Aktionstage für Verkehrswende: Picknick auf der A100-Baustelle
Am Samstag endet nach sechs Stunden die Besetzung der Baustelle der Stadtautobahnverlängerung. Am Rand ging die Polizei gegen die Presse vor.
„Ich bin ein bisschen überwältigt“, sagt eine vielleicht siebzehnjährige Aktivistin, die zum ersten Mal auf einer solchen Demo dabei ist. Einige Nebeltöpfe werden gezündet und ein Transparent ausgebreitet, auf dem die zentrale Forderung der Initiative „Sand im Getriebe“ zu lesen ist: „A100 stoppen – Verkehrswende jetzt“.
Eine S-Bahn fährt vorbei, sie hupt zur Begrüßung. Von der Polizei ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts zu sehen.
„Wir machen es uns jetzt gemütlich und bauen unsere Utopie“ wird über das Megaphon verkündet. Darauf breiten die Aktivist*innen Picknickdecken aus, einige fangen an, Fussball oder Frisbee zu spielen. In diesem Moment gleicht der Protest eher einem Strandpicknik.
Für Maya Winkler, Pressesprecherin von „Sand im Getriebe“ in Berlin, ist genau dies die Vision: „Für einen Tag bauen wir hier ein Schwimmbad, das soll auch in der Zukunft so sein“, sagte sie der taz. „Unser Motto für heute lautet: Freibäder, Clubs und Wohnraum, statt Abgase, Lärm und Schmutz“.
Ein erster Demonstrationsfinger hatte sich bereits morgens um 4 Uhr formiert und war von Neukölln aus kommend die Rampe zur Autobahnbaustelle hinuntergezogen. Beim ersten Polizeikontakt war jedoch Schluss, die circa 80 Aktivist*innen landeten im Kessel, in dem sie viele Stunden verblieben.
„Keinerlei Gesprächsbereitschaft“ seitens der Polizei
Im Zuge dieser Aktion kesselte die Berliner Polizei auch eine Gruppe von 12 Journalist*innen. Trotz Intervention des Sekretärs der Deutschen Journalist*innen- Union bei Verdi, Jörg Reichel, der darauf hinwies, dass die Journalist*innen lediglich ihre Arbeit verrichteten und die Polizei nicht behindern würden, nahmen Polizist*innen deren Personalien auf. Später erhielten die zwölf Betroffenen einen Platzverweis.
Gegenüber der taz sagte Reichel, die Polizist*innen hätten „keinerlei Gesprächsbereitschaft“ gezeigt. Nur eine halbe Stunde später wurden die Journalist*innen ein zweites Mal kontrolliert, diesmal von der Bundespolizei. Reichel kritisierte die „massive Behinderung von Pressearbeit“.
Auch die Autobahnbauer zeigen sich vom Protest beeindruckt
„Mir geht es vor allem um eine Diskursverschiebung“, erklärt später ein junger Mann seine Motivation, an diesem Samstag bei der Aktion dabei zu sein. Er sitzt in einer Gruppe, die es sich auf einer Decke bequem gemacht hat und Karten spielt. „Wir wollen eine demokratische Diskussion anregen, wie der Verkehr in dieser Stadt organisiert werden soll“, fügt eine junge Frau hinzu. Derzeit sei das Denken aber festgefahren, weshalb solche Aktionen befreiende Impulse setzen könnten.
Bis halb drei, also etwa sechs Stunden, halten die Aktivist*innen trotz brütender Hitze die Stellung. Im Gespräch mit der taz zeigt sich auch ein Sprecher der Autobahn GmbH und ein weiterer Mitarbeiter beeindruckt von dem friedlichen Protest: „Das sind Bilder, die auf uns und die Politik wirken.“
Gleichwohl verteidigen sie das Vorhaben, zumindest den 16. Bauabschnitt, für den Baurecht bestehe, fertigzustellen. Die Bauarbeiten, die bis 2024 abgeschlossen sein sollen, wären aufgrund der angekündigten Proteste für diesen Tag ausgesetzt worden, so der Sprecher der Autobahn GmbH. Er verspricht, den gestellten Strafantrag wegen Hausfriedensbruch zuzückzuziehen, um ein friedliches Abziehen der Aktivist*innen zu ermöglichen.
Die Polizei aber beharrt auf ihrem Recht, die Personalien der anwesenden Klimaaktivist*innen festzustellen – schon alleine, da dies aufgrund des gestellten Strafantrags formal notwendig sei. Es folgen zähe Verhandlungen. Zwischendurch entscheiden sich die Beamt*innen wohl zur Räumung, einige Protestierende werden teils brutal weggezerrt. Daraufhin stellten sich die Aktivist*innen als Block auf und bewegen sich konfrontativ in Richtung Polizeilinie, dort schwingen einzelne Beamte ihre Schlagstöcke, um die Menge zum Stillstand zu bringen.
Schließlich erklärt sich die Polizei bereit, die Feststellung der Personalien auch über eine Videostraße zu vollziehen. Durch diese sollen die Aktivist*innen einzeln und ohne Maske den Bereich verlassen, auf weitere Maßnahmen würde verzichtet.
„Sand im Getriebe“-Pressesprecherin Maya Winkler zeigt sich gegenüber der taz zufrieden: „Es ist der beste Kompromiss, den wir bekommen konnten. Gut ist, dass wohl keine Strafanzeigen gestellt werden. Viele Menschen verfärben sich jetzt das Gesicht, um die Identifizierung zu erschweren. Letztendlich gilt: Klimaschutz ist kein Verbrechen – und wir werden weitermachen“, so Winkler.
200.000 Euro pro 1 Meter A100
Die Blockade der A100 ist Teil des bundesweiten Aktionswochenendes gegen Autobahnen, organisiert vom Bündnis „Wald statt Asphalt“. In über 50 Aktionen wird eine sozial- und klimagerechte Mobilitätswende gefordert. Weiterer Straßenbau sei dagegen Ausdruck des „Autokapitalismus“, so Lou Winters vom Berliner Bündnis „Sand im Getriebe“ in einer Mitteilung im Vorfeld. Sie bezeichnete die Berliner A100 als „Klimakiller-Projekt“, das eine „Schneise der Verwüstung“ durch die Stadt ziehe.
Der Autobahnausbau sieht neben dem fast fertiggestellten 16. Bauabschnitt von Neukölln bis zum zum Treptower Park, auch einen 17. Abschnitt vor, der über die Spree zum Ostkreuz und schließlich bis zur Storkower Straße führen würde. Nach Angaben der Initiative „A100 stoppen“ wurden bereits jetzt mehr als 300 Kleingärten, zwei Wohnhäuser und etwa 450 Bäume niedergemäht. Der 17. Abschnitt bedroht zudem Berliner Szeneclubs wie etwa die Wilde Renate oder das About blank.
Zumindest Linke und Grüne sind eigentlich gegen das Projekt. Doch der Landesregierung sind die Hände gebunden, da Autobahnen in die Zuständigkeit des Bundes fallen – und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist bekanntlich großer Fan von sechsspurigen Autotrassen. Dabei kostet laut „Sand im Getriebe“ ein Meter A100 stolze 200.000 Euro. Zudem könnten auf der Fläche laut einer Analyse des ium-Instituts für Urbane Mobilität aus dem Jahr 2017 über 8.800 neue Wohnungen für 22.000 Menschen entstehen.
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