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Jeff Özdemir mit Berliner AllerleiDer Weltempfänger

Bremerhaven, Berlin, Bosporus und die Bronx: Jeff Özdemir hat ein offenes Ohr – und setzt seinen Pop-Entwurf aus Musiken aus aller Welt zusammen.

Hört sich gerne um: der Berliner Musiker Jeff Özdemir Foto: Roland Owsnitzki

Aus Bremerhaven zieht es die Menschen schon seit sehr langer Zeit Richtung Neue Welt. Der berühmte Dampfer „Bremen“ legte dort bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Ziel New York ab, wo damals gerade die Unterhaltungskultur mit Nightclubs, Musik und Tanz aufkam. All dies war lange bevor der Künstler, der sich heute Jeff Özdemir nennt, in Bremerhaven heimisch wurde. Und doch zog auch ihn als Jugendlichen in den 1980er Jahren die Kultur aus Übersee magisch an.

„Mich und meine Freunde hat die Musik interessiert, die aus England und den USA kam und die etwas mit Skaten und Subkulturen zu tun hatte: Dinosaur Jr., Black Flag und das SST-Label zum Beispiel“, erzählt er. „Und hätte ich damals schon Bebop und Spiritual Jazz gekannt, hätte ich von John Coltrane und Pharaoh Sanders gehört, wäre ich bestimmt auch Fan gewesen.“

Jeff Özdemir macht inzwischen seit vielen Jahren selbst Musik. Mit dem ersten Teil seines Künstlernamens huldigt er der US-amerikanischen Kultur, der zweite Teil spielt auf seine Herkunft an. Geboren wird Jeff Özdemir als Adem Mahmutoğlu 1973 in Rize am Schwarzen Meer in der Türkei. Mit dreieinhalb Jahren kommt er mit seinen Eltern in ein Dorf bei Bremerhaven, mit elf zieht er mit der Familie in die Hafenstadt. Dort spielt er in den Neunzigern in der Funk-Pop-Fusion-Band Faruk Green, gründet mit 33rpm records ein eigenes Label, später eröffnet er den Plattenladen „33rpm Store“. 2010 kommt er nach Berlin und eröffnet den Shop im Wrangelkiez neu.

Seit 2015 bringt der 48-Jährige eine gnadenlos unterschätzte Samplerreihe heraus. „Jeff Özdemir & Friends“ heißt sie. Darauf finden sich, wie der Titel vermuten lässt, Tracks, die er gemeinsam mit befreundeten Künst­le­r:in­nen aufnimmt, aber auch Stücke, die er ausgräbt und kompiliert. In diesen Tagen erscheint der dritte Teil, mit Gästen wie Knarf Rellöm und Elke Brauweiler.

Einfach ein Band-Typ

„Ich bin ein Kollaborationstyp, wobei das fast schon zu intellektuell klingt. Ich bin einfach ein Band-Typ. Und ich habe zig ‚Wunschlisten‘, wo ich notiere, mit wem ich gern arbeiten würde und was ich gern machen würde“, erzählt er beim Gespräch im Görlitzer Park, unweit seines Plattenladens. Zur Fotosession hat er sich seinen Sechziger-Jahre-Höfner-Bass umgeschnallt, er schwärmt von dessen Verarbeitung, dem Sound. Jeff Özdemir spricht schnell, seine Stimme klingt heiser. Während er erzählt, spielt er immer mal ein paar funky Tonfolgen auf dem Instrument.

Das Album

Jeff Özdemir & Friends Vol.3 (Karaoke Kalk/Morr/Indigo) erscheint am 18. Juni, die Record Release Show ist am 28. Juli im Festsaal Kreuzberg Garten, Berlin, mit Elke Brauweiler, Otto von Bismarck, Knarf Rellöm u. a.

Seine Alben sind auch in anderer Hinsicht grenzenlos, regellos, uferlos. Genreeinschränkungen gibt es keine – Funk, Jazz, Library Music, Neue Musik, (Dream-)Pop, Soul, Noise, Rock, Experimentelles, alles ist dabei. Vieles geschehe spontan und intuitiv, erzählt er. Wenn er über popkulturelle Einflüsse spricht, springt er zwischen „Zurück in die Zukunft“, „E.T.“ und Quincy Jones, zwischen Manfred Krug, Henry Mancini und Chicago Jazz. Oder „von Kalifornien in die Mauerstadt, dann nach Bremerhaven, und von da aus in die Türkei“, wie er sagt. Er saugt alles auf, was ihm in Gesprächen mit Freunden, in Plattenläden, im Netz, auf der Straße und auf Reisen begegnet. Er ist ein Welt­empfänger.

Und alles beginnt eben in der kleinen norddeutschen Stadt, deren Hafen seit jeher Sehnsüchte bediente und für viele auch die Rettung bedeutete. Jeff Özdemir gründet dort 1993 seine erste Band Faruk Green (auch hier der türkisch-amerikanische Brückenschlag im Namen) mit seinen Freunden Dario Cvitkovic, Engin Öztürk und Özgür Dindar. Sie spielen Funk und Psychedelic, in Indiekreisen werden sie hochgeschätzt – dabei sind gerade Musiker mit türkischer Migrationgeschichte im deutschen Indie seinerzeit selten vertreten. Für sie, so erzählt es Jeff Özdemir, sei der Zugang zu dieser Subkultur selbstverständlich gewesen, „das hat vielleicht damit zu tun, dass unsere Interessen in unseren Elternhäusern geduldet oder sogar unterstützt wurden“. Faruk Green veröffentlichen mehrere Singles und Alben, bis 2012 plötzlich Schlagzeuger Özgür Dindar stirbt.

Es ist auch das soziokulturelle Milieu Bremerhavens, das Jeff Özdemir prägt und erdet. Das Aufwachsen mit den dort stationierten Amerikanern, die einem die Welt jenseits deutscher Jägerzäune zeigen. Das Werftensterben, die Armut, die hohe Arbeitslosigkeit. Obwohl die Stadt alles andere als eine Metropole ist, ist sie sehr heterogen. „Es gab da alles: Hippies, Arbeiter, Druggies, Spießer, Faschos, Antifas, Leute mit Junge-Union-Aufkleber aufm Koffer, reiche Leute mit eleganten weißen Anzügen … Wahnsinn“, erinnert er sich.

Humor und Selbstironie

Die Freundschaften von einst bestehen zum Großteil noch heute. Mit seinem Faruk-Green-Bandkollegen Engin Öztürk, der heute als Produzent ebenfalls in Berlin lebt, hat er ein Stück fürs neue Album aufgenommen („The Day“). Schon sehr lange ist er mit den Weissenfeldt-Brüdern und ihrer wegweisenden Band Poets Of Rhythm befreundet, mit deren Trompeter Michael Treetop hat er zuletzt ein viel versprechendes neues Quartett namens Feed LA gegründet. Auch auf dem „Friends“-Album ist Treetop an „Güneș“ sowie an einem ergreifenden Folk-Jazz-Instrumental beteiligt: „52nd Street und dann die erste rechts“, heißt es.

Humor, Lakonie und Selbstironie spricht teils aus den Songtiteln, aber auch im Gespräch macht er Witzchen, labert gern drauflos (sein Vorschlag für den Artikeleinstieg: „Jeff Özdemir: wenn er anfängt zu reden, hört er nicht wieder auf“). Dies geht zusammen mit einem hohen Anspruch, den er an seine Musik hat. Der Weg von der Idee bis zum Song ist deshalb aber manchmal auch weit. Lieber lässt er Stücke liegen, garen und reifen, als sie zu früh zu veröffentlichen.

Der elegische, mit Streichern eingespielte Song „Wann ruft sie mich an?“ (vom Album Jeff Özdemir & Friends Vol. 2) sei ein gutes Beispiel, dessen Ursprungsidee sei einige Jahre älter als das Lied. „Viel Arbeit besteht darin, zu sortieren, zu hören, zu sichten, Entscheidungen zu fällen und Konzepte zu erstellen. Ich nehme mir bewusst sehr viel Zeit für diese Prozesse. Eine Aufnahme muss mich komplett überzeugen und zu mir sprechen: ‚Press‘ mich auf Platte. Ich muss raus in die Welt.'“

Eingeladen hat Jeff Özdemir diesmal auch viele Berliner Freunde, die schon lange den Underground der Stadt prägen. Der großartige Spoken-Word-Track „Zu viele Erinnerungen“ von Otto von Bismarck etwa ist eine lässig klingende Zeitreise („Angst und Schrecken in provinziellen Nestern/ Heavy Rock und Blasorchester/ Uni-Gigs für Erstsemester/ Tony Williams, Gil Evans, Miles, Bob Marley, Ike and Tina Turner, Bobby Womack und Don Cherry, Curtis Mayfield Chuck Berry/ zu viele Erinnerungen …“). Weitere Höhepunkte sind die getragene Folk-Ballade „Love Letters“ (mit Joanna Gemma Auguri), das Eighties-affizierte „Bored“ (mit Elke Brauweiler) und das etwas soundtrackmäßige „That’s Not What Friends Are For“.

Apropos Soundtrack: eine komplette Filmmusik einzuspielen und dabei ein Thema in vielen verschiedenen Farben zu variieren – das ist etwas, das auf einem der vielen Wunschzettel steht.

Die Friends-Reihe soll natürlich weitergehen, das Projekt ist auf lange Zeit angelegt. Freunde bleiben, neue Freunde kommen dazu. Darf man in 25 Jahren Jeff Özdemir & Friends Vol. 10 erwarten? „Das wäre natürlich wünschenswert. Toll, mal diese Frage gestellt zu bekommen. Viel besser als das oft gehörte: Du hast doch zu viele Musikprojekte!“

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