Tanzen im Berliner Umland: Ein Festivalchensommer
Mit Hygienekonzepten wollen Veranstalter in diesem Sommer wieder kleinere Festivals anbieten. Sie hoffen auf klare Vorgaben der Politik.
Glitzer ins Gesicht, Zelt eingepackt und ab in den überfüllten Regio Richtung Brandenburg, um dort für ein paar Tage zu wummernden Bässen die Realität zu vergessen: Sommer ist Festivalsaison, kaum ein Wochenende, wo nicht irgendwo auf einem abgelegenen Acker im Berliner Umland getanzt wird.
Beziehungsweise wurde, denn durch die Pandemie fiel die Festivalsaison 2020 fast komplett aus. Angesichts niedriger Inzidenzen und voranschreitender Impfkampagne kann man in diesem Sommer aber deutlich optimistischer sein: Es darf bald wieder getanzt werden!
Dabei stand auch die diesjährige Saison lange auf der Kippe. Noch vor wenigen Monaten war die dritte Coronawelle in vollem Gange und die halbgaren Maßnahmen der Bundesnotbremse ließen kein schnelles Ende der Pandemie erwarten.
Für die Organisator:innen ein Albtraum, denn die Vorbereitung eines Musikfestivals ist ein enormer logistischer Aufwand und erfordert viel Vorlauf. Vom Booking der Künstler:innen über Materialbeschaffung bis hin zur Infrastruktur wie Technik und Sanitäranlagen: Ab einem bestimmten Zeitpunkt müssen die Organisator:innen zum Teil Zahlungsverpflichtungen eingehen.
Auch wenn finanzielle Verluste zum Teil durch Coronahilfen ausgeglichen würden, falle es schwer, die oftmals unbezahlte Zeit und Energie in ein Festival zu stecken, das womöglich gar nicht stattfindet. „Wir brauchen vor allem Planungssicherheit“, begründet Linus Neumann, Pressesprecher des Kulturkosmos e. V., daher die Absage des Fusion Festival Anfang Mai. Der Verein organisiert das im mecklenburgischen Lärz stattfindende Musik-, Kunst- und Theaterfestival, das in präpandemischen Zeiten jährlich rund 70.000 Gäste anzog.
Referenzpunkt Fusion
Das Fusion Festival ist eine Art Referenzpunkt für Festivalfreunde. „Gehst du zur Fusion?“ ist eine Frage, die man öfter hört, je mehr das letzte Juniwochenende naht. Im März hatten die Veranstalter:innen zunächst angekündigt, die Fusion 2021 fände statt: mit einem eigenen Labor für PCR-Tests.
„Wir haben viel Zuspruch für unser Konzept erhalten“, erinnert sich Neumann, „aber bis Ende Mai war komplett unklar, ob das Festival überhaupt genehmigt werden kann.“ Bis dahin war die Coronaverordnung des Bundeslandes gültig, die sämtliche Großveranstaltungen untersagte.
Ähnlich erging es vielen kleineren Festivals: Zum unberechenbaren Pandemiegeschehen gesellten sich unklare politische Vorgaben – Risiken, die schnell in ein finanzielles Fiasko führen können. Viele Veranstalter:innen hat bereits der Ausfall im vergangenen Jahr finanziell stark belastet; ein weiteres Jahr wäre kaum verkraftbar. „Wir sind von der Pandemie schwer angeschlagen“, schildert Alexander Dettke vom Lausitzer Festival Wilde Möhre die Lage.
Da das Risiko eines Ausfalls bei kleineren Veranstaltungen geringer ist, teilt die Möhre, wie viele andere Festivals, die Besucher:innen auf mehrere Wochenenden auf. Schon 2020 bewährte sich dieses Konzept, damals war die Zahl auf tausend Besucher:innen pro Veranstaltung limitiert. Für dieses Jahr erhoffen sich die Veranstalter:innen, mehr Tickets pro Veranstaltung verkaufen zu können. „Ein Festival in dieser Form mit tausend Leuten ist kaum kostendeckend möglich“, erklärt Dettke. Schon letztes Jahr konnte das Festival nur stattfinden, weil viele Künstler:innen und Beteiligte auf ihre Gage verzichteten. „Dieses Jahr wollen wir die Leute ordentlich bezahlen.“ Dazu kommen auch noch die vielen Tickets aus dem letztjährigen Vorverkauf, die noch gültig sind.
