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Coronaregeln bei Olympia in TokioEng an eng in die Blase

Der taz-Olympiareporter hat Tokio erreicht. Hinter ihm liegt ein langes Ringen mit den Regeln zum Infektionsschutz – ein Erfahrungsbericht.

Tokio 2021: Vorrangige Fahrbahn für die Fahrzeuge vom olympischen Transportshuttlesystem Foto: Mike Egerton/Wire/dpa

Tokio taz | Die Verwunderung ist auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus Portugal, Dänemark, Thailand und etlichen anderen Ländern groß. Wir sitzen dicht an dicht in einem Bus, der uns vom Flughafen Haneda auf einen Parkplatz beim Presse­zen­trum direkt zu einer Taxischlange gebracht hat. Und nun bekommen wir von einem Mann aus dem Organisationsteam vor Ort erklärt, dass von hier aus alle einzeln zu ihren Hotels chauffiert werden, auch diejenigen, die für ein Medium arbeiten und möglicherweise gar im selben Zimmer wohnen. Auf die zu erwartende Sinnfrage, die einige auch laut stellen, ist er präpariert. „Das steht so im Playbook“, behauptet er lächelnd.

Es ist der Hinweis auf das heilige Buch dieser Olympischen Spiele, das die mittlerweile gerade in Japan so umstrittene globale Sportveranstaltung inmitten der Pandemie sicher machen soll. Es ist in jeweils spezifisierten Versionen für Athlet:innen, Me­dien­schaf­fende und angeblich auch für Funk­tio­nä­r:in­nen erschienen. Namentlich kommt dieses Werk zwar spielerisch daher, inhaltlich ist das Playbook aber gefüllt mit zahllosen Verboten und Vorschriften, die wiederum Grundlage für weitere Regelwerke, eine schier uferlose Bürokratie und jede Menge Fragen geworden sind.

Warum das Playbook erst vom Parkplatz des Medienzentrums aus auf strikte Trennung achtet, das wäre so eine Frage. Aber sie macht keinen Sinn. Bürokratie erfährt ihre Legitimation aus sich selbst heraus, hat einmal der Soziologe Franz Oppenheimer festgestellt. Sie gehorcht eben auch bei den Olympischen Spielen in Tokio nicht der Logik des Pandemieschutzes, sondern schafft dank eigener Autorität eine Simulation von Sicherheit, die für Freunde des absurden Theaters eine wahre Freude sein müsste.

Die Coronaregeln sind ein Bürokratiemonstrum, das etliche Kol­le­g:in­nen abgeschreckt hat

Notgedrungen musste ich mich am Flughafen mit einer 14-tägigen Quarantäne einverstanden erklären, die mir nur die Berichterstattung vom Hotelzimmer aus ermöglichen würde. Mein vor vielen Wochen eingereichter „activity plan“, zu welchen Wettbewerben ich gehen möchte, ist von der japanischen Regierungsstelle aus noch nicht genehmigt worden, weshalb ich für die verkürzte dreitägige Quarantäne und die darauf folgende elftägige eingeschränkte Bewegungsfreiheit nicht infrage komme. Die Frau vom Organisationsteam am Flughafen hat mir erklärt: „Wir werden alles für Sie tun, was möglich ist.“ Eine schöne Zusage nach etwa 9.000 Flugkilometern. Dass mich all das nicht mehr überraschen konnte, hat eine längere Vorgeschichte.

Schöne Grüße von Thomas Bach

Sie begann etwa Anfang Februar als die erste Version des Playbooks in einer weltweiten Internetrunde für Medienschaffende vorgestellt wurde. Vorab wurde ein Grußwort von IOC-Chef Thomas Bach eingespielt. An Genaueres kann ich mich nicht erinnern. Tolle Spiele trotz herausfordernder Umstände wird er den Jour­na­lis­t:in­nen versprochen haben und der Menschheit damals bestimmt auch schon dieses von Tokio ausgehende Licht am Ende des Tunnels. Also all das, was nach Bachs Geschmack die Medien viel zu selten transportieren über die Spiele, und dann ging es los mit der Regelkunde und den neuen Herausforderungen für die Presse.

