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Das AufsteigerparadoxWenn Urlaub einfach Urlaub wäre

Für viele bedeutet Urlaub einfach Entspannung. Für den Aufsteiger ist es die Zeit, in der er schonungslos mit seinen Widersprüchen konfrontiert wird.

Foto: Cavan Images/imago

W ie schön wäre es, wenn Urlaub einfach Urlaub wäre. Und nicht ausgerechnet die Zeit, in der der Aufsteiger so schonungslos wie in keiner stressigen Arbeitswoche mit seinen Widersprüchen konfrontiert wird. Ein besonders lästiger Widerspruch, mit dem er sich vom ersten arbeitsfreien Tag an herumschlagen muss, ist das Aufsteigerparadox.

Weil es dieses gibt, tut sicher der Aufsteiger, der immerzu nach etwas streben muss (mehr Wissen, mehr Anerkennung, endlich genug Geld), nicht leicht mit Ferien. Denn selbst in den Freizeitmodus zu kommen wird ihm zur anstrengenden Arbeit.

Das Aufsteigerparadox erkennt man daran, dass der Aufsteiger weiß, dass er den Bildungsaufstieg nicht geschafft hat, weil er besonders klug und fleißig ist, sondern weil er das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, dort die richtigen Leute getroffen zu haben. Der Aufsteiger weiß, dass er ein Glückspilz ist, einer von wenigen unter vielen, die das Abitur genauso wie er hätten schaffen können, weil sie mindestens genauso viel wie er draufhaben.

Er weiß, dass er sich nichts auf seinen Weg einbilden sollte, dass Demut statt Hochmut angebracht ist. Und trotzdem neigt der Aufsteiger manchmal zu narzisstischen Gefühlen. Denn es ist auch so, dass er in Schule und Studium immer 150 Prozent geben musste und auch gegeben hat, weil er mit einem Rückstand in den Wettbewerb eingestiegen ist.

Hartes und weiches Wissen

Und es ist so, dass er sich nicht nur den Unterrichtsstoff und die akademische Lektüre unter erschwerten Bedingungen einprägen musste und dabei auf sich alleine gestellt war, weil seine Eltern sich nicht auskannten und kein Geld für Nachhilfe hatten. Neben hartem Wissen musste er sich auch das weiche aneignen: Wie tritt man auf, wie spricht man richtig, wie macht man auf sich aufmerksam, ohne dass es aufdringlich wirkt?

Das irritierende Resultat dieses Paradoxons ist, dass der Aufsteiger so einerseits an die Früchte individueller Leistung glaubt, weil er selbst erlebt hat, wie er mit Mühe und Ehrgeiz schaffen kann, was nicht viele schaffen, die so sind wie er. Andererseits verspottet er diesen Glauben, weil er weiß, dass sein Glück niemals in seinen eigenen Händen gelegen hat, sondern schon immer in den Händen der Verhältnisse und des glücklichen Zufalls.

Das Resultat aus diesem Zusammenspiel von Gesellschaft und Biografie ist, dass der Aufsteiger nichts mehr verabscheut als die Leistungsgesellschaft und ihre Ideologie, weil er Bücher darüber gelesen hat, aber trotzdem davon überzeugt ist, dass er niemals wäre, wo er heute ist, hätte er sich nicht so reingehängt. Das Resultat ist, dass er es auch nicht beim Studienabschluss belassen kann, sondern weitermachen muss, bis Geld vielleicht irgendwann wirklich kein Thema mehr ist – wofür sonst haben seine Eltern all die Opfer erbracht? Und deshalb innerlich immerzu getrieben ist, auch wenn er äußerlich gerade Urlaub macht.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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8 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Reisen bildet. Aber Urlaub wurde schon immer überschätzt. Zum -Schluss sind alle doch Absteiger*innen. Bitte, Herr von Goethe, großer Reisender.



    "Mephiſtopheles.



    Du biſt am Ende — was du biſt.



    Setz’ dir Perruͤcken auf von Millionen Locken,



    Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,



    Du bleibſt doch immer was du biſt.



    Fauſt.



    Ich fuͤhl’s, vergebens hab’ ich alle Schaͤtze



    Des Menſchengeiſt’s auf mich herbeygerafft,



    Und wenn ich mich am Ende niederſetze,



    Quillt innerlich doch keine neue Kraft;



    Ich bin nicht um ein Haar breit hoͤher,



    Bin dem Unendlichen nicht naͤher.



    Mephiſtopheles.



    Mein guter Herr, ihr ſeht die Sachen,



    Wie man die Sachen eben ſieht;



    Wir muͤſſen das geſcheidter machen,



    Eh’ uns des Lebens Freude flieht.



