Rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln: 100 Wochen lang das LKA nerven
Seit Mai 2019 protestiert die Betroffenen-Initiative Basta wöchentlich für Aufklärung vor dem Landeskriminalamt. Aufhören will sie noch lange nicht.
Die Polizei rechnet der rechtsextremen Anschlagsserie seit 2016 über 70 Straftaten wie Brandstiftungen und Sachbeschädigungen zu. Opfer sind zumeist Menschen, die sich gegen die extreme Rechte engagieren – wie etwa der Lokalpolitiker Ferat Koçak (Linke), aber auch Privatpersonen. Die Hauptverdächtigen sind seit Jahren bekannte Neuköllner Neonazis: der ehemalige NPDler und mittlerweile beim III. Weg aktive Sebastian T., der ehemals in AfD tätige Tilo P. und der Neonazi Julian B.
Karin Wüst stand auch diesen Donnerstagmorgen mit rund 30 weiteren Personen erneut vor dem LKA in Tempelhof. Sie sagte der taz, dass es angesichts der offenen Fragen keineswegs ein Anlass zum Feiern gewesen sei, dass man bereits zum 100. Mal dort stehe. Sondern eher ein Grund zum Weitermachen: „Es muss daran erinnert werden, dass weder die rechten Straftaten aufgeklärt sind, noch eine objektive und unabhängige Untersuchung über rechte Strukturen in Berliner Ermittlungsbehörden existiert!“
Dass die Initiative stört und den Finger in die Wunde legt, zeigen laut Wüst immer wieder Reaktionen von Polizeibeamten beim LKA. Zumeist würde die Demo einfach ignoriert, manchmal seien sie aber auch von Polizist*innen angepöbelt worden. Zuletzt gab es aus dem LKA sogar eine Anzeige, weil die Daueranmeldung für die Kundgebung abgelaufen war und die Ini vergessen hatte, diese zu verlängern. Dieses Verfahren wurde mittlerweile eingestellt. „Wir lassen uns nicht einschüchtern, verunsichern oder verjagen“, heißt es in einem offenen Brief der Initiative, den sie im Vorfeld der Kundgebung an Polizeipräsidentin Barbara Slowik schickte.
Täter*innen fühlen sich sicher in Neukölln
Neben Kritik wirft der offene Brief neue Fragen auf: Die Betroffenen der Anschläge wollen wissen, wie viele Beschäftigte beim Staatsschutz und der Sonderermittlungsgruppe Fokus in Neukölln sozialisiert wurden und ob zudem Mitarbeiter des LKA die Beschuldigten aus der rechten Szene der 90er Jahre kennen würden oder ob es sogar personelle Überschneidungen mit Neonazi-Kreisen gebe.
Hintergrund dafür dürfte sein, dass ein mittlerweile wegenmutmaßlichen Geheimnisverrats strafversetzter Polizist zusammen mit P. bei der AfD Neukölln tätig war und in einer AfD-Chatgruppe sensible Informationen ausgetauscht hatte. Zudem ist ein ehemals in Neukölln gegen Rechtsextremismus eingesetzter Polizist derzeit angeklagt, weil er einen Afghanen zusammengeschlagen und rassistisch beleidigt haben soll. Das Recherchekollektiv Neukölln Watch legte zudem kürzlich nahe, dass möglicherweise ein weiterer Polizist mutmaßlich in rechte Strukturen verstrickt sein könnte. Zwei Staatsanwälte wurden darüber hinaus strafversetzt, weil sie mutmaßlich befangen seien. Seither führt die Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren.
Wüst betont, dass sich rechte Täter*innen sich in Neukölln angesichts der erfolglosen Ermittlungen weiter sicher fühlen. Vor Kurzem sei ein Mitglied der Initiative auf offener Straße beim Wegbringen vom Altpapier bedroht worden. „Ein Mann ist mit dem Auto vorgefahren und hat gesagt: ‚Wir kennen alle Namen von Basta. Wir wissen, wo ihr wohnt. Ihr gehört alle weggesperrt. Wir haben bald die Macht und dann ist es aus mit euch!‘“
Laut einer Anfrage der Linken wurden in den vergangenen fünf Jahren rechte Feindeslisten mit bis zu 1.000 Einträgen gefunden. Simon Brost von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus bestätigt der taz viele Anfragen zum Thema. Auch wenn die gefundenen Listen in großen Teilen nicht aktuell seien, könne man keine Entwarnung geben, so Brost: „Wir wissen nicht, wer an der Sammlung noch mitgearbeitet hat oder ob aktualisierte Fassungen kursieren.“ Betroffene müssten Vorsicht walten lassen und wachsam sein, so Brost.
Neben mutmaßlich neonazistischen Brandanschlägen und Bombendrohungen auf ein linkes Hausprojekt in Spandau in den vergangenen Wochen, brannte zuletzt Ende April in Neukölln-Rudow auch ein Wohnhaus von Geflüchteten. In Vergangenheit hatte die NPD Karten mit Geflüchtetenunterkünften in Berlin veröffentlicht. Auch der III. Weg veröffentlichte kürzlich ein ähnliches Dokument.
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