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Inklusives Theaterfestival „Mittenmang“Die Rettung der Scheißwelt

In Bremen hat das inklusive Theaterfestival „Mittenmang“ begonnen. Zum Auftakt stiften Schelhas CoOperation einen feministischen Mythos.

Ohne kommt kein Mythos aus: Orakel mit zweifelhaften Absichten Foto: Thilo Beu

Ein bisschen anmaßend ist es ja schon, noch heute Abend einen neuen Mythos stiften und damit die Welt retten zu wollen. Andererseits: Wo sollte so was schon gelingen, wenn nicht hier? Es ist Theaterfestival – und zwar nicht irgendeines, sondern „Mittenmang“, das sich der Inklusion verschrieben hat in einer Sphäre, die schon im Durchschnittsbetrieb hart an der Kante arbeitet – so von wegen Geld, Anerkennung und Selbstausbeutung. Zum Auftakt am Mittwoch begaben sich nun drei (echte) Schwestern auf eine (fiktionale) Heldinnenreise: „Der Mythos beginnt! Ein Schwesternprojekt“ der Künstlerinnengruppe Schelhas CoOperation.

Und das war außerordentlich schön. Schon fürs Auge, weil Bühnen- und Kostümbildnerin Larissa Jenne die Schelhas-Schwestern Elisabeth, Christina und Theresa in stylische Trashklamotten gesteckt hat: mit Fransen, Knie- und Schulterschutz – und so einer schwer zu fassenden 80er-Jahre-Glam-Power, die einen die ganze Zeit nach E-Gitarren und Rollschuhen suchen lässt, obwohl beide nicht vorkommen im Stück. Einfacher zu beschreiben ist die Geschichte: Vor circa 2.000 Jahren kam den Göttinnen der goldene Stift abhanden, mit dem sie sonst Geschichte und Wirklichkeit schreiben. Weil mit der Welt alles schiefläuft, seit er „in die falschen Hände“ geriet, werden drei Heldinnen ausgesandt, ihn wieder zurückzuholen.

Dass der weitere Verlauf zwar vorhersehbar ist und sich dennoch extrem richtig und gewichtig anfühlt, ist das eigentliche Kunststück der Produktion. Heldin Elisabeth kommt nämlich auf die Idee, nicht groß aufs Schicksal zu warten, sondern einfach selbstbestimmt auf die schematische „Heldinnenreise“ zu gehen, von der sie in ihrem Kulturwissenschaftsstudium gehört hat. Die Rede ist vom Monomythos, wie ihn Ende der 1940er-Jahre etwa Joseph Campbell aufgeschrieben hat: eine Sammlung von Archetypen, Motiven und ganzen Handlungsabläufen, wie sie so oder so ähnlich in praktisch allen Kulturkreisen der Welt erzählt wurden.

Vielleicht kommt Ihnen das ja auch bekannt vor: Ein Held wird berufen, geht los, verweigert sich irgendwann kurz, wird verraten, dafür aber von einer dubiosen Vaterfigur wieder aufgepeppelt, auf die Probe gestellt und am Ende belohnt. Garniert wird das Spektakel mit allerlei Monstern und Angstbildern, an denen Psy­cho­ana­ly­ti­ke­r:in­nen ihre hellste (oder auch dunkelste) Freude haben.

Ästhetik plus Lebenswelt

Bis hierhin könnte man also sagen: Schelhas CoOperation erzählen die abgedroschenste Geschichte der Welt zum wohl milliardsten Mal. Das ist zwar Quatsch, aber es lohnt trotzdem, den Gedanken einen Moment festzuhalten. Weil modernes Theater sonst ja wirklich heftige Probleme damit hat, stringente Geschichten zu erzählen, die auch außerhalb der Bubble irgendwen interessieren. Das Mittenmang-Festival (und die inklusiven Künste im Ganzen) können hingegen zuverlässig damit auftrumpfen, ihrerseits zwar auch ästhetische und dramaturgische Grenzen auszuloten – dabei aber eine Lebensweltlichkeit an den Tag zu legen, wie sie sonst selten ist.

Das Festival

Mittenmang-Festival: bis Sonntag, 11. 7., Theater Bremen. Hier gibt es das vollständige Programm

Das ist nicht zufällig so und auch nicht erst seit diesem Jahr. Mit seiner inzwischen vierten Ausgabe setzt das zweijährliche Mittenmang-Festival seinen bewährten Kurs fort, künstlerischen Anspruch und gesellschaftspolitische Agenda nahtlos zu verzahnen. Geleitet wird das Festival von Andreas Meder, der wiederum in enger Zusammenarbeit mit dem Bremer Theater und dem inklusiven Blaumeier Atelier für die Lebenshilfe gGmbH Kunst und Kultur aus Mainz arbeitet.