    Was Henker! freylich Haͤnd’ und Fuͤße



    Und Kopf und H — — die ſind dein;



    Doch alles was ich friſch genieße,



    Iſt das drum weniger mein?



    Wenn ich ſechs Hengſte zahlen kann,



    Sind ihre Kraͤfte nicht die meine?



    Ich renne zu und bin ein rechter Mann,



    Als haͤtt’ ich vier und zwanzig Beine.



    Drum friſch! laß alles Sinnen ſeyn,



    Und g’rad’ mit in die Welt hinein!



    Ich ſag’ es dir: ein Kerl der ſpeculirt,



    Iſt wie ein Thier, auf duͤrrer Heide



    Von einem boͤſen Geiſt im Kreis herum gefuͤhrt,



    Und rings umher liegt ſchoͤne gruͤne Weide.



    Fauſt.



    Wie fangen wir das an?



    Mephiſtopheles.



    Wir gehen eben fort....



    (Wohin? Na, Auerbachs Keller. Die Menschheit kennt das. Wasser zu Wein. Das konnte auch der Teufel.)

  • Das sogenannte Aufsteigerparadox beinhaltet ja schon das Paradox des sogenannten Aufstiegs. Aufstieg ist eine subjektive Selbsterklärung. Ein gruppendynamisches Phänomen.



    Eine Agitation innerhalb anderer sich selbst definierten Aufsteigern. Eine Hoffnung darauf, dass man tatsächlich "aufgestiegen" ist, ohne zu wissen was das eigentlich wirklich ist, es geschafft zu haben - daraus resultiert auch diese Urlaubsunruhe.

  • Auch hier widerspreche ich dem Autor: es ist definitiv nicht NUR Glück, wenn man aufsteigt, sondern es geht auch darum, gebotene Chancen zu nutzen, Aufstieg überhaupt als Ziel anzusehen, statt sich in der Situation einzurichten, sich von Widerständen nicht stoppen zu lassen.

    Er muss - sollte es um ihn selbst gehen - kein schlechtes Gewissen haben, dass er es geschafft hat. Und wenn er schon meint, andere hätten es schwerer gehabt und deshalb nicht geschafft - wie viele andere hatten es leichter...und haben - ganz nebenbei - keinerlei Schuldgefühl.

    • @Dr. McSchreck:

      der Autor spricht ja selber von einem unauflöslbaren Paradoxon. Ist vllt rational nicht ganz nachvollziehbar, er spricht mir aber 100% aus dem Herzen.



      Mein Opa wurde vertrieben und war dann Schlossergeselle, mein Vater ist selbstständiger Maschinenbaumeister und mein Bruder und ich sind die erste Generation, die eine Uni von innen gesehen hat. Obwohl nie Druck ausgeübt wurde, fühlen wir uns beide in gewisser Weise verantvortlich, die harte Arbeit der vorherigen Generationen umzumünzen - sei es materiell oder eher akademisch. Trotz der geleisteten Anstrengung ist uns klar, dass wir ein Schweineglück hatten. Meine Eltern hatten keine Chance aufs Abitur, obwohl sie es sicherlich auf dem Kasten haben/hatten...

      • @Affi:

        Meine Schwester und ich waren auch die ersten in der Familie, die an einer Uni studiert haben - und für beide war das Studium wegen des Fremdheitsgefühl und des mangelnden Selbstbewusstseins in akademischen Kreisen sehr mühsam. Die Motivation fürs Studieren war aber nicht der Wunsch aufzusteigen, sondern wir wollten weg von dem spießigen Kaff und den Leuten dort; auch hatten wir die Vorstellung, mit zunehmen Wissen glücklicher zu werden. Inzwischen denke ich nicht mehr, dass es für letzteres einen Zusammenhang gibt. In dem "spießigen Kaff" gibt es übrigens einige seit Generationen bestehenden Handwerksbetriebe, bei denen bisher keines der Familienmitglieder studiert hat (die aber trotzdem einen glücklichen Eindruck machen); das heißt, dort besteht weder ein Aufstiegs- noch ein Vergrößerungswille.

      • @Affi:

        Das alles bestreite ich doch gar nicht. Ich finde es nur schade, wie klein er sich macht. Er hat allen Grund, stolz zu sein, es gibt sehr viele Leute, die seine Chancen hatten und nicht genutzt haben und sogar eine Menge Leute, die mit weit besseren Chancen auf die Welt gekommen sind und ihr Leben mit Parties, Kiffen und fehlender Leistungsbereitschaft Richtung Abgrund lenken. Vielleicht können die auch wenig dafür, weil sie es "zu leicht" hatten und man ihnen alles nachgesehen hat - aber jedenfalls hat er mehr aus seinen Möglichkeiten gemacht und allen Grund, sich hierfür auf die Schulter zu klopfen, statt ein schlechtes Gewissen zu haben.

