piwik no script img

Propaganda und sportliche SpracheDas Amt für Sportwerbung empfiehlt

Schon 1936 versuchten die Nazis mit Hilfe der Sportsprache Propaganda zu betreiben. Auch für Tokio 2021 ist das interessant.

Victor Klemperer widmete dem Boxen im Notizbuch eines Philologen ein eigenes Kapitel Foto: Amel Pain/epa

S prache ist Sprachgebrauch; Sprache ist, wie wir sprechen. Sie entwickelt sich idealerweise von unten nach oben. Aber auch die umgekehrte Richtung ist beliebt. Man erklärt von oben herab, wie man zu sprechen habe, das ist heute so wie damals. Vor 85 Jahren wurde der „Propaganda-Ausschuß für die Olympischen Spiele Berlin 1936“ gegründet, angesiedelt im Amt für Sportwerbung. Die Nazipropagandisten haben kleine Heftchen, unter anderem Sprachführer, unters Volk gebracht.

Die kosteten nur zehn Pfennig, und das gelb-schwarze Olympiaheft mit der Nummer 26 trug den Titel: „Führer durch die Sportsprache“. (Heft 1: „Olympia 1936, eine nationale Aufgabe“.) Eine solche Sprechhilfe in Sachen Olympiasport – heute könnte man Framingmanual dazu sagen – haben die Olympiafreunde so kurz vor den Olympischen Spielen von Tokio nicht mehr nötig. Die Sportsprache ist in alle Ritzen der Gesellschaft gedrungen. In den vergangenen Monaten mussten wir lernen, was „Bubble“ und „Inzidenzwert“ bedeutet – und warum dem Fußball wieder so viele Extrawürste gebraten werden. Diese Begriffe werden so manchen Bericht aus Tokio infiltrieren, denn in Japans Hauptstadt finden ja Spiele unter dem Diktat hyperventilierender Präventionskünstler und folglich ohne Publikum statt.

Aber zurück zum Propaganda-Stuss, äh, -Ausschuss, der sich im Vorfeld der Sommerspiele 1936 an die Beschulung der Bevölkerung mit der als richtig erachteten Sportsprache machte. Denn da hatte der brave deutsche Sportkonsument erheblichen Nachholbedarf. Olympia war noch nicht das riesengroße Sportevent, das Milliarden Menschen via Medienmultiplikation erreicht. Erwin aus Spandau und Frieda aus Neukölln sollten wenigstens kundig auf den Tribünen mit dem Nachbarn übers Fechten, Rudern oder das Boxen parlieren. Die einfache Boxersprache fanden die Beamten vom Propaganda-Ausschuss ganz „herrlich“. „Der Ton ist herzerfrischend hart, und es wird von den Kämpfen und den Fights (Boxkampf) gesprochen wie von den Schlachtfeldern in Marokko oder in Deutsch-Süd-West.“

Nun ist es aber im Boxen wie im Fußball: Es gibt, da nun einmal Großbritannien das Sportland schlechthin ist, so verdammt viele Lehnwörter aus dem Englischen: Dribbling, zentern, der Kicker, das Goal und der Half. „Hier ist demnach ein großes Feld für Rodung“, wird angemerkt. Die ausländischen Begriffe sollen möglichst schnell und gründlich „ausgemerzt“ werden, und Hoffnung gibt den Agitprop-Jungs die Aussicht auf eine Popularisierung des olympischen Sports, denn „je mehr eine Sportart ins Volk gedrungen ist, umso mehr hat sich auch ihre Sprache verdeutscht.“

Empfehlung: LTI

Da sich, wie die Schreiber vermeinen, in den 1930er Jahren die Sportsprache „in Gärung“ befindet, formulieren sie einen „reinigenden“ Appell an die Volksgenossen: „Jeder einzelne, der mit dem Sport etwas zu tun hat, ist berufen mitzuhelfen, daß eine wirklich deutsche Sportsprache entsteht: die Leute, die das Wort berufsmäßig zu meistern haben, indem sie treffende deutsche Worte einführen, und die anderen, indem sie diese neuen Worte an die Stelle der überflüssig gewordenen Fremdworte setzen.“

Victor Klemperer, der in „LTI – Notizbuch eines Philologen“ (Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reiches) dem Boxen und der Vorliebe von Hitler und Goebbels für Sportmetaphern ein eigenes Kapitel gewidmet hat, warnt eindringlich vor Sprachverhunzungen und Manipulation: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Und wo ist da der Bezug zur Gegenwart? Ein Beispiel würde die angebliche Verbindung sichtbar machen.