Partybilanz des Sommers: Der große Festivalkater

Überschaubarer Andrang, steigende Kosten: Die Freude über das Ende der Corona-Auflagen währte bei vielen Fes­ti­val­or­ga­ni­sa­to­r:in­nen nur kurz.

Menschen stehen auf dem Gelände des Fusion-Festivals

Hat ordentlich Miese gemacht: das Fusion-Festival Foto: imago

BERLIN taz | Die Temperaturen sinken, die Tage werden kürzer und der Festivalsommer neigt sich seinem Ende zu. Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie konnte in diesem Sommer auf den Äckern des Berliner Umlands wieder weitgehend ohne Einschränkungen getanzt, gelacht, gefeiert werden. Doch der erhoffte Befreiungsschlag für die krisengeplagte Branche war das nicht: Preissteigerung, Personalmangel und schleppende Ticketverkäufe brachten viele Ver­an­stal­te­r:in­nen in Bedrängnis.

„Wir haben einen extremen Kostenanstieg von bis zu 250 Prozent in einzelnen Bereichen gehabt“, berichtet Lara Wassermann, Sprecherin des Festivals „Zurück zu den Wurzeln“, das mit rund 8.000 Be­su­che­r:in­nen im Juni im brandenburgischen Niedergöhrsdorf stattfand.

Grund für die enormen Preissteigerungen sind – wie auch viele andere von der taz befragten Ver­an­stal­te­r:in­nen berichten – neben den höheren Energiepreisen vor allem die starke Nachfrage nach Veranstaltungstechnik. Schließlich wurden in diesem Sommer auch zahlreiche, eigentlich in kälteren Jahreszeiten stattfindende Konzerte, Messen, Kongresse und Firmenevents nachgeholt, die wegen Corona teils mehrfach verschoben worden waren.

Dadurch hat sich ein Effekt verstärkt, der schon in den Jahren kurz vor Corona sichtbar war: Damals hatte ein regelrechter Festivalboom eingesetzt, der sich nun fortsetzt. „Sehr viele kleinere Kollektive haben angefangen, Festivals zu organisieren“, berichtet Wassermann, „der Markt platzt aus allen Nähten.“

Denn dringend benötigte Infrastruktur wie Soundanlagen, mobile Toiletten und Bauzäune sind nur in begrenzten Maße vorhanden – die Folge ist eine Preisexplosion in fast allen Bereichen. „Gerade bei den Dixis galt das Gesetz: Wer zahlt am meisten“, nennt Wassermann ein Beispiel. Man habe auch von Festivals gehört, bei denen die Toilettenkabinen zwei Wochen vor Festivalbeginn vom Anbieter wieder abgezogen wurden, weil ein anderer Kunde mehr Geld auf den Tisch legte.

Die Preise für Tickets haben sich bei vielen Festivals fast verdoppelt

Eine weitere Folge der hohen Nachfrage in der Branche war ein Mangel an Fachkräften. Veranstaltungstechniker:innen, Security- und Barpersonal waren nicht nur schwer zu bekommen, sondern erhöhten auch ihre Preise. „Wir haben viele gute Leute an andere Festivals verloren, weil wir Tagessätze in der geforderten Höhe nicht mehr zahlen konnten“, erklärt Ronny Mollenhauer die Herausforderungen der diesjährigen Festivalproduktion. Mollenhauer ist Organisator des „3.000 Grad“. Das im mecklenburgischen Feldberg stattfindende Elektro-Festival ist auch in der Berliner Clubszene eine etablierte Größe.

Sowohl das „Zurück zu den Wurzeln“- als auch das „3.000 Grad“-Festival schafften es trotzdem, den Sommer ohne Verlust zu überstehen. Erreicht werden konnte das durch stark erhöhte Ticketpreise. Kostete ein Ticket für das „Zurück zu den Wurzeln“ 2019 noch etwas über 100 Euro, waren in diesem Jahr mehr als 170 Euro fällig. Ein Preisbereich, indem sich aktuell viele Festivals bewegen.

