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Flanier-Protest auf der Hermannstraße„Klare Verhältnisse für alle“

Die Verkehrsplanung ist viel zu autofreundlich, kritisiert Philip Boos von „Hermannstraße für Alle.“ Am Samstag gibt es eine „Schneckendemo“.

„End Cars“: Die Demo auf der Hermannstraße ist nicht die erster ihrer Art Foto: imago / Christian Mang
Interview von Claudius Prößer

taz: Herr Boos, was ist eine Schneckendemo?

Philip Boos: Ist in erster Linie eine besonders langsame Demo, bei der es um den Aufenthalt auf der Straße selbst geht. Wir sind ein Bündnis von elf Initiativen, und einige werden an verschiedenen Stellen auf ihre Schwerpunktthemen hinweisen, wie die Initiative Warthewende, die sich für eine lebenswertere Warthestraße einsetzt, oder das Prinzessinnengärten-Kollektiv, das auf dem St.-Jacobi-Friedhof in den Bereichen Umweltbildung und Biodiversität arbeitet. Wir von Hermannstraße für Alle machen etwa auf die Gefahren von Kreuzungsbereichen aufmerksam. „Schneckendemo“ ist natürlich auch ein Seitenhieb auf das langsame Tempo der Verwaltung bei der Umsetzung von Veränderungen.

Im Interview: Philip Boos

Philip Boos ist Mitte 30, lebt in Neukölln und gehört der Initiative „Hermannstraße für Alle“ an.

Zusammen mit etlichen anderen Initiativen lädt diese zu einer „Flanier-“ oder „Schneckendemo“ unter dem Motto Paradies Hermannstraße – wir erobern die Straße zurück!“ am Samstag ab 14 Uhr ein. Treffpunkt ist die Sparkasse am U- und S-Bahnhof Hermannstraße.

Was läuft denn auf der Hermannstraße falsch?

Ein großes Problem, das es auch auf der Sonnenallee gibt, sind fehlende Markierungen, die die Straße als ein- oder zweispurig ausweisen. Rein rechtlich ist sie damit einspurig, aber in der Realität führt es dazu, dass sich die Autos nebeneinander drängen. Die schwächeren VerkehrsteilnehmerInnen verlieren dabei. Für sie ist die Straße sehr gefährlich, viele RadfahrerInnen trauen sich hier gar nicht zu fahren.

Und die Verwaltung kommt nicht in die Gänge?

Kürzlich wurde Tempo 30 angeordnet, aber das wird vom Autoverkehr nicht sehr ernst genommen, und wirklich kontrolliert wird es auch nicht. Angekündigt ist jetzt, dass im Sommer mit der Markierung und den Pollern für die geschützte Radspur begonnen wird. Das ist schon länger vorgesehen, aber das Bezirksamt hat zu wenig Kapazitäten. Auch mit Geldmangel wird argumentiert – aber wenn ich das mit der Autobahn vergleiche, die hier ganz in der Nähe gebaut wird, ist das ein winziger Bruchteil der Kosten!

Ihre Initiative hat im Frühjahr selbst eine Planung vorgelegt.

Ja, da wir im Team einiges an Kompetenz haben, haben wir selbst eine Lösung für die Radinfrastruktur entworfen und als Vorschlag eingebracht. Ob davon etwas übernommen wird, ist natürlich eine andere Frage. Wir setzen uns im Übrigen schon seit Anfang 2020 für einen geschützten Radweg auf der gesamten Länge der Hermannstraße ein und werden unter anderem vom Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln unterstützt.

Was ist Ihre Idealvorstellung der Hermannstraße?

Es braucht klare Verhältnisse für alle, und die heutige Hierarchie zugunsten des Autos muss aufgehoben werden. Wir benötigen schützende Infrastruktur für Fahrradfahrende mit ausreichend Platz. Wir wollen, dass die Radspur so breit ist, dass sie auch für Noteinsätze genutzt werden kann. Radspuren werden im Bruchteil der Zeit frei, die es braucht, um auf einer Autospur Platz zu machen. Das führt dann für den Autoverkehr zu Einspurigkeit. Viele Menschen wollen gar nicht unbedingt Auto fahren. Über 50 Prozent aller Wege in Berlin sind kürzer als 5 Kilometer und könnten leicht mit dem Rad zurückgelegt werden. Aber wegen der gefühlten Unsicherheit fahren viele Auto und verdrängen, wie stressig das ist und wie viel Zeit etwa die Parkplatzsuche in Anspruch nimmt.

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