Ziel aller Journalist:innen: Das Medienzentrum der Spiele in Tokio Foto: dpa

US-Zeitungen wie die New York Times und die Washington Post hatten deshalb Wochen später einen Protestbrief an Bach verfasst. Die Einschränkungen und Datensammlungen stünden in keiner Relation zum Pandemie­schutz. Das IOC antwortete, die Maß­nahmen seien wegen Corona erforderlich. Aber wie bereits erwähnt, als Teilnehmer dieses sozialen Experiments der Simulation von Sicherheit hilft einem Logik nicht weiter.

Für das „Ankunfts- und Abreise-Informations-System“ musste ich mir einen Account einrichten und zudem eine Verifizierungs-App auf dem Handy herunterladen, um ein paar Flugdaten und mein Hotel einzutragen. Das klingt jetzt vielleicht komplizierter, als es ist. Die Organisatoren von Tokio 2020 haben mir einen 24-seitigen Anhang geschickt, in dem knapp zusammengefasst ist, was man dafür tun muss. Als mein Flug nach Tokio allerdings kurzfristig storniert wurde, konnte ich auf das System nicht mehr zugreifen. Eine Mail hat dann plötzlich auch ausgereicht.

Meine Rolle als Covid-19-Verbindungsmann (Covid-19 Liaison Officer) zu den Organisatoren von Tokio 2020, der ich als alleiniger Vertreter meiner Zeitung in Tokio automatisch bin, wurde mir freundlicherweise in einer Mail mit acht Anhängen erklärt. Wichtig als CLO ist etwa, dass ich auch die dritte und letzte Version des Playbooks (68 Seiten) genau gelesen habe.

Darüber hinaus habe ich noch etliche weitere Manuals zugeschickt bekommen für meinen „activity plan“ und das „Infection Control Support System“ (ICON), in dem der Aktivitätsplan hochgeladen werden muss, weil ich ja sonst nicht die Ocha-App in Betrieb nehmen kann, über die ich täglich meine Körpertemperatur und Gesundheitsdaten übermitteln soll. Ebenso ist mir ausführlich nahegelegt worden, dass ich die ersten 14 Tage meine GPS-Daten über das Mobiltelefon freigeben muss, damit jederzeit nachverfolgt werden kann, ob meine Bewegungen mit den Daten meines Aktivitätsplans in Einklang zu bringen sind.

Abschreckendes Regiment

Im Sinne des Pandemieschutzes dürfte die abschreckende Wirkung dieses Bürokratiemonstrums als am effektivsten eingestuft werden. Etliche Kollegen sind zu Hause geblieben. Sie wollten oder konnten es sich nicht leisten, so viel Arbeitszeit aufzubringen, um dann in Tokio arbeiten zu können. Ein Akkreditierungsentzug wäre dagegen nicht so einfach gewesen.

Die Maßnahmen vor Ort und ihre flexiblen Auslegungen scheinen wiederum zu unterschiedlich zu sein, als dass sie die behauptete Sicherheit garantieren könnten. Von Tokio 2020 wurde ich in einer dieser Erkläranlagen darauf hingewiesen, dass ich beim Coronatest vor dem Abflug einen Nasenabstrich machen müsse. Der Leiter des Testzentrums in Berlin, mit dem Tokio 2020 kooperiert, schaute sich den Vorabdruck an, in dem die Kreuze schon entsprechend gesetzt waren, und warf ihn kurzerhand in den Papierkorb. „Das ist Quatsch, Nasenabstriche machen wir hier nicht.“ Dass ich stattdessen in Tokio einen Speicheltest vorlegte, war schließlich auch kein Problem.

Fotografen am Flughafen erzählten mir, sie müssten nicht drei Tage in Quarantäne und könnten schon morgen arbeiten – in nächster Nähe zu den olympischen Athlet:innen. Sie fotografieren allerdings für einen nationalen olympischen Dachverband, der die Bilder dieses Großevents im Sinne der Veranstalter zu inszenieren weiß.

Gerade eben ist noch eine Mail vom Organisationskomitee angekommen. Mein Aktivitätsplan sei genehmigt. Ich beginne Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

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