Doch selbst durch die gestiegenen Eintrittspreise ließen sich nicht alle Kosten kompensieren. „Am Ende hat die Kultur gelitten“, berichtet Mollenhauer etwas wehmütig. Der Veranstalter sah sich gezwungen, Künst­le­r:in­nen zu stornieren und das kulturelle Angebot zu verkleinern.

Schließlich leiden auch viele Ver­an­stal­te­r:in­nen immer noch unter den Einnahmeausfällen während der Coronajahre. Bund und Länder versuchen zwar, Kulturschaffenden mit Förderprogrammen unter die Arme zu greifen, doch die Unterstützung falle zu niedrig aus, so die Kritik. „Die Hilfen sind nicht mal annähernd ausreichend, um die Corona-Ausfälle zu kompensieren“, erklärt Wassermann.

So bedeutet die Kostenexplosion für viele Ver­an­stal­te­r:in­nen einen massiven Verlust, der kaum aufzufangen ist. Das prominenteste Beispiel in der Region dafür ist das Fusion-Festival. Der Verein Kulturkosmos, der seit Jahrzehnten auf einem alten Militärflugplatz in Lärz mit 70.000 Be­su­che­r:in­nen eines der größten alternativen Festivals Europas organisiert, schlug bereits Anfang August Alarm: „Aktuell haben wir ein sehr großes finanzielles Defizit und müssen jetzt handeln, damit nicht das ganze Projekt Kulturkosmos in eine existenzielle Krise rutscht“, hieß es in einem Newsletter des Vereins.

Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen bezifferten das Finanzloch auf 1,5 bis 2 Millionen Euro. Immerhin konnte der Verein laut einem Bericht des NDR eine Insolvenz abwenden: Neben einer Spendenkampagne und Privatdarlehen soll der Verkauf von Immobilien und Grundstücken im Besitz des Vereins das Überleben des Festivals sichern.

Festivals sind in den vergangenen Jahren ein wichtiger Bestandteil der Clubszene und Alternativkultur geworden. Viele Clubs oder Partykollektive organisieren selbst Festivals oder sind daran beteiligt. Zugleich sind die Festivals, die jedes Wochenende im Sommer Tausende Besucher:innen in entlegene Gegenden locken, für Länder wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern ein wichtiger Wirtschafts- und Kulturfaktor geworden, der staatlich gefördert wird. Wie viele Festivals es in Deutschland gibt, lässt sich nicht genau sagen. Der Branchenverband LiveKomm spricht von über tausend Veranstaltungen dieser Art. (taz)

Auch kleinere Festivals, die hauptsächlich durch ehrenamtliches Engagement getragen werden, gerieten dieses Jahr in Bedrängnis. So machte die erste Edition des „Fluid“-Festivals, das Ende Juni ebenfalls in Niedergöhrsdorf stattfand, ein Minus von 8.000 Euro. Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen wollten mit dem Festival vor allem marginalisierte Gruppen wie Queers, Flinta und nicht-weiße Personen ansprechen und daher den Eintrittspreis möglichst niedrig halten, um möglichst wenige Menschen auszuschließen.

„Wir haben den Ticketpreis sehr emotional gestaltet“, gibt Josepha Groesgen zu, die als Mitglied des Vereins Heterotopia das Festival mitorganisiert hat. Dabei habe man sich verleiten lassen, zu optimistisch zu kalkulieren. Zudem lief der Ticketverkauf nicht so gut wie erhofft. „Wir konnten letztendlich nur zwei Drittel der Karten verkaufen“, erklärt Groesgen. Von einer geringeren Nachfrage berichten auch andere, sogar etabliertere Festivals wie das „3.000 Grad“.

Trotz aller Schwierigkeiten wollen die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen das Fluid-Festival nächstes Jahr erneut veranstalten. „Es war ein megaschönes Miteinander“, bilanziert Groesgen. Und das ist bei Festivals bekanntlich die Hautpsache.

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