Die Politik ist gefragt
Obwohl die Zeit rennt, fehlen derzeit immer noch tragfähige Angaben aus der Politik. Dettke und seine Mitstreiter:innen fühlen sich im Stich gelassen. „Es wird Zeit, den Menschen ihre Freiheit zurückzugeben und die professionellen Veranstaltungskonzepte zu würdigen“, fordert er. Eine pauschale Beschränkung wie etwa auf 1.000 Teilnehmer:innen hält er angesichts des ausgeklügelten Infektionsschutzkonzeptes und der positiven Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr für wenig zielführend.
Einen etwas anderen Weg gehen das Wurzelfestival und die Nation of Gondwana. Beide gelten offiziell als Modellprojekte, wo die Wirksamkeit von Hygienemaßnahmen bei Großveranstaltungen erforscht werden soll. „Die Erkenntnisse werden wichtig sein für spätere Pandemien“, ist sich Björn Oesingmann, Mitbegründer des „Zurück zu den Wurzeln“-Festivals, sicher. An vier Wochenenden im August und September wird das Festival stattfinden, mit jeweils 3.500 Menschen. Unter den Feierwütigen tummeln sich dann auch Forscher:innen der Medizinischen Hochschule Brandenburg.
„Es wird beinahe unmöglich sein, sich auf unserem Festivalgelände zu infizieren“, versichert Oesingmann, dafür habe man zum Beispiel eigens sensible Tests und medizinisches Fachpersonal angeworben. Sogar einen Coronaspürhund der Bundeswehr wollten die Veranstalter:innen einsetzen, der war aber zu der Zeit nicht verfügbar.
Auch die Wilde Möhre setzt auf ein ausgeklügeltes Infektionsschutzkonzept. Um auf das Festivalgelände zu gelangen, müssen sich die Besucher:innen alle 24 Stunden in einem Testzentrum auf dem Zeltplatz testen lassen. Das Ergebnis wird auf einen Chip auf dem Festivalarmband geschrieben, den die Besucher:innen beim Eingang dann scannen lassen müssen. Dazu kommt wohl eine Masken- oder Abstandspflicht.
Der Kulturkosmos, der Ende August als Ersatz für die Fusion drei kleinere Festivals unter dem Namen Plan:et C veranstaltet, hat sich gleich ein ganzes Labor für PCR-Tests besorgt, in dem alle Besucher:innen vor dem Betreten des Festivalgeländes getestet werden sollen. So könnte auch Feiern ganz ohne Maske möglich sein. „Es wird bestimmt ein geiler Moment, wenn nach zwei Jahren viele von uns zusammenkommen und ohne Sorgen tanzen können“, freut sich Linus Neumann schon.
Etwas getrübt wird die Freude dadurch, dass es sich, wie der Name Plan:et C schon nahelegt, immer noch nicht um eine „echte“ Fusion handelt. Zwar sind die 10.000 Teilnehmer:innen, mit denen der Kulturkosmos plant, im Vergleich zu anderen Festivals viel, für Fusion-Verhältnisse aber sehr wenig. „Das wären normalerweise die Crew und Supporter“, ordnet Neumann die Größenverhältnisse ein. Dementsprechend müssten auch bei der Festivalproduktion Abstriche gemacht werden. „Wir mussten vielen Crews schweren Herzens absagen“, erklärt Neumann. Das sei besonders schade, da die Fusion für viele der beteiligten Kollektive eine sehr wichtige Rolle spiele. „Die Strukturen brechen langsam zusammen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir dieses Jahr überhaupt etwas veranstalten“, so der Festivalsprecher.
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