piwik no script img

Zerstörung von armenischen KirchenDer Offizier auf dem Glockenturm

In den von Aserbaidschan beherrschten Regionen werden armenische Kirchen zerstört. So beginnt das Umschreiben der Geschichte.

Armenier besuchen Ende 2020 das Kloster Dadiwank, bevor das Gebiet an Aserbaidschan übergeben wird Foto: Sergei Grits/ap

Aserbaidschans Regierung hat eine Lösung gefunden, um die Geschichte im Südkaukasus neu zu schreiben. Ende März wurde die armenische Kirche „Heilige Gottesmutter Maria“ in der Stadt Jebrayil dem Erdboden gleichgemacht. Die gleichnamige Region wird seit dem Ende des Krieges um Bergkarabach Mitte November von Aserbaidschan kontrolliert. Keine Kirche, keine Armenier*innen, so einfach ist das für den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew.

Schon kurz nach dem Abschluss des Waffenstillstandsabkommens feierten die ersten aserbaidschanischen Soldaten ihren Sieg auf dem Dach der armenischen Kirche in Jebrayil. Im Netz zirkulieren Videos, die zeigen, wie ein aserbaidschanischer Offizier auf der Spitze des Glockenturms steht. Er erhebt seine Hände und ruft minutenlang so laut, wie er kann, „Allahu Akbar“. Seine Soldaten wiederholen das im Chor.

Armenien beschuldigt Aserbaidschan der Zerstörung armenischer Gotteshäuser und Kreuzstein-Denkmäler, die die Ar­me­nie­r*in­nen in den nun von Aserbaidschan beherrschten Regionen zurückgelassen haben. Auf zahlreichen Aufnahmen ist zu sehen, wie aserbaidschanische Soldaten armenische Kirchen entweihen.

Baku erinnert seinerseits daran, dass es Ar­me­nie­r*in­nen waren, die aserbaidschanische Kulturgüter während des ersten Krieges Anfang der 1990er Jahre beschädigt und zerstört hätten. Damals hatte Armenien sieben Regionen rund um das Gebiet Berg­karabach erobert.

Ein leeres Feld, wo die Kirche nicht mehr stand

Das Schicksal der Marienkirche in Jebrayil wurde bekannt, weil ein Team der BBC zu Recherchezwecken in die Region gereist war. An der Stelle, wo das Gotteshaus stand, fanden die Jour­na­lis­t*in­nen nur ein leeres Feld vor. Die apostolische Kirche in Jebrayil war relativ neu. Sie wurde vor drei Jahren von armenischen Soldaten für armenische Militärangehörige gebaut.

Die armenische Seite hat über 80 armenische Kirchen und Klöster allein in Bergkarabach registriert, die über viele Jahrhunderte hinweg errichtet wurden. Über 4.000 Denkmäler werden in der staatlichen Liste für Denkmalschutz geführt. Sie werden unter anderem bis auf das 9. Jahrhundert nach Christus datiert. Dutzende davon fallen jetzt unter aserbaidschanische Kontrolle, wie der Klosterkomplex Dadiwank.

Im März besuchte der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew eine armenische Kirche aus dem 12. Jahrhundert im Dorf Hunarli (armenisch: Tsakuri) in der Nähe der Region Hadrut. Diese Region gehört zu dem Teil von Bergkarabach, den die aserbaidschanische Regierung von Baku aus jetzt ebenfalls kontrolliert. Auch diese Kirche ist in ihrer Existenz bedroht, obwohl Kameras Alijews Besuch dokumentierten. Die Wände der Kirche sind mit armenischen Inschriften geschmückt. „All diese Inschriften sind gefälscht – sie sind jüngeren Datums. Armenien hat sich eine falsche Geschichte geschaffen – in einem alten Land, das uns gehört“, sagte Aliijew.

„Armenien wollte diese Kirchen armenisieren, aber das ist gescheitert“, sagte Alijew. Die Botschaft: Das mehrheitlich muslimische Aserbaidschan erhebt generell Anspruch auf armenische Kirchen und Klöster in der gesamten Region. Bakus Begründung lautet wie folgt: Aserbaidschan sei der Nachfahre der alten kaukasischen albanischen Zivilisation. Der Begriff Kaukasisches Albanien bezeichnet einen ehemaligen Staat. Er befand sich in der Antike im Kaukasus, hauptsächlich im heutigen Aserbaidschan.

Doch die Aser­bai­dscha­ne­r*in­nen machen auch vor anderen armenischen Gedenkorten nicht Halt. In der Stadt Schuschi ließ Baku ein Genozid-Mahnmal abreißen, das an den türkischen Völkermord an den Ar­me­nie­r*in­nen 1915 erinnerte. Das passt ins Bild: Während des Krieges um Bergkarabach war die Türkei Aserbaidschans treuester Verbündeter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen