutralität umgelegt mit dem Ziel, dass viele andere nachziehen

Der Schraubenhersteller im Sauerland nutzt die Flächen seines Gewerbedachs für die Solarproduktion, und der niedersächsische Stahlproduzent bezieht Strom aus dem nahegelegenen Windpark, um damit bald grünen Wasserstoff herzustellen. Energie wird von Millionen kleineren und mittleren Solar-, Wind-, Biomasse-, Geothermie- und Wasserkraftwerken erzeugt. Angebot und Nachfrage kann durch digitale Prozesse effizient und reibungslos quer durch Deutschland organisiert werden.

Die Mobilität der Zukunft heißt, dass man Carsharing, Chauffeur-Dienstleistungen, öffentliche Verkehrsmittel, Mikromobilität wie Roller oder Fahrrad intelligent kombiniert. Zunehmend stehen diese Möglichkeiten auch der ländlichen Bevölkerung zur Verfügung – alles muss und kann digital aufeinander abgestimmt werden. Ich weiß über mein Smartphone zu jeder Tag- und Nachtzeit, welche Mobilitätsmöglichkeiten es gibt. Die Digitalisierung hilft uns, dass wir nicht nur Flächen optimal nutzen, sondern auch den Verkehr reduzieren, da wir Wege vermeiden und die nötigen Verkehrsträger besser auslasten.

In einer idealen Welt verbrauchen wir auch viel weniger physische Materialien und Ressourcen für den gleichen Wohlstand. Wir teilen vor allem, statt zu besitzen Das gilt für Gebäude, Werkzeuge, Verkehrsträger, Kleidung und anderen Gegenstände des täglichen Gebrauchs – das nennt man Sharing Economy. Was wir heute noch an Ressourcen verbrauchen, sollten wir weitestgehend in Kreisläufen organisieren (Kreislaufwirtschaft): Am Ende einer Produktlebensdauer werden Produkte repariert und in ihrer Funktion erweitert oder in ihre Einzelteile und Materialien zerlegt und wiederverwendet in neuen Produkten.

Kein fairer Wettbewerb für saubere Technologien

Abfall gibt es per Definition kaum noch, sondern vor allem abbaubare biologische Rohstoffe, die digital gestützt durch bodendifferenzierte Landwirtschaft flächeneffizient und ökologisch angebaut werden. Die noch notwendigen nicht erneuerbaren Ressourcen verwenden wir in einer geschlossenen Wertschöpfungskette dank digitaler Informationstechnologien intelligent und effizient immer wieder.

All das kommt nicht automatisch. Für all das fordern wir klares, schnelles, entschiedenes politisches Handeln, da häufig keine fairen Wettbewerbsbedingungen für saubere Technologie-Optionen existieren. Die Digitalwirtschaft kann zwar durch digitale Prozesse einen großen Beitrag zur Dekarbonisierung unseres Landes beitragen, weiß aber auch, dass sie selber nicht zu den grünsten Wirtschaftszweigen unseres Landes gehört. Deshalb hat sie sich zusammengetan. Nicht nur in Deutschland, sondern auch zunehmend in Europa und sogar weltweit.

Als „Leaders for Climate Action“ wollen wir mit gutem Beispiel vorangehen und die Treibhausgasemissionen unserer Unternehmen nicht nur messen, sondern auch reduzieren und durch saubere Prozesse ersetzen. Fast 1.500 Mitglieder aus der Digitalwirtschat haben so bislang fast 1 Million Tonnen CO2 reduziert und dabei mehr als 11 Millionen Euro investiert.

Das ist noch nicht perfekt, aber ein Anfang. Denn wir wissen: Machen ist wie Wollen, nur krasser! Wir haben den Schalter Richtung Klimaneutralität umgelegt mit dem Ziel, dass viele andere nachziehen. Insbesondere die Politik. Alle Parteien haben inzwischen ihre Wahlprogramme vorgelegt. Alle regierungsfähigen Parteien wollen Klimaschutz. Aber Klimaschutzmaßnahmen dürfen nicht irgendwann in der Zukunft liegen, sondern müssen sofort umgesetzt werden.

Und daher müssen alle Parteien ein 100 Tage-Klimaschutz-Sofortprogramm vorlegen. Das muss nicht perfekt sein, aber ambitioniert. Wir aus der Wirtschaft wollen nicht mehr als Entschuldigung hören, dass Klimaschutz nicht zu belastend sein darf. Unterlassener Klimaschutz belastet die Wirtschaft, die Gesellschaft und ultimativ jeden von uns viel, viel mehr.

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