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50 Jahre BAföGDer Behörde Waffen sind Bescheide

Wer sich das Studium nicht leisten kann, hat seit 1971 Anspruch auf BAföG. Heißt das Chancengleichheit für alle? Fünf Erfahrungsberichte.

Für viele ein Grundstudium in Bürokratie: der erste BAföG-Antrag Foto: Steffen Schellhorn/imago

Ein Labyrinth aus Unterlagen

Rückblickend kommt mir der BAföG-Antrag wie ein kafkaeskes Videospiel vor. Ein Kampf gegen einen Feind, der Hoffnung macht, um dann immer wieder zu enttäuschen; der Klarheit vorgibt, aber voll verwirrt. Seine Waffen sind die Bescheide, in denen er aufzählt, welche Unterlagen noch fehlen. Das Suchen und Sammeln gleicht einer journalistischen Recherche, nicht der tagesaktuellen für einen kurzen Bericht, sondern so richtig investigativ. Dabei steigt die Komplexität des Spiels mit jedem Familienmitglied: je mehr Geschwister, desto schwieriger. Und wenn man es so richtig wissen will, dann leben die auch noch an verschiedenen Orten. Aber ich hatte Glück, ich traf in diesem Labyrinth einen Menschen, der sich mit dem Feind auskannte: die Mutter meiner damaligen Freundin. Sie hat mir geholfen, und wir haben den Feind geschlagen. Zwar erst zu Beginn des zweiten Semesters, aber besser spät als nie. Und hätte ich das Spiel nicht zu Ende gespielt, dann hätte ich nicht so studieren können, wie ich letztlich studieren konnte: nicht allein in Vorlesungen und Seminaren, sondern auf dem Campus, in Gruppen, auf Demonstrationen, in Freundschaften. Volkan Ağar

Zwei Behörden, keine Kommunikation

Durch den frühen Tod meines Vaters erhielt ich fast meine gesamte Kindheit und Jugend Halbwaisenrente. Diese beträgt bei Halbwaisen 10, bei Vollwaisen 20 Prozent des Rentenanspruchs des Verstorbenen. Die Summe ist also extrem variabel. In meinem Fall hätte mir meine Halbwaisenrente in den allermeisten deutschen Universitätsstädten kein WG-Zimmer finanziert. Ich klickte mich also durch die Sonderfälle auf der Seite des BAföG-Amtes. Halbwaisenrente gilt als Einkommen, während einer Ausbildung komplett, bei einem Studium werden 130 Euro monatlich nicht angerechnet. Erst einmal logisch, schließlich erhalte ich Geld, das ich nicht zurückzahlen muss, für das ich nicht gearbeitet habe. Halbwaisenrente allerdings wird über das 18. Lebensjahr hinaus nur ausbezahlt, wenn man sich in einem Ausbildungsverhältnis befindet. Bis dahin gibt es kein Geld. Es gibt aber auch keinen BAföG-Bescheid ohne Rentenbescheid. Zwei Behörden, keine Kommunikation. Am Ende war es bei mir ein Nullsummenspiel. Mittlerweile lassen sich noch nicht genehmigte Sozialleistungen im BAföG-Antrag angeben, eine Berechnung und Bearbeitung erfolgt trotzdem. Also in 50 Jahren doch noch was dazugelernt. Malaika Rivzumwami

50 Jahre Bafög

Seit wann? Seit dem 1. September 1971 ist das BAföG (kurz für Bundesausbildungsförderungsgesetz) in Kraft, eine gesetzlich verankerte Sozialleistung, die Chancengleichheit unter Schüler_innen und Student_innen herstellen soll.

Wer? Berechtigt sind grundsätzlich alle Schüler_innen und Studierenden, jedoch abhängig vom eigenen Einkommen und Vermögen sowie dem der Eltern. Die Zahl der Beziehenden ist in den letzten 50 Jahren stark gesunken: Haben 1972 noch 44 Prozent aller Student_innen BAföG bekommen, sind es heute nur noch gut 11 Prozent.

Wie viel? Der Höchstsatz liegt aktuell bei rund 861 Euro pro Monat, die maximale Förderungsdauer richtet sich nach der Regelstudienzeit. Für viele entspricht der Höchstsatz nicht dem realen monat­lichen Mindestbedarf, ein Großteil der Beziehenden arbeitet nebenbei, dieser Verdienst wird ab einer bestimmten Höhe aufs BAföG angerechnet.

Zurückzahlen? Die Hälfte der Leistung ist ein zinsloses Darlehen, diese Hälfte muss fünf Jahre nach dem Ende der Förderungshöchstdauer in monatlichen Raten von 130 Euro zurückgezahlt werden, maximal 10.010 Euro.

Ein volles Konto wird belohnt

Als ich in den frühen 1990ern studierte, bekam ich BAföG. Es war keine hohe Summe. Die lieben Eltern überwiesen jeden Monat was und ich arbeitete bei einem Vertrieb für Software. Die musste damals auf Diskette transportiert werden, an Downloads großer Datenmengen war nicht zu denken. Anfang der Nullerjahre arbeitete ich für eine Weile als Consultant für einen Internetdienstleister, der für eine Bank ein Produkt entwickelte. Nun war das Konto voll, ich konnte den staatlichen Bildungskredit tilgen. Ich fand heraus, dass ich einen satten Discount bekommen würde, wenn ich meine BAföG-Schulden mit einer einzigen Überweisung beglich: Ich musste nur die Hälfte zahlen. Dass Armut dem Armen in der freien Marktwirtschaft teuer zu stehen kommt, ist klar: Wer Geld hat, bekommt Zinsen, Rabatte, dies und das. Wer sich ständig im Dispobereich bewegt und im Zahlungsrückstand ist, legt immer schön drauf. Dass aber auch der Staat ein volles Konto dermaßen belohnte, während er bei anderen die Rückzahlung auf Heller und Pfennig verlangte, fand ich unfair. Nahm das Angebot aber selbstredend in Anspruch. Ulrich Gutmair

Das Privileg einer BAföG-Familie

Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich in Dresden studieren werde, war das Erste, was sie sagte: Sobald du immatrikuliert bist, musst du deinen BAföG-Antrag stellen. Gesagt, getan. Die Unterlagen, Gehaltsnachweise meiner Eltern, die Studienbescheinigungen meiner Geschwister und was sonst noch dazu gehört, waren schnell zusammengesucht, schließlich bezogen auch meine beiden älteren Geschwister schon BAföG, ebenso wie meine Eltern in ihrer Studienzeit. Ich hatte also das Privileg, aus einer BAföG-Familie zu kommen, in der Vorwissen und ein Durch­schau­en der bürokratischen Hürden gegeben war. Kurz nach meinem Studienstart war mein BAföG genehmigt und das Geld auf meinem Konto. Der Höchstsatz von damals knapp 600 Euro plus Kindergeld, das meine Eltern mir monatlich überwiesen, reichten in meinem Bachelorstudium zum Leben. Statt neben meinem Studium arbeiten zu müssen, konnte ich viel faulenzen. Meine Happy-BAföG-Story endete erst Jahre nach dem Studium: Laut meiner Rückzahlungsforderung hätte ich Tausende Euro sparen können, wenn ich den Betrag auf einen Schlag überweise. Konnte ich nicht. Das machte den Berufsbeginn mit knapp 1.000 Euro Nettoverdienst, Berliner Mietpreisen und 130 Euro BAföG-Rückzahlung nicht gerade geschmeidig. Jetzt bleibt mir nur noch: Weiterzahlen und auf 2025 warten. Dann sollte die letzte Rate getilgt sein. Carolina Schwarz

Das Drama der Regelstudienzeit

Auslands-BAföG klingt erst einmal toll. Ein Darlehen unabhängig vom Einkommen der Eltern, das man nicht zurückzahlen muss. Während meines Indologiestudiums waren sechs Monate Auslandsaufenthalt verpflichtend. Ich ergatterte ein Praktikum am Goethe-Institut in Mumbai. Für die Finanzierung war ich selbst zuständig. Gleiche Chancen für jeden in Deutschland, das habe ich schon früh gelernt, gelten für Ar­bei­te­r:in­nen­kin­der eher nicht. Meine Regelstudienzeit endete zwei Monate nach dem Start des Praktikums. Ich erhielt also nur für diese Zeit Auslands-BAföG. Wie soll das zu schaffen sein, wenn die eigenen Eltern einem nicht helfen können? Hilflosigkeit machte sich breit und das Praktikum, welches ich brauchte, um mein Studium zu schaffen, stand auf der Kippe. Ich begriff erneut, dass man trotz akademischen Bildungswegs nicht auch direkt davon profitiert. Die Regelstudienzeit einzuhalten ist bemerkenswert, mit Existenzängsten aber oft schwer. Ich gab nicht auf, bewarb mich auf ein Kurzeitstipendium, lieh mir Geld und flog nach Mumbai. Celina Ploenes

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9 Kommentare

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  • Ich finde es immer faszinierend von Leuten zu hören oder zu lesen, die vergleichsweise gute Erfahrungen mit dem Bafög-Amt hatten. Meine Eltern sind seit langen Jahren nicht mehr berufstätig. Bafög habe ich trotzdem nicht bekommen. Und es war katastrophal die ganzen Rentenbescheide zusammen zu kratzen, da die anderen Zuständigen Stellen den Zeitdruck nicht verstehen konnten. Durchgeschlagen, trotzdem abgelehnt. Vor der Reform des Elternunterhaltes hat das "Assi-Amt" auch noch zeitgleich versucht mich zur Mutter meiner Mutter zu machen. Tja, da bleibt nichts anderes übrig als zwei Jobs zu machen. Einen davon natürlich während "untypischer" Arbeitszeiten, damit ich mehr Geld behalten darf.

  • Ich komme aus komplizierten Familienverhältnissen und dementsprechend kompliziert war der Antrag - der ja auch jährlich erneuert werden musste. Meine positive Interpretation war Schnitzeljagd. Bei einem Antrag habe ich es glaube ich auf einen halben cm Papier gebracht. Das hat dann schon mal einige Monate gedauert, mit entsprechenden Konsequenzen.

    Es ist wirklich Fluch und Segen zugleich. Einerseits ist es die Eintrittskarte für die frühe finanzielle Unabhängigkeit ohne Nebenjob. Und zumindest in den ersten Semestern, in denen in den Naturwissenschaften "gefiltert" wird, kann dann auf einen Nebenjob verzichtet werden. Andererseits sind die Anträge großer Aufwand und der zusätzliche Leistungsdruck im Studium kommt noch hinzu. (10 Semester Regelstudienzeit + 2 Semester extra für ein naturwissenschaftliches Studium, wenn ich mich recht erinnere...)

    Das hat mich definitiv geprägt, noch heute regele ich jeden Papierkram peinlich genau und so früh wie möglich, manchmal zur Verwunderung von meinem nahen Umfeld. Freue mich aber auf nächstes Jahr, dann ist das Bafög nach über 10 Jahren endlich zurückgezahlt...

    Mit dem Wissen von heute weiß ich aber nicht ob ich wieder Bafög nehmen würde und so noch mal unter doppeltem Druck das Studium machen würde.

  • Ich habe Anfang der 70er Jahre studiert.



    Meine Eltern waren Kleinbauern.



    Ich glaube, dass ich den Höchstsatz bekam.



    In den Semesterferien habe ich gearbeitet und außerdem hatte ich immer 1 - 2 Nachhilfeschüler.



    Erst in den späteren Semestern gab es einen Kreditanteil.



    Nach dem Studium habe ich sehr gut verdient und habe den Kredit auf einen Schlag zurückgezahlt.



    Okay, das war "früher".



    Meine Kinder bekamen kein Bafög, weil mein Verdienst zu hoch war.



    Wir haben erst gar keinen Antrag gestellt.



    Bafög hat also bei mir genau zu dem geführt, was beabsichtigt war: Sozialer Aufstieg. Natürlich gehört auch Fleiß dazu. Glück hatte ich auch.

  • Ich komme auch aus einer sog. Arbeiterfamilie, d.h. hatte vor dem Studium kannte ich niemanden der studiert (hat).



    Ich fand das Bafög Amt super hilfreich beim Antrag stellen und hatte keine größeren Probleme beim Antrag stellen (trotz mehrerer Geschwister). Sicher, teilweise frickelig, aber man will ja auch etwas haben..

    Die Rückzahlung (bei mir ab ca. 2015) "alles auf einmal" lohnte sich bei mir nicht. Es war so geregelt, dass es sich nur für Leute lohnt die relativ wenig Bafög bekommen haben.

    Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit meiner Bafög Erfahrung.

    • @Heinrich1:

      Stimmt so nicht. Man bekommt bei der maximalen Rückzahlungssumme (10.000€) ganze 21% Rabatt. Wo auch immer sich das nicht lohnen sollte.

  • Mir hat erst das Bafög ein Studium ermöglicht. Ich konnte von dem Geld (Höchstsatz?) leben und habe aufgrund des Studiums einen guten Job.

    Wer unter Chancengleichheit ein Millionenerbe versteht, lebt in Elfenbeinturmproblemen.

  • Wo kämen wir da hin, wenn Kinder der Armen die gleichen Chancen bekämen wie die der Reichen?

    • @tomás zerolo:

      Bekommen sie. Ich habe selbst mein ganzes Studium über Höchstsatz bezogen und kann das Geheule übers Bafög nicht verstehen.

      Die Formulare sind von jemandem der studieren will locker bearbeitbar, da sehr gut dokumentiert, die Prozesse als solches sind auch sehr simpel. Worauf man halt immer achten muss ist die Einhaltung der Fristen.

  • Inzwischen sind die Angebote bei einer Bafög-Komplett-auf-einmal-Rückzahlung nicht mehr so toll (immer noch gut) wie bei Herrn Gutmair mit 50% Rabatt beschrieben.



    Freund von mir hatte auf Anfrage (kleine Erbschaft von 16k€ gemacht) für seine 9,5k€ Bafögschulden "nur" einen Rabatt von 18% angeboten bekommen statt gehoffter 30% . Weniger für den Konsum.



    Das es das Bafög gibt ist gut. Was damit mit dem Erhalt an Hürden verbunden ist schlecht (hat sich aber wohl wieder schrittweise verbessert (?)) .