        Ich finde es immer wieder bedauerlich, wenn Leute das, was sie geschafft haben, nicht würdigen, sondern sich schlecht dabei fühlen. Es gibt glaube ich auch wenige Staaten(eher Gesellschaften), wo Aufstieg so misstrauisch und negativ bewertet wird wie hier. Wobei es in meinem Umfeld eigentlich eher Migranten und Deutsche mit Migrationshintergrund sind, die diese deutsche "Untugend" so nicht kennen und stolz sind bzw. anstreben, dass ihre Kinder aufsteigen können bzw. sollen. Das finde ich gut.

        • @Dr. McSchreck:

          Wenn Aufsteiger mal länger Urlaub machen, dann haben sie es offensichtlich schwer. Es treibt sie keiner mehr mit einer Knute an, also begibt ihr Kopf sich auf die Reise und sucht Sinn. Mit dem Ergebnis, dass sie doch wieder nur bei sich selber ankommen.

          Warum, hab ich mich immer mal gefragt, scheinen derartig viele Leute zu glauben, der „Aufstieg“ sei ein Wert an sich. Tun sie das, weil ihnen das von anderen ständig gespiegelt wird, sei es Form von Neid, sei es in Form von Kumpanei oder in Form von Geld? Oder tun sie es aus Gründen des Selbstschutzes? Vernünftig ist es schließlich nicht. Es hat nur schon sehr lange Tradition.

          Nein, so ein „Aufstieg“ ist kein Wert an sich. Wer Privilegien bekommt, muss dafür etwas geben. Manchmal viel mehr, als er sich leisten kann. Besagte Anerkennung beispielsweise, besagtes Geld oder besagten Neid. Wobei sich, wer den Aufstieg wichtig findet, besser nicht fragt, in wiefern Neid, Geld oder Anerkennung tatsächlich berechtigt sind.

          Wenn es das Aufsteiger-Paradox tatsächlich gibt, ist es wahrscheinlich das: Aufstieg macht frei und unfrei gleichermaßen. Man muss im Vorfeld Dinge lernen, die man nachher nicht mehr anwenden darf. Zumindest nicht in eigener Sache. Kritisches Denken etwa oder knackiges Formulieren. Weil Aufstieg immer das ist, was als Gnadenakt bezeichnet wird. Er setzt das Teilen einer Macht voraus, das Abgeben von Privilegien. Und wer die Hand beißt, die ihn mal gefüttert hat, ist ganz schnell „unten durch“. Der hat sich dann umsonst den Hintern aufgerissen und alle Ursprungsbindungen gekappt.

          Nun ja. Ich hatte offenbar auch zu viel Zeit zum Denken. Ich bin ja auch nicht weiter aufgestiegen, seit ich die Uni abgeschlossen habe. Denn wie das Arschaufreißen anderen bekommen ist, hab ich schon damals gut erkennen können. Und nun mal was, was ihr nicht glauben werdet, Leute: Ich bin verdammt stolz drauf, dass ich nie aufgestiegen bin. Euch muss ich das zwar nicht beweisen, erzählen kann ich es euch aber doch.

          • @mowgli:

            Wichtiger Punkt am Ende, der aber letztlich zu dem passt, was ich geschrieben habe. Denn es geht darum herauszufinden, was man eigentlich will. Aufstieg ist ja kein Selbstzweck, sondern man will damit bestimmte Ziele erreichen, früher aufhören zu arbeiten, sich bestimmte Dinge leisten zu können, nicht auf den Euro gucken zu müssen, sondern nur noch auf die 100 oder sogar 1000 Euro....was auch immer.

            Und dann sollte man sich fragen, was einem das wert ist und ob man dafür bereit ist, den Preis zu zahlen....oder ob man anderes wichtiger findet.

            Nur beides in Kombination geht schlecht, seine Ziele verfolgen und zugleich mit dem "Preis" hadern - das ist der sichere Weg ins Unglück. Zumal man eben auch im Hinterkopf behalten sollte, dass es diesen Preis gibt, dass es eben kein "Geschenk" war, das man an einem Ziel angelangt ist, sondern dass man dafür auch Opfer gebracht hat.

            Oder umgekehrt: dass man nicht bereit ist, für ein bestimmtes Ziel so viel zu opfern, dass man sich über das Erreichen gar nicht mehr freuen könnte.....nur soll man dann aber eben auch nicht hadern, dass man dort nicht angelangt ist.

            Wichtig scheint mir, bewusste Entscheidungen zu treffen, diese ggf. auch zu hinterfragen und sich dessen bewusst zu sein, dass man immer einen Preis zahlt....Zeit, Aufwand, Kontaktabbrüche, Einsamkeit, es gibt 1000e von "Währungen".