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Unrecht bleibt bestehen

Der vielfach vorbestrafte Ibrahim M. wurde zweimal rechtswidrig in den Libanon abgeschoben, urteilt das Bremer Verwaltungsgericht. Vor 2026 darf er trotzdem nicht wieder nach Deutschland einreisen

Vom Bremer Flughafen wurde Ibrahim M. 2019 gleich zweimal abgeschoben Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Von Jan Zier

Von Ibrahim M. hat meist auch eine Meinung, wer ihn nicht kennt. Allein schon der Nachname! In aller Regel ist dann von einem „Clan“ die Rede, also: von einem kriminellen kurdischen Familienclan. Und Ibrahim M. gilt den allermeisten als der „Clan-Chef“, sei es nun in der Bild, der Zeit oder der Süddeutschen, von den Kommentarspalten sozialer Medien ganz zu schweigen.

Auch der Staat, gerade in Bremen, der Herrn M. über 30 Jahre in der Stadt geduldet hat, sieht in ihm vor allem einen schwer kriminellen Serienverbrecher: 24 Einträge im Bundeszentralregister. Elf Haftstrafen. Über zehn Jahre „Hafterfahrung“. Routiniert zählt Bremens Prozessvertreterin vor dem Verwaltungsgericht auf, was es aus ihrer Sicht über den Endvierziger zu wissen gibt. „Statistisch gesehen besteht ein sehr hohes Rückfallrisiko“, sagt sie dann noch. So einen wollen sie nicht wieder hier im Land haben, wenn es irgend geht.

2019 wurde er gleich zweimal in den Libanon abgeschoben. Und zwar „rechtswidrig“, wie das Bremer Verwaltungsgericht am Montag urteilte, unter „grober Missachtung“ des Bremer Verwaltungsgerichts. Für ihn ändert sich damit aber erst einmal gar nichts.

Auch wenn die letzte Straftat, die M. nachgewiesen werden konnte, schon acht Jahre her ist und die letzte Strafe lange abgesessen. Auch wenn er inzwischen eine kleine Tochter in Hamburg hat, auch wenn seine alleinerziehende Verlobte heute über ihn sagt: „Er ist ein super Papa, er ist ein super Partner.“ Er habe „ganz deutlich einen anderen Weg eingeschlagen“, sagt auch sein langjähriger Verteidiger Albert Timmer vor Gericht über ihn. Aber kann man dem auch glauben? Und wenn ja: Hat so einer dann noch mal eine Chance bei uns verdient?

Erst einmal nicht, urteilen die Bremer Verwaltungsrichter*innen. Von Ibrahim M. „geht weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus“, haben sie entschieden. Deswegen bleibt das siebenjährige Einreise- und Aufenthaltsverbot, das Bremen ihm 2019 auferlegt hat, auch weiterhin bestehen. „Das ist nicht unverhältnismäßig“, findet das Verwaltungsgericht, das da auch „keinen Ermessensfehler“ finden kann. Vor 2026 darf M. also nicht wieder nach Deutschland kommen. Dann ist sein Sohn erwachsen, die Tochter in der Grundschule. „Für die Kinder ist das ganz schwer“, sagt die Mutter Ariana B. während des Prozesses.

Das Verwaltungsgericht hatte sie in den großen Saal des Konzerthauses „Glocke“ geladen, der in Bremen gleich neben Dom und Rathaus liegt. Dort tagte es nun, in weitem Abstand, auf ganz großer Bühne. Das wenige Publikum verliert sich in den vorderen Reihen, die meisten Leute dort sind Jour­na­lis­t*in­nen.

Die Verlobte, eine 34-jährige Hotelfachfrau aus Hamburg, sagt von sich, sie sei weder Libanesin noch Araberin; wie ihre beiden Kinder ist sie Deutsche. Zu Bremen habe sie „keinen Bezug“, erklärt sie bestimmt, und dass sie „nicht aus einer kriminellen Familie kommt“. Mit einer solchen wolle sie auch nichts zu tun haben. Kurz nachdem sie Ibrahim M. kennengelernt hat, vor über 14 Jahren, war deshalb auch gleich wieder Schluss, auch wenn sie da schon von ihm schwanger war. Zueinander gefunden haben die beiden dann erst wieder, als der Sohn schon fast zehn war und nach seinem Vater fragte.

Der saß gerade mal wieder im Knast. In seinem Vorstrafenregister geht es oft um Raub, Erpressung und Drogenhandel, 1989 wurde er das erste Mal verurteilt, damals war das noch eine Jugendstrafe und M. gerade mal drei Jahre in Deutschland. „Klar, er hat Mist gebaut“, sagt Frau B., „aber er hat mir versichert, dass er mit der kriminellen Vergangenheit abgeschlossen hat.“

Im Sommer 2019 wurde M. abgeschoben. Die Polizei holte ihn nachts aus dem Bett, fesselte ihn, verstöpselte ihm die Ohren und teilte ihm erst mit, dass er abgeschoben werde, als er fast schon in Beirut gelandet war. Ein Fehler, entschied das Gericht nun. Denn M. hatte zu dem Zeitpunkt noch eine gültige Duldung, und hätte ein Recht darauf gehabt, von seiner geplanten „Rückführung“ zu erfahren. Und zwar noch in Deutschland. M. habe nach all den Jahren nicht mit einer Abschiebung gerechnet“, sagt Anwalt Timmer. Das war für uns „ein Schock“, sagt seine Verlobte. Und immerhin war die Ausweisungsverfügung da schon 13 Jahre alt.

Über 30 Jahre war Ibrahim M. hierzulande geduldet, mehr als zehn davon saß er in Knästen ein. Ändert sich so einer?

Kurze Zeit später war der staatenlose M. wieder in Deutschland und stellte einen Asylantrag. Der wurde zwar bald als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, doch an das Versprechen, ihn vor dem 27. November 2019 nicht erneut abzuschieben, hat sich Bremens Innenbehörde nicht gehalten. Ein paar Tage vor der Geburt seiner Tochter sitzt M. wieder im Flieger in den Libanon. Weil Bremens Innenbehörde damit aber das Verwaltungsgericht dreist angelogen hat, ist auch die zweite Abschiebung rechtswidrig. Laut Grundgesetz hätte M. Anspruch auf „effektiven Rechtsschutz“ gehabt. Der wurde ihm glatt verwehrt.

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) wollte lieber demonstrieren, wie er mit starker Hand gegen Familie M. vorgeht. Timmer nennt die Abschiebung „medial inszeniert“: An ihm habe „ein Exempel statuiert werden“ sollen.

Das wird so bleiben, als Nächstes wird sich das Oberverwaltungsgericht mit dem Fall befassen müssen, weitere Instanzen werden folgen.

Derweil lebt Herr M. als Aushilfshausmeister unter ärmlichen Bedingungen, sagt seine Familie, fürchte eine „Blutrache“ der Hisbollah und habe kein Geld, zum Arzt zu gehen. Beinahe, erzählt der Anwalt noch, hätte ihn 2020 die gewaltige Explosion in Beiruts Hafen dahingerafft. Manchem in Bremen wäre das ja ganz recht gewesen.

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