„Islam-Landkarte“ in Österreich: Kritik auch vom Europarat
Die Kritik reiht sich in Welle der Empörung ein. Die Landkarte, die muslimische Organisationen und Moscheen anzeigt, sei „potenziell kontraproduktiv“.
Die Landkarte hat die Anmutung einer Suchmaschine für Restaurants oder Unterkünfte: 623 blaue Marker mit besonderer Konzentration im Wiener Raum und in Vorarlberg signalisieren, wo muslimische Organisationen, Verbände und Moscheen zu finden sind. Auf einen Klick erscheinen dann der Charakter der Einrichtung, Adresse, Gründungsdatum, Kurzbeschreibung und allfällige Mitgliedschaft, etwa beim türkisch-islamischen Kulturverein Atib (entspricht dem deutschen Ditib). In manchen Fällen sind sogar die Privatnummern der Vorstandsmitglieder aufgelistet.
Für den Europarat schießt die Karte über das Ziel hinaus. Sie sei „potenziell kontraproduktiv“, so der Sonderbeauftragte für muslimfeindliche Intoleranz und Hassverbrechen, Daniel Höltgen, in einer Stellungnahme. Die Veröffentlichung der Karte wirke aufgrund von Form und Zeitpunkt auf viele muslimische Gläubige als Generalverdacht gegenüber dem Islam, sagte Höltgen. Viele Muslime fühlten sich stigmatisiert und durch die Veröffentlichung von Adressen und anderer Details in ihrer Sicherheit bedroht. So sieht das auch die Muslimische Jugend Österreichs (MJÖ), die in Zusammenhang mit der Auflistung von Namen, Adressen und Nummern von Vorständen von einer „nie dagewesenen Grenzüberschreitung“ spricht. Sie will gegen die Karte vor Gericht ziehen.
Auch Heinz Engl, der Rektor der Universität Wien, wo die Karte am islamisch-theologischen Institut ausgebrütet wurde, hat sich im Namen der Uni distanziert und die Verwendung des Uni-Logos untersagt. Engl kritisierte, dass im Impressum zur Meldung von Informationen zu einzelnen Vereinen oder Moscheen aufgefordert werde. Sogar von den Grünen, die gegenüber den Alleingängen des großen Regierungspartners im Sinne des Koalitionsfriedens bisher größtmögliche Toleranz gezeigt haben, kam Kritik.
Muslimische Jugend Österreichs fordert Polizeischutz
Dass diese Karte ausgerechnet über die letztes Jahr als formal unabhängiger Fonds ins Leben gerufene Dokumentationsstelle Politischer Islam online ging, konterkariert die Beteuerungen von Ministerin Raab, das Instrument sei als Service-Angebot für Muslime zu verstehen: „Sie sollen doch auch wissen, in welche Moschee sie gehen und welche Strukturen und Ideologien dahinterstehen.“
Die MJÖ fordert jetzt Polizeischutz für Vereinsfunktionäre, deren Namen und Adressen veröffentlicht wurden. Seit die Karte online ist, gab es in Graz und Salzburg Übergriffe gegen Moscheen. Integrationsministerin Raab hat genau wie beteiligte Wissenschaftler Drohungen erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!