piwik no script img

Impfung von sozial BenachteiligtenKeine falsche Fürsorge

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Sozial benachteiligte Menschen sind schwerer von der Pandemie betroffen als andere. Sie müssen deshalb bei der Impfkampagne bevorzugt werden.

Menschen stehen am Montag im sozialen Brennpunkt Köln-Chorweiler für eine Impfung an Foto: Oliver Berg/dpa

D ie Furcht davor, etwas Richtiges zu tun und dabei etwas Falsches auszulösen, kann dazu führen, dass gar nichts getan wird – mit fatalen Folgen. Im konkreten Fall geht es um die Frage, ob sozial schwächere und bildungsfernere Bevölkerungsschichten bei der Impfkampagne einer besonderen Zuwendung bedürfen. Das löst unangenehme Fragen aus: Sind das etwa Virenschleudern? Womöglich teilweise mit Migrationshintergrund? Das, so der Impuls, darf nicht ausgesprochen werden, denn es droht eine Stigmatisierung, am Ende gar Öl ins Feuer der AfD-Rassisten. Lieber nicht darüber reden.

Diese Haltung ist gefährlich. Dahinter steckt eine falsch verstandene Fürsorge, die für die Betroffenen tödlich enden kann. Und doch mussten erst konkrete Zahlen über turmhohe Inzidenzen in armen Stadtvierteln auf dem Tisch liegen, bis die Politik zu reagieren beginnt.

Dabei liegt es nahe, dass Menschen, die beengt wohnen müssen und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, die dazu als Packer, Fahrer oder Kassiererin mit viel Kundenkontakt arbeiten, schwerer von der Pandemie betroffen sind als jemand, der am Schreibtisch im Homeoffice verweilt. Vielleicht kommt dazu, dass die Ärmeren keine Zeitung lesen, das Studium von RKI-Berichten verschmähen und möglicherweise über nicht ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Und, ja, manche halten eine Impfung für gefährlicher als das Virus.

Deshalb ist es allerhöchste Zeit für das, was derzeit in Köln geschieht: die Bevorzugung dieser Menschen bei der Impfkampagne. Dabei werden ein paar Dosen mehr nicht reichen. Wenn man die Benachteiligten erreichen will, dann funktioniert das nur über ihre Medienkanäle und mithilfe ihrer Vorbilder. Dann hilft kein Günther Jauch mit viermal Ja, sondern Tuğçe Kandemir muss singen. Alles andere als eine groß angelegte Kampagne fürs Impfen, gerne auch bei kostenlosem Mittagessen, wäre unterlassene Hilfeleistung, die am Ende auch diejenigen trifft, die im Eigenheim sitzen. Denn das Virus kennt weder Arme noch Wohlhabende.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Gegen die Idee, in Vierteln mit einer Häufung von Infektionen sehr gezielt zu impfen, finde ich nichts einzuwenden.

    Wichtig fände ich eine bessere und weitreichendere öffentliche Information und Werbung, z.B. in Bussen und Straßenbahnen, und auf Plakaten.

    Was man auch sagen muss, es gibt ja sogenannte soziale Brennpunkte, aber es gibt auch viel Armut in Deutschland, die quasi systembedingt versteckt ist. Auch in Oerlinghausen oder Starnberg leben etliche Menschen in prekären Bedingungen. Die sollte man auch berücksichtigen. Etwas wäre schon gewonnen, wenn sich die Hausärzte das bewusst machen.

    • @jox:

      >Wichtig fände ich eine bessere und weitreichendere öffentliche Information und Werbung, z.B. in Bussen und Straßenbahnen, und auf Plakaten.

      Und natürlich auch in den Sprachen, die Immigranten sprechen.

  • Es gibt da viele Blickwinkel. Man kann sich auch mal durch den Kopf gehen lassen, daß es für gewisse Kreise schon immer lukrativer war, die Armen zu bekämpfen anstatt die Armut.

  • Ganz anderer Blickwinkel: statt darüber zu sinnieren, wer als erstes dran ist, lieber das Impftempo beschleunigen. Das löst das Problem schlussendlich von ganz allein.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Encantado:

      Und wie?

