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Zerrieben in der Behörden-Zwickmühle

Der Bezirk Mitte will einen jungen Inder abschieben. Das geht nicht, weil der Mann keine Papiere besitzt. Die indische Botschaft stellt sie ihm nur aus, wenn er sicher nicht abgeschoben wird. Jetzt verweigert der Bezirk dem 22-Jährigen die Sozialleistungen

VON FELIX LEE

Jemand soll abgeschoben werden. Weil das nicht geht und der Betroffene erwartungsgemäß auch nicht gewillt ist, den Behörden bei seiner eigenen Abschiebung behilflich zu sein, werden ihm die Sozialleistungen verweigert. Wenn das Ganze dann auch noch mit gerichtlichem Segen geschieht, dann ist der Skandal perfekt. So zumindest sieht es der Jesuiten-Flüchtlingsdienst.

Zum „Fall des Monats“ haben die katholischen Menschenrechtler die Geschichte des 22-jährigen Inders G. Singh erklärt. Seit Oktober 2002 lebt er ohne Papiere in Deutschland. Bei seiner Einreise hatten Schleuser seinen Pass einbehalten. Wenige Tage nach seiner Ankunft wurde Singh von der Polizei aufgegriffen, die ihn sofort in Abschiebehaft steckte. Abschieben konnte die Ausländerbehörde ihn jedoch nicht. Denn die indische Botschaft weigerte sich, ihm neue Papiere auszustellen. Also musste Singh nach sieben Monaten Haft wieder entlassen werden.

Damit war das Problem des jungen Inders aber noch lange nicht gelöst. Zwar stellte ihm die Ausländerbehörde eine so genannte Duldung aus – ein Dokument, das bescheinigt: Momentan kann er nicht abgeschoben werden. Doch die ohnehin geringen sozialen Leistungen verweigerte sie ihm. Reiner Lischak, Bereichsleiter der Asylstelle im Bezirk Mitte, beruft sich auf das Asylbewerberleistungsgesetz. Demnach können die Leistungen gekürzt werden, wenn der Hilfeempfänger nicht zu den gesetzlichen Voraussetzungen seiner Abschiebung beiträgt. Und Singh sei in „keinster Weise seinen Pflichten nachgekommen“, begründet Lischak die Entscheidung seiner Behörde.

Singh fand Unterschlupf bei der St.-Christophorus-Kirche in Neukölln, die ihn mit den notwendigsten Lebensmitteln versorgte. Doch auch die Mittel der katholischen Kirchengemeinde sind begrenzt. Nach zwei Jahren Hilfe sah sie sich nicht mehr in der Lage, Singh weiter zu finanzieren. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst zog vor Gericht.

Einen Antrag, das Sozialamt auf dem Weg der einstweiligen Anordnung zur Hilfeleistung zu verpflichten, lehnte das Sozialgericht jedoch ab. Der Sozialrichter höchstpersönlich habe bei der indischen Botschaft angerufen, erzählt Behördenleiter Lischak. Singh habe gar keinen Antrag auf neue Papiere gestellt.

Stefan Kessler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst widerspricht: Mehrfach habe Singh den Behörden bescheinigt, dass er den verlangten Mitwirkungspflichten in vollem Umfang nachgekommen sei. Die indische Botschaft habe ihm schriftlich aufgelistet, was er für den Antrag neuer Heimreisedokumente alles braucht. Unter anderem eine „Bescheinigung des zuständigen Ausländeramtes, (…) dass Ihnen nach Ausstellung eines Ersatzpasses eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird und dass Sie nicht ausgewiesen werden sollen“. Darauf wollte sich die Ausländerbehörde ja auf keinen Fall einlassen. „Damit hängt der junge Mann zwischen zwei Bürokratien“, so Keßler, „der deutschen und der indischen.“

Keßler weist zugleich darauf hin, dass den Betroffenen in anderen Kommunen in der Regel wenigstens die Grundleistungen zum Überleben gewährt werden. Die Bezirksverwaltung Mitte verstehe die gesetzliche Regelung allerdings „als Ermächtigung zur kompletten Leistungsverweigerung“. Allein in den vergangenen zwei Jahren habe der Bezirk in 185 Fällen die Hilfeleistungen komplett eingestellt, berichtet Keßler.

Nun hat der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Beschwerde beim Landessozialgericht erhoben. Und trotzdem hegt Keßler die Hoffnung, dass es doch noch zu einer außergerichtlichen Einigung kommt: „Wir wollen nur, dass Singh zu dem kommt, was ihm auch zusteht – ohne dann gleich abgeschoben zu werden.“

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