piwik no script img

Entlassungen bei Otto-VersandhausAlles „New“ bei Otto

Auf einer Betriebsversammlung wurden Otto-Mit­ar­bei­te­r*in­nen über die Sparpläne des Konzerns informiert. Das ganze Ausmaß aber wurde verschwiegen.

Viel Umsatz, viele Pakete: Eine Mitarbeiterin packt Retouren aus Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Wie viele Mit­ar­bei­te­r*in­nen müssen gehen, wie sieht die Zukunft des Online-Händlers Otto aus? Diese Fragen haben am gestrigen Dienstag eine vom Betriebsrat einberufene Betriebsversammlung (BV) der Otto GmbH & Co KG – der früheren Otto-Versand GmbH & Co – geprägt, an der 2.900 Mit­ar­bei­te­r*in­nen teilnahmen. Wie die taz in der vergangenen Woche berichtete, plant der größte Versandhändler in Deutschland mit Stammsitz in Hamburg trotz pandemiebedingter Rekordumsätze im abgelaufenen Geschäftsjahr nun einen Abbau von Arbeitsplätzen.

Unter dem Projektnamen „New“ will die Firmenleitung bis Anfang 2024 einen Rationalisierungsplan durchboxen, mit dem das Versandhaus jährlich gut 50 Millionen Euro Kosten und bis zu 400 Vollzeitstellen einspart. So will Otto nach eigener Darstellung den „2018 begonnenen Umbau vom Online-Händler zur wettbewerbsfähigen Plattform mit einem stetig wachsenden Markenangebot konsequent fortsetzen“. „Vom Online-Händler zur Online-Plattform“ heißt die Devise.

Im Klartext: Otto plant den Angriff auf Amazon. Immer mehr Fremd­an­bie­te­r*in­nen sollen ihre Produkte über die Otto-Plattformen und „Marktplätze“ im Netz offerieren. Auf einer digitalen Betriebsversammlung wurden die Rahmendaten von „New“ nun erstmals der Otto-Belegschaft vorgestellt.

„Wir haben einen Stellenabbau quer durch alle Führungsebenen vor uns“, wird Katy ­Roewer, die die fünfköpfige Otto-Geschäftsführung auf der BV vertritt, deutlich. Die Veränderung der firmeninternen Arbeitsstrukturen verbunden mit einem schlankeren Personalkörper sei notwendig, um „konkurrenzfähig“ zu bleiben. Obwohl der Name Amazon kein einziges Mal auf der Betriebsversammlung fällt, ist klar, dass der Onlinegigant mit seinen Niedrigpreisen gemeint ist.

Trotz Rekordumsätzen werden Stellen gestrichen

Die Otto-Gesellschaft, die anders als Amazon immer noch einen Ruf als fairer Arbeitgeber genießt, will nun auf dem Weg zur Plattform Arbeitsvorgänge weiter „automatisieren und digitalisieren“, Doppelarbeit vermeiden, Stellen abbauen, um, so Roewer, „dauerhaft Arbeitsplätze zu sichern“.

Dabei ist auf der BV nur von der sogenannten Phase 2 der New-Umstrukturierung die Rede, bei der 120 Vollzeitstellen wegfallen sollen. Das, wie aus internen Firmenunterlagen hervorgeht, am Ende von Phase 3 ein Abbau von bis zu 400 Arbeitsplätzen geplant ist, verschweigt die Bereichsvorständin, aber auch der darüber informierte Betriebsrat.

„Wir setzen alles daran, dass es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommt“, sagt stattdessen eine Betriebsrätin, schließt diese „als letztes Mittel“ aber nicht aus. So verhandele man mit der Geschäftsführung einen Sozialplan, in dem es um Themen wie Altersteilzeit, Abfindungen und Qualifizierungsmaßnahmen gehe.

Es geht um Abfindungen und Altersteilzeit

Dass Corona-Homeoffice-Isolation und drohende Stellenstreichungen Spuren bei den Otto-Mitarbeiter*innen hinterlassen haben, weiß der Betriebsratsvorsitzende: „Fehlende Motivation und Zukunftsangst der Mit­ar­bei­te­r*in­nen schlägt uns entgegen.“

Die Reaktionen der sich auf der Betriebsversammlung äußernden Mit­ar­bei­te­r*in­nen sind geteilt. Viele werfen dem Management „Geheimniskrämerei“ bei den Umstrukturierungsplanungen vor. „Es gab noch nie in der Unternehmensgeschichte so viel fehlende Transparenz“, heißt es in dem die BV begleitenden Chat, aber auch: „NEW beschert Frust, Wut und Traurigkeit.“ Ein Mitarbeiter betont, es sei „absolut unnötig, dass es so gut wie nie für OTTO läuft und jetzt hunderte Kol­le­g*­innen ihren Job verlieren!“

Denn erst vor wenigen Wochen hatte Otto Rekordzuwächse und -Umsätze verkündet. So steigerte der Konzern in Deutschland „den Umsatz von 3,5 Milliarden Euro in 2019/20 auf 4,5 Mil­liarden Euro um rund 30 Prozent“ im bereits am 28. Februar abgeschlossenen Geschäftsjahr 2020/21. „Wir haben eine Milliarde oben draufgelegt“, verkündete Katy Roewer auch auf der BV.

Sie und ihre vier männlichen Kollegen in der Otto-Führung fahren auf der BV nicht nur herbe Kritik, sondern auch Zustimmung ein – viele Mit­ar­bei­te­r*in­nen unterstützen ihren Kurs: Otto sei noch immer „ein toller Arbeitgeber mit vielen sozialen Leistungen!“

An anderer Stelle heißt es im Chat mit Verweis auf den Niedergang der früheren Versandhäuser Neckermann und Quelle: „Wir können froh sein, dass OTTO daran sehr, sehr viel liegt, mit dem Zug der Zukunft zu fahren. Da muss man auch Opfer bringen, die sind aber geringer, als wenn das ganze Schiff sinkt.“ Eine andere Mitarbeiterin glaubt: „ NEW ist richtig und Automatisierung ist dringend notwendig! OTTO sollte mutig sein und groß denken: Nicht ein deutsches Amazon, sondern ein europäisches OTTO!! – find ich gut!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Nicht nur die Dummheit der Menschen ist unendlich, sondern auch die Gier!

    Pfui Otto!