  • Bei den berichten von gestern kann man wunderbar sehen warum auch das Impfen in Deutschland in Hose gehen wird. Keine Kontrollen, Keine Register, keine Protokollierungen.



    Aber dafür wieder einmal tolle neue Impfpässe die in den entsprechenden Gruppen verkauft werden können. Der Schwarzmarkt blüht schon jetzt.

    Wie kann man nur so unorganisiert solche Impfungen durchführen?

  • Ich stehe als über sechzigjähriger, insulinpflichtiger Diabetiker auf drei(!) Impfwartelisten, mein Handicap: Ich bin zu gut eingestellt dank meiner Lebensführung. Um mich herum werden Menschen geimpft, die deutlich jünger und gesünder sind. Seltsam, das alles.

  • Was unterscheidet Köln-Chorweiler von Berlin-Marzahn!



    Um mal etwas Schwung hier rein zu bringen:



    Dabei liegt es nahe, dass Menschen, die beengt wohnen müssen und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, die dazu als Packer, Fahrer oder Kassiererin mit viel Kundenkontakt arbeiten, schwerer von der Pandemie betroffen sind als jemand, der am Schreibtisch im Homeoffice verweilt. ..

    Jouh.

    Schau ich ins East-Gate trifft das zu.



    Ick will aber sowas von bevorzugt werden!



    Ick brauch keine Vorbilder.



    Wo ist der scheiß Impfbuss!



    Gerne auch um Eck anstehen!

  • Mittlerweile bekommt jeder, der will eine Impfung. Man muss sich nur etwas bemühen.

    Problematisch wird eher, dass sich viele gar nicht impfen lassen wollen und sich bisher hinter dem vermeintlichen Mangel an Impfstoff oder den NW von Astrazenica verstecken. Die vielen ausgefallenen Termine sprechen jedenfalls dafür …

    • @TazTiz:

      Woher haben Sie denn diese steile These? Gruppe 4 ist noch nirgends aktiv. Sofern niemand also Unterschriftenfälschung bei Firmenbestätigungen zur systemrelevanten Industrie vornimmt, sind Gruppe 4 Menschen bisher noch nirgends akzeptiert.



      Ich selbst gehöre zur Impfprioritäten Gruppe 3 und warte seit der Öffnung desser in RLP seit nun mehr fast 2 Wochen allein für einen Termin. Andere Kollegen welche übern Rhein in Hessen wohnen haben mittlerweile fast alle schon einen Termin (aber ist auch nachvollziehbar weil Hessen nachziehen musste und das Bunkern von Impfdosen für die 2.Impfung nun aufgab).



      Also woher kommt ihre steile These? Ein weiteres Mal gelogen?

      • @Daniel Drogan:

        > Mittlerweile bekommt jeder, der will eine Impfung.

        Das ist definitiv noch nicht so.

    • @TazTiz:

      Das stimmt so nicht. Es gibt Teile Deutschlands, wo AstraZeneca jeder bekommen kann, auf eigenes Risiko. In anderen Regionen (NRW und SH) wird die Reihenfolge noch eingehalten, weil sich wohl genug Alte mit AZ impfen lassen und es keine Überschüsse gibt, wie es wohl in Berlin oder Bayern der Fall ist (worauf Sie wohl anspielen), wo der Impfstoff für alle freigegeben wurde.

    • @TazTiz:

      Dann geben sie mir doch bitte einen Tipp, wie ich mich "bemühen" muss. Soll mir mein Arzt ein falsches Attest ausstellen oder soll ich einen pflegebedürftigen Angehörigen erfinden?

  • Impfung für alle, unabhängig von Herkunft oder Einkommen. Keine Frage...

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Reiseblog:

      Tja, solche Forderungen sind leicht aufgestellt.



      Ich forder den sofortigen Weltfrieden und eine Villa für jeden.



      Die Priorisierung hatte durchaus einen Sinn. Wollen sie das leugnen?

  • Knap, bündig und auf den Punkt. Das ist Journalismus.

  • Nennt doch bitte arme Menschen nicht absurderweise und immer wieder sozial schwach.