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Urteil im Mordfall George Floyd22,5 Jahre Haft

Derek Chauvin muss lange ins Gefängnis. Vielen ist das Urteil noch zu mild, auch wenn Chauvin sich erstmals direkt an Floyds Familie wendet.

Nach dem Urteil: Demonstration für Gerechtigkeit für die Opfer rassistischer Polizeigewalt Foto: Eric Miller/reuters

Washington taz | Mit Spannung erwarteten Millionen von Menschen in den USA und in der ganzen Welt die Urteilsverkündung im Mordfall des Afroamerikaners George Floyd. Am Ende war keine Seite wirklich zufrieden. Und das trotz eines Richterspruchs, welches so in Amerika nur äußerst selten vorkommt.

Bereits im April war der ehemalige Polizist Derek Chauvin von einer Jury in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden worden. Nun verkündete Richter Peter Cahill am Freitagnachmittag (Ortszeit) das Strafmaß: 22,5 Jahre Gefängnis. Eigentlich sehen bundesstaatliche Richtlinien eine Haftstrafe von 12,5 Jahren vor. Cahill begründete seine Entscheidung für ein verschärftes Strafmaß mit der verübten Grausamkeit sowie dem Missbrauch der Vertrauensposition. Noch vor der Verkündung wies Richter Cahill ein Gesuch von Chauvin für eine Neuaufnahme des Gerichtsverfahrens ab.

Bevor der 45-jährige Chauvin aus dem Gerichtssaal abgeführt und wieder ins Gefängnis gebracht wurde, wandte er sich zum ersten Mal seit dem Mord direkt an die Angehörigen von George Floyd: „Ich will der Familie mein Beileid aussprechen.“

Ein seltenes Ende

Das Urteil selbst ist eine Rarität, da Fälle von Polizeigewalt gegenüber Schwarzen nur äußerst selten zur Anklage gebracht werden. Und in den wenigen Fällen, die tatsächlich vor Gericht landen, kommt es überproportional zu Freisprüchen und Fehlprozessen.

Für Familienangehörige, Rechtsanwälte und Bürgerrechtler spielt dies keine Rolle. Sie waren darüber empört, dass Chauvin „nur“ 22,5 Jahre hinter Gittern absitzen muss. Bei guter Führung könnte er sogar schon nach 15 Jahren wieder auf freiem Fuß sein.

Welche Nachricht senden wir damit an unser Land?

Brandon Williams, Neffe von George Floyd

„Echte Gerechtigkeit in Amerika gibt es erst, wenn schwarze Männer, schwarze Frauen und farbige Menschen sich nicht mehr davor fürchten müssen, nur wegen ihrer Hautfarbe von der Polizei getötet zu werden. Das wäre echte Gerechtigkeit“, sagte Ben Crump, einer von mehreren Rechtsanwälten, die Floyds Familie vertreten.

Brandon Williams, ein Neffe des Verstorbenen, sah ebenfalls keine Gerechtigkeit im Urteil. „Welche Nachricht senden wir damit an unser Land“, fragte er. „Welche Nachricht senden wir an unsere kleinen Kinder, wie (Floyds Tochter) Gianna, dass man einen Menschen kaltblütig töten kann und mit einem blauen Auge davonkommt?“

Floyds Schwester Bridgett Floyd konnte dem Strafmaß zumindest etwas Gutes abgewinnen: „Das heute verhängte Urteil gegen einen Polizisten in Minneapolis, der meinen Bruder George Floyd getötet hat, zeigt, dass Angelegenheiten rund um Polizeigewalt endlich ernst genommen werden.“ Sie fügte allerdings hinzu, dass dem Land noch ein langer Weg bevorstehe und es viele Veränderungen brauche. US-Präsident Joe Biden bezeichnete das Urteil als „angemessen“.

Der Mord an George Floyd im Mai 2020 sorgte weltweit für Aufsehen und rückte das Problem von Polizeigewalt gegenüber Minderheiten in den USA ins Rampenlicht. Wie schon beim brutalen Angriff auf Rodney King 1993 war es auch bei Floyd ein Video, das die Welt schockierte. Die Filmaufnahme zeigte, wie ein Polizist mehr als neun Minuten sein Knie auf den Hals eines am Boden liegenden schwarzen Mannes drückt. Dieser bittet vergeblich um Hilfe, sagt, dass er nicht atmen kann. Schließlich erliegt er seinen Verletzungen. Der Polizist war Derek Chauvin und das Opfer George Floyd. Der Grund für Floyds Festnahme war eine angeblich gefälschte 20-Dollar-Note.

Chauvin ist der erste weiße Polizist im US-Bundesstaat Minnesota, der für die Tötung eines Afroamerikaners verurteilt wurde.

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6 Kommentare

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  • Ich denke, die eigentlich Schande ist, dass Chauvin überhaupt der erste Polizist im US-Bundesstaat Minnesota ist, der eine erhebliche Strafe bekommt.

  • Also in Deutschland zählen 22½ Jahre als "lebenslänglich".



    Damit hat die US-amerikanische Justiz, deren Integrität charakterisiert ist durch die Richter Michael Conahan und Mark Ciavarella, ausnahmsweise einmal Recht gesprochen



    ... es sei denn, ein republikanischer Governeur oder Präsident begnadigt ihn.

  • Keine Strafe der Welt kann ein Leben wiederbringen oder den Schmerz von Angehörigen mindern. 22,5 Jahre und damit 10 Jahre über dem Standard ist ein gutes, wegweisenden und hartes Urteil. Ganz sicher kein "blaues Auge", gerade für einen Polizisten in einem US-Gefängnis.

  • Also mit den Amis stimmt doch was nicht. 22,5 Jahre Haft nennen die ein "blaues Auge", das wäre hier lebenslänglich. Was hätte es denn sein sollen, die Todesstrafe? Was für eine Botschaft sendet man denn damit an seine Kinder?

    • @NoMeansNo:

      In Deutschland würd man eher auf Resozialisation setzen. Man hört so oft, alle Menschen hätten eine zweite Chance verdient.

    • @NoMeansNo:

      Es ist auch wichtig, das Strafmaß relativ zu anderen Strafen zu sehen, um zu erfassen, wie die Schuld des Polizisten im Vergleich zu anderen Taten gesehen wird. An amerikanischen Verhältnissen gemessen I st es in der Tat sehr milde. Leichtere Drogendelikte können schon zu Jahrzehnten Haft führen oder dreimal wegen kleinerer Delikte angeklagt zu echter lebenslanger Haft führen. Andererseits ist es eines der wenigen Urteile, bei dem ein weißer Polizist wegen des Mordes an einem Schwarzen verurteilt und inhaftiert wird. Ein Schwarzer, der einen Weißen in ähnlicher Weise zu Tode gewürgt hätte, wäre sicher im Süden zum Tode verurteilt worden.