Vorzeitige Impfung von Olympioniken: Prinzip Hoffnung
Sollen deutsche Sportler:innen vor Olympia geimpft werden? Die Zeit drängt, aber die Verantwortungsträger drücken sich lieber vor Entscheidungen.
D as Dilemma ist offenkundig: Einerseits ist es verantwortungslos, deutsche Sportler:innen ohne Impfangebot zu den olympischen Spielen nach Japan zu schicken, die zu einem Superspreader-Event werden könnten. Auf dem Trip nach Tokio schleppen die Olympioniken zudem neben persönlichen Zielen und Selbstverwirklichungswünschen auch gesellschaftlichen Erwartungsdruck mit. Sie wollen beweisen, dass das Fördergeld, das die Gesellschaft zur Vermehrung des nationalen Ruhms in ihren sportlichen Werdegang investiert hat, gut angelegt war.
Andererseits ist es schwer nachvollziehbar, warum man angesichts einer Pandemie mit tödlichen Folgen diejenigen priorisieren sollte, die aufgrund ihrer ausgezeichneten Konstitution zu den am wenig gefährdetsten Gruppen dieser Gesellschaft gehören.
Zu Beginn des Jahres konnte man noch hoffen, dass dieses Dilemma aufgrund der Impferfolge ein rein theoretisches Gedankenspiel ist. Doch die Zeit wird knapp. Um die Vorbereitung der Spiele nicht ungünstig zu beeinträchtigen, sollten die Impfwilligen im deutschen Team bis spätestens Mitte Juni die Injektionen erhalten haben.
Die Debatte wird zunehmend ungemütlicher. Um klare Bekenntnisse drücken sich die Verantwortungsträger:innen. Dagmar Freitag, die sportpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagfraktion, hat das diese Woche sehr anschaulich demonstriert. Sie haderte noch mit der Entscheidung, dass die Olympischen Spiele überhaupt stattfinden. Und sie ist kurioserweise für beides: Für eine Impfung der Sportler:innen vor den Olympischen Spielen und für eine Beibehaltung der Impfreihenfolge, nach der die Sportler:innen momentan nicht gesichert von einer Impfung vor ihrer Reise nach Tokio ausgehen können. Zumindest erklärte Freitag, sie werde nicht für eine Aufhebung der bestehenden Priorisierung zugunsten der Olympioniken plädieren.
Wachsende Unruhe
Überhaupt könne eine solche Aufhebung nicht der Sportausschuss im Bundestag entscheiden, das müsse die ständige Impfkommission tun. Letztlich ist aber auch diese nur ein beratendes Organ der Bundesregierung, deren Empfehlungen man zu 99 Prozent folge, wie Gesundheitsminister Jens Spahn einmal sagte. Für eine gesonderte Entscheidung zur Impfung von Olympioniken kann sich die Politik jedoch nicht aus der Verantwortung stehlen.
Im organisierten deutschen Sport wächst derweil die Unruhe. Neben autoritären Staaten haben etwa auch Dänemark und Neuseeland ihren Athlet:innen Vorrang eingeräumt. In etlichen Ländern ist man mit dem Impfen weiter vorangeschritten. Das Bekenntnis, sich nicht vordrängeln zu wollen, dient wie einst bei FC Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge immer mehr dem Versuch, sich mit dem Nachsatz eine bessere Position zu erkämpfen.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann erklärte diese Woche, nicht drängeln zu wollen und „herzlich gern“ das zweite Quartal abwarten zu wollen, aber es müsse eine Option geschaffen werden. Der Marathonläufer Arne Gabius argumentierte dieser Tage mit der geringen Zahl der benötigten Impfdosen. Eine geringfügige Bevorzugung kann aber im Zweifelsfall auch Leben kosten. Ein Grund, weshalb der Ethikrat sich bislang gegen eine Priorisierung von Olympioniken ausgesprochen hat.
Wenn man allerdings von der Gefahr eines Superspreader-Events in Tokio ausgeht, ist neben der Verantwortung für die Sportler:innen auch die für die globale Pandemieentwicklung in Betracht zu ziehen. Die Angelegenheit ist komplex. Sie sollte nicht allein der ständigen Impfkommission überlassen werden. Es braucht eine offene Debatte. Aber noch wird auf Zeit gespielt. Die Impfquoten dieser Woche brachten neue Rekorde hervor. Es regiert die Hoffnung, dass das Problem sich von selbst löst.
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