Dänemark vor EM-Halbfinale gegen England: Auf Abenteuerreise
Das dänische Team wird von einer europaweiten Sympathiewelle beflügelt. In der Heimat sind die Fans vom Einzug ins EM-Finale überzeugt.
„Damals hatten wir uns ein Ziel gesetzt“, erzählte Thomas Delaney, Torschütze beim 2:1 über die tschechische Nationalmannschaft, nach dem Viertelfinalsieg in Baku: „Wir kommen nach Wembley zurück.“ Damals, das war nach dem Uefa-Nations-League-Match am 14. Oktober letzten Jahres, das Dänemark mit 1:0 gegen England gewonnen hatte. Dem ersten Sieg der dänischen Fußballmänner über England in Wembley seit 1983 und mit Christian Eriksen als Torschützen. Nun spielen sie also am Mittwoch um 21 Uhr tatsächlich wieder in Wembley. Und nicht nur das: Der Gegner ist auch erneut England.
Wenn es nach den meisten Fans der Rot-Weißen geht, so steht auch schon so gut wie fest, dass nun gleich zwei Spiele in Wembley anstehen: erst das Halbfinale und am kommenden Sonntag das Finale. Und die dänischen Medien sind natürlich voll mit Geschichten von 1992. Wie es damals war, als sich die Nationalelf erst einmal nicht für die Europameisterschaft in Schweden qualifizieren konnte, schließlich nur wegen des Ausschlusses von Jugoslawien doch noch dabei war und dann völlig unerwartet bis ins Finale kam, das man gegen den hohen Favoriten Deutschland gewann.
Gibt es da nicht Parallelen zu der diesjährigen EM 2020? Eine dänische Elf, die vorab nicht zu den Favoriten gezählt wurde und die erst den schweren Schock nach dem Herzstillstand von Christian Eriksen im Auftaktspiel wegstecken musste. Die – traumatisiert, wie sie war – erst eine Niederlage gegen Finnland und auch eine unglückliche zweite gegen Belgien einstecken musste. Und der mit einem deutlichen 4:1 im letzten Gruppenspiel gegen Russland doch noch der Einzug in die Schlussrunde gelang. Von einem „Rausch“ und einem „Fußballwunder“ sprachen da viele Kommentare.
Das sei doch „ein Abenteuer, wie man es einfach lieben muss“, meint Delaney: „Mir scheint, als ob wir in den Ländern, deren Mannschaften ausgeschieden sind, so etwas wie die Ersatzelf geworden sind, der man jetzt die Daumen drückt.“ Und er fügt hinzu: „Ich will nicht übertreiben, aber das, was wir da gerade nicht nur national, sondern auch international als regelrechte Sympathiewelle erleben, das beflügelt uns wirklich richtig.“ Der noch bei Borussia Dortmund unter Vertrag stehende Mittelfeldspieler hofft ebenfalls, an 1992 anknüpfen zu können: „Meine Generation ist ja mit der Legende von 1992 aufgewachsen. Und, was so verdammt cool ist: Jetzt machen wir vielleicht auch so eine Reise.“
Fürsorglicher Krieger Delaney
Wie wichtig gerade Delaney selbst für diese Reise ist, haben nicht nur die Fans verstanden, die ihm sogar einen eigenen Song nach der Melodie des Klassikers „Can’t Take My Eyes Off You“ gewidmet haben: „Thomas Delaney, er hat so wunderschönes Haar.“ Auch Nationaltrainer Kasper Hjulmand hebt ihn als einen Schlüsselspieler hervor: „Thomas ist von unschätzbarem Wert. Er ist von Natur aus ein Anführer, er hat eine unglaubliche Persönlichkeit und hat dazu beigetragen, diese Nationalmannschaft aufzubauen. Sowohl menschlich als auch fußballerisch spielt er eine sehr große Rolle. Er ist willensstark und er ist ein Krieger und gleichzeitig fürsorglich.“
Vor allem aber würdigen die dänischen Medien nach anfänglicher Skepsis beim Amtsantritt im letzten Jahr Trainer Hjulmand als Architekten dieser Mannschaft. Der vom FSV Mainz 05 im Jahr 2015 nach nur acht Monaten mit der Begründung gefeuerte Trainer, er habe der Bundesligamannschaft „Leidenschaft, Kampfgeist, Aggression und Konsequenz“ nicht vermitteln können, wird nun dafür gelobt, dass ihm gerade das so perfekt gelungen sei.
In London muss Dänemark pandemiebedingt auf seine Fans verzichten. Als kleinen Ersatz haben einige Gemeinden schnell noch in Großbildschirme für Public Viewing investiert. „Man könnte vielleicht kritisieren, dass wir die mehr als 1 Million Kronen (ca. 140.000 Euro) auch besser anlegen können“, meint Dan Anløv Jørgensen, Vorsitzender des Kulturausschusses der Stadt Vejle: „Aber nach der langen Coronazeit haben die Menschen einfach Anspruch auf ein Volksfest.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Streitgespräch über den Osten
Was war die DDR?
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Ausschreitungen in Amsterdam
Ein hitziges Nachspiel