Wichtig ist das, weil hier Mitte der 1990er-Jahre so was wie die Keimzelle inklusiver Theaterfestivals in Deutschland entstand. „Grenzenlos Kultur“ ist damals vom Experiment zur bleibenden Institution geworden – und schließlich als Vorbild für bundesweit immer neue inklusive Festivals und Veranstaltungsformate exportiert worden.

Das Erfolgsmodell ist auch deshalb eins, weil Theater von Menschen mit Behinderung ganz automatisch Fragen aufwirft und zuspitzt, die Theaterbetrieb und Gesellschaft im Ganzen betreffen: die nach Möglichkeiten von Teilhabe etwa, nach Normierung und Diversität, nach authentischem Auftritt und dem permanenten Zwang, einer zugewiesenen Rolle unbedingt gerecht zu werden und sie dennoch zu hinterfragen.

Star Wars, Buffy & Nintendo

Zurück zur Heldinnenreise. Die ist nämlich mitnichten der x-te Aufguss, sondern deren nächste Reflexionsstufe. Natürlich weiß nicht nur Elisabeth Schelhas („Ich bin ja Kulturwissenschaftlerin“), dass Campbells Monomythos nicht nur literarische und psychologische Motive durchsortiert, sondern längst auch als Blaupause für Pop und Kulturindustrie herhält. Über George Lucas geht etwa die Legende um, er habe bei „Star Wars“ kaum mehr gemacht, als Campbells Schablone mit campy Weltraumzeug auszustaffieren.

Und es ist sicher kein Zufall, dass Schelhas CoOperation den Auftakt ihres Stücks nun mit dem „Star Wars“-Titelthema aus dem Lautsprecher untermalen. Folgt man dieser musikalischen Spur weiter, bezeugt wenig später auch ein hübscher Remix des Titelsongs von „Buffy the Vampire Slayer“, worum es hier geht. Buffy ist nämlich nicht nur die Lieblingsserie poplinker Theorieproduktion, sondern auch eine der klügsten und weitreichendsten Demontagen erst maskuliner und dann grundsätzlich aller einzelkämpferischen Heldenfiguren.

Bevor es hier nun aber weiter um irgendwelches Nerdwissen gehen soll, wie zum Beispiel die Frage, aus welchem Teil von Nintendos Videospielserie „Zelda“ die Schelhas-Schwestern ihre Reisemusik geklaut haben (es ist der dritte und beste: „A Link to the Past“), wollen Sie sicher viel dringender wissen, was das alles mit Behinderung zu tun hat. Und das ist tatsächlich eine schwierige Frage.

Normalität als Endgegner

Theresa Schelhas, die jüngste der drei Schwestern, hat Downsyndrom. Die in Videoeinspielern vor mandalamäßig-esoterischen Animationen auftretenden Göttinnen auch – das ist übrigens ein Gastauftritt der Gruppe „Meine Damen und Herren“ aus Hamburg. Und die Diagnose spielt auch inhaltlich eine Rolle, als ein Orakel den Heldinnen nicht nur in Sachen ritterliche Heldenreise weiterhilft, sondern ihnen nebenbei auch erzählt, was die je anderen beiden Schwestern über sie denken.

Da ist „Du stellst deine Behinderung immer in den Mittelpunkt“ schon ein harter Satz. Später wird der noch in Gestalt eines mehrköpfigen grünen Monsters zurückkehren – und von Theresa Schelhas mustergültig zusammengeschlagen. Andererseits stecken die anderen Schwestern aber auch nicht weniger ein, wenn etwa der Bösewicht sich am Ende über „zwei kinderlose Weiber und eine Behinderte“ amüsiert.

Schließlich schlagen wir alle uns immer wieder mit Dingen herum, die uns irgendein Vollarsch als Unzulänglichkeit verkaufen will, obwohl sie gar keine sein müssten. Und darum geht es wohl. Und darum, dass längst nicht alles Okay ist, nur weil jemand „Inklusion“ draufgeschrieben hat. Das macht im Stück selbst der Endgegner, als er den Schwestern die Rechte an ihrer Geschichte abkaufen will. Und damit wären wir wieder ganz am Anfang von Welt und Festival, bei der ersten Station von Tausenden Jahren Heldenreise: dem Unbehagen mit einer Welt, die dringend anders werden muss.

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