Verfassungsschutz in Niedersachsen: Mehr Spitzel, weniger Bürgerrechte

Der niedersächsische Innenminister weitet die Befugnisse des Verfassungsschutzes aus und beschneidet die Auskunftsrechte von Bespitzelten.

Das Gesicht des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, angezeigt auf dem Kontrollmonitor einer Kamera

Anfangs versuchte Boris Pistorius (SPD) noch beim Verfassungsschutz aufzuräumen. Das ist vorbei Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HANNOVER taz | Am Dienstag, 6. Juli soll im niedersächsischen Landtag über die Reform des Verfassungsschutzgesetzes entschieden werden. Der erste Entwurf der Regierungskoalition hatte im September für viel Kritik gesorgt. Die entzündete sich vor allem an drei Kernpunkten: Der Ausweitung der Befugnisse bei der Beobachtung von Minderjährigen unter 16 Jahren, dem deutlich erleichterten Einsatz von V-Leuten und der Aushöhlung der Auskunftsrechte Betroffener.

Bemerkenswerterweise hatte nicht nur die Opposition aus FDP und Grünen am Entwurf der Regierungskoalition einiges auszusetzen – auch die neutralen Ju­ris­t*in­nen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes fanden den Entwurf des Innenministeriums in Teilen hochproblematisch und verfassungsrechtlich bedenklich.

Am wenigsten Diskussionen gab es innerhalb des Gesetzgebungsprozesses mit der Absenkung der Altersgrenze, ab der auch bei Jugendlichen Akten angelegt werden dürfen. Das soll künftig in begründeten Fällen schon bei 14-Jährigen gehen – und nicht erst ab 16.

Das Innenministerium verkauft dies erfolgreich als Lektion aus dem Fall Sofia S. – jener 15-jährigen Salafistin, die im hannoverschen Hauptbahnhof einen Bundespolizisten mit einem Messer attackierte und schwer verletzte.

V-Mann-Einsatz scheidet die Geister

Die Grünen monierten hier zwar, dass bei dieser Altersgruppe jawohl eher So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen als Ver­fas­sungs­schüt­ze­r*in­nen gefragt seien – letztlich scheint es hier aber um wenige und extreme Einzelfälle zu gehen.

Sehr viel strittiger, auch in der Gesetzesanhörung im Ausschuss, waren die Passagen des Gesetzes, die sich mit der Ausweitung des Einsatzes von V-Männern befassen.

Hier scheiden sich die Geister: Die einen verweisen auf die zahlreichen V-Männer im Umfeld des NSU, die rein gar nichts dazu beigetragen haben, die rassistische Mordserie zu verhindern oder aufzuklären. Vor allem die Grünen verweisen an dieser Stelle gern darauf, wie oft schon Szeneangehörige mit Steuermitteln ausgestattet wurden, die dann rechte Strukturen ausbauten.

Die andere Seite, vor allem die CDU, hält „Vertrauenspersonen“, wie es korrekterweise heißt, für das wichtigste, effektivste und unverzichtbarste nachrichtendienstliche Mittel überhaupt. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sollte ihren Einsatz deutlich erleichtern. So sollten nicht nur Gruppen infiltriert werden dürfen, die als „Beobachtungsobjekte“ eingestuft sind, sondern auch „Verdachtsobjekte“.

Die entsprechende Passage dazu war allerdings so formuliert, dass auch einige Einschränkungen gleich mit kassiert worden wären – etwa, dass es deutliche Hinweise auf Gewaltbereitschaft geben oder die Gruppe von erheblicher Bedeutung sein muss. Damit wäre der Ermessensspielraum der Behörde erheblich ausgedehnt worden – denn auch die Kontrollinstanzen, wie etwa die G10-Kommission, können nur das prüfen, was gesetzlich festgelegt ist.

Stefan Birkner, FDP-Fraktionsvorsitzender

„Das kommt einer Aushöhlung des Auskunftsrechtes gleich“

Dies gehörte zu den Stellen, an denen der Beratungsdienst erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken anmeldete – und das Gesetz letztlich nachgebessert werden musste. Für die FDP wurden damit wesentliche Bedenken ausgeräumt, erklärt Fraktionschef Stefan Birkner (FDP) bei einem Pressegespräch vor der Landtagssitzung.

Die Grünen sind weiter skeptisch: „Es ist gut, dass hier nachgebessert wurde, aber grundsätzlich bewerten wir den immer früheren Einsatz von V-Leuten negativ“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer und rechtspolitische Sprecher Helge Limburg.

Ein Punkt, den beide Oppositionsparteien nach wie vor kritisch bewerten, ist das, was Birkner eine „Aushöhlung des Auskunftsrechtes“ nennt. Künftig muss jeder, der vom Verfassungsschutz wissen möchte, was der Dienst über ihn gespeichert hat, darlegen, weshalb er denn überhaupt glaubt, ins Visier geraten zu sein. Das ist auf mehreren Ebenen problematisch: Zum einen beschränkt sich das Auskunftsrecht dann auch auf den genannten Anlass – der Dienst muss also nicht sagen, was er sonst noch alles gespeichert hat.

Zum anderen kommt das einer Selbstbezichtigung gleich. Wer bisher noch gar nicht auf dem Radar war, landet so erst darauf. „Man hätte zumindest ausschließen können, dass diese Auskunftsersuchen in den Akten landen und gegen die Betreffenden verwendet werden“, sagt Limburg. Aber auch das sei nicht gewollt gewesen.

Anlass zum Misstrauen

Dabei hat der niedersächsische Verfassungsschutz genug Anlass zum Misstrauen geliefert: In den letzten zehn Jahren geriet er immer wieder in die Schlagzeilen, weil er entweder Leute überwachte, die er nicht hätte überwachen dürfen, wie Jour­na­lis­t*in­nen oder Po­li­ti­ke­r*in­nen der Linken. Oder weil er aufgrund von Verwechslungen andere unbescholtene Bür­ge­r*in­nen ins Visier nahm.

Die Regierungskoalition argumentiert vor allem damit, dass das vorherige Auskunftsrecht zu weit gefasst gewesen sei – einzelne Gruppen hätten es benutzt, um die Behörde dauerhaft beschäftigt zu halten und detaillierte Einblicke in die Aufklärungsstrategien zu gewinnen. Mit der Novellierung würde man sich den Regelungen auf Bundesebene und in anderen Ländern annähern.

Das möge ja sein, meint Birkner, aber mit dieser Regelung sei man wieder einmal über das Ziel hinausgeschossen. Und er erinnert daran, dass der einzige V-Mann, der bisher über Auskunftsersuchen aufgeflogen ist, immer noch der war, der vom Verfassungsschutz selbst enttarnt wurde.

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