Kunstbuch über das Seidengeschäft: Graues Leinen für leuchtende Seide
Der Laden von Herrn Wong in Los Angeles fiel der Autorin Xiaowen Zhu auf. Ihr Multimediaprojekt „Oriental Silk“ umfasst nun auch ein Buch.
Der Einband des aufwendig gestalteten Kunstbuchs ist nicht, wie man erwarten könnte, aus Seide, sondern ganz klassisch aus Leinen. Und zwar ausgerechnet aus grauem Leinen. Wo das Buch doch von farbenprächtiger Seide handelt, wie die chinesischen und lateinischen Zeichen besagen, mit denen der Einband bedruckt ist.
In „Oriental Silk“ von Xiaowen Zhu erzählt Kenneth Wong ihr die Geschichte seines Ladens für Seidenstoffe. Die Künstlerin und Autorin entdeckte ihn in einer der teuersten Einkaufsmeilen der Welt, im Gebiet des Rodeo Drive in Beverly Hills, Los Angeles.
In dieser Umgebung stach Herrn Wongs Geschäftslokal mit seiner Chopstick-Neonschrift, wie sie weltweit von chinesischen Restaurants bekannt ist, als solcher Anachronismus hervor, dass sich Zhu entschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie betrat den Laden.
Und wie das Leinen nicht zur Seide und „Oriental Silk Importers“ nicht zu den Nachbarn Gucci, Prada oder Chanel passt, so pflegt Xiaowen Zhu das Spiel der Gegensätze auch bei ihren Aufnahmen aus dem Ladengeschäft, die sämtlich schwarzweiß sind. Farbe kommt erst gegen Ende ins Buch, nach den Gesprächen, die die Autorin bei unterschiedlichen Gelegenheiten über ihr Projekt, zu dem neben dem Buch auch Kunstinstallationen und ein Film gehören, geführt hat.
Xiaowen Zhu: „Oriental Silk“. Gestaltung von Studio Cheval. Englisch und Chinesisch. Hatje Cantz, Berlin 2020. 196 Seiten, 51 Abb., 40 Euro
1970 eröffneten Kenneth Wongs Eltern den Laden. Sie waren alt geworden und nicht mehr in der Lage, die Wäscherei, die sie – paradigmatisch für Einwanderer von der Mitte des 20. Jahrhunderts – jahrzehntelang betrieben hatten, fortzuführen. Die Idee, chinesische Seide nach Amerika einzuführen, die Kenneth Wong zufolge der Hollywoodstar Anna May Wong bei einem Besuch der Wäscherei aufbrachte, war kühn. China steckte mitten in der Kulturrevolution, und Handelsbeziehungen zwischen den Ländern bestanden nicht.
Kühn war auch die praktische Durchführung: Über Mittelsmänner und Hongkong entstand eine kleine, informelle Seidenstraße nach Los Angeles, wo die Studios eine kaufkräftige Abnehmerschaft bildeten. Als Mr. Wong, der Informatik studiert und in der Luftfahrtindustrie gearbeitet hatte, aus Respekt vor der Lebensleistung seiner Eltern den Laden übernahm, wurden die Geschäfte schwieriger. Aber, noch Xiaowen Zhu beobachtete 2015 im Laden ausreichend Kunden, die die kostbaren Stoffe und die aufwendige Handarbeit der Seidenstickerei wertschätzten.
Ein Gesichtspunkt, den die britisch-chinesische Künstlerin, die jetzt in Berlin lebt, vor allem in ihren Installationen stark macht. Denn so einfach sich die Erzählung von Herrn Wong zu entfalten scheint, so komplex sind die Aspekte, die verhandelt werden. Über Kundengespräche im Laden und Zhus Fragen kommen die Hinterlassenschaften der chinesisch-amerikanischen Einwanderergeschichte und die Erfahrung im westlichen Kapitalismus ins Spiel, bis hin zum Identitätsangebot der Seide in der Diaspora und der ästhetischen Faszination der Chinoiserien.
Im Band, der persönliche Erinnerungen, Zeit- und Unternehmensgeschichte sowie einen minimalistisch gehaltenen Fotoessay verschränkt, sind dazu Diskussionen anlässlich der Filmvorführung und der Installationen zu „Oriental Silk“ transkribiert, in denen diese Punkte noch vertieft werden.
Seiner inhaltlichen Komplexität trägt das Buch in seiner außergewöhnlichen formalen Gestaltung Rechnung. Bilder und Texte sind in je eigene Blöcke gefasst, wobei die Bildblöcke auf Papier in zartem Gelb, Grün, Grau und Weiß gedruckt sind, während das Gespräch mit Kenneth Wong auf zurückspringende, weil schmaler geschnittene, weiße Papierbögen gesetzt ist. Die Diskussionen finden sich in einem rosafarbenem Block, der Anhang ist weiß auf schwarz gedruckt. Alles natürlich zweisprachig, links der chinesische, rechts der englische Text. Der Blick auf die Geschäftsplakate und Flyer sowie das Display mit den Nähseiden in allen Farbschattierungen am Ende des Buchs ist nicht zuletzt deshalb beglückend, weil man da weiß, dass Kenneth Wong sich zur Ruhe setzen konnte.
Und zwar ohne weitere Sorgen, weil der neue Eigentümer, dem er sein Geschäft im Mai 2020 verkaufte, es fortführt.
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