Syrische Geflüchtete in Dänemark: Aus Jütland ins Abschiebelager
Als erstes EU-Land droht Dänemark Geflüchteten mit Abschiebung nach Syrien. Dabei ist eine Rückkehr per Zwang derzeit ausgeschlossen.
2016 folgte Mazen seiner Frau über den Libanon, die Türkei und Griechenland. Seine Fingerabdrücke wurden in Dänemark nicht genommen und Mazen stand vor der Wahl: weiterreisen nach Schweden, in der Hoffnung, seine Familie nachholen zu können, oder ebenfalls in Dänemark Asyl beantragen. „Mir gefiel es hier am Anfang“, erzählt Mazen am Telefon aus Dänemark. Es habe sich angefühlt, als könne er sich etwas aufbauen, nach Krieg und Flucht „wieder jemand sein“. So blieben Mazen und Ward, lernten Dänisch, bekamen ein weiteres Kind, einen Sohn, fanden Arbeit und Studium in Jütland.
Nun aber haben Ward und die sechsjährige Tochter Post von der dänischen Migrationsbehörde bekommen: Ihr Flüchtlingsstatus werde nicht verlängert, im Oktober laufe die Aufenthaltserlaubnis ab. Bereits seit 2019 argumentieren die Behörden, dass Teile Syriens, insbesondere der Großraum Damaskus, wieder „sicher“ seien. 2020 wurden auf dieser Grundlage die Aufenthaltstitel von 94 der 32.000 syrischen Geflüchteten in Dänemark aufgehoben oder nicht verlängert. Dieses Jahr waren bis Ende März bereits 97 Personen betroffen. Als erstes EU-Land droht Dänemark nun syrischen Geflüchteten aus dem Großraum Damaskus mit Abschiebung.
„Ich weiß nicht, ob ich bleiben, gehen oder an einen anderen Ort fliehen soll“, sagt Mazen, „wir sind verloren.“ Für seine Familie hat er in der Nähe von Aarhus gerade erst ein Haus gekauft, plante, sein Geschäft für Elektroartikel zu erweitern. Ward wollte ihr Wirtschaftsstudium abschließen.
Von einer möglichen Abschiebung scheinen vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen betroffen zu sein. Männer wie Mazen, die den Militärdienst in Syrien verweigert haben, und Jungen, die ihn wie Mazens Sohn irgendwann antreten könnten, behalten momentan noch ihren Status. Die Familie läuft somit Gefahr, erneut auseinandergerissen zu werden.
Regierungsziel: keine Asylanträge
Die Entscheidung der sozialdemokratischen Regierung von Mette Frederiksen markiert einen neuen Abschnitt in der zunehmend restriktiven dänischen Migrations- und Asylpolitik. Erst im Januar hatte Frederiksen „null“ neue Asylanträge zum Regierungsziel erklärt. Dabei wurden 2020 rund 1.550 neue Anträge gestellt, die niedrigste Anzahl seit 1998.
Zuletzt machte das Königreich im März mit einer Neuauflage seiner „Ghettopolitik“ Schlagzeilen, durch die „nichtwestliche“ Einwohner:innen aus bestimmten Stadtvierteln verdrängt werden. Während solche Maßnahmen einerseits international auf Kritik stoßen, geht von ihnen gleichzeitig ein Signal aus – an die Betroffenen, aber auch an andere EU-Staaten.
Die Unsicherheit unter Geflüchteten war auch in Deutschland groß, als die Innenministerkonferenz Ende 2020 den Abschiebestopp für Syrien aufhob. Zumindest sogenannte Gefährder und schwere Straftäter wollte Innenminister Horst Seehofer (CSU) abschieben, ein Vorgehen wie im Fall von Afghanistan. Dorthin schiebt Deutschland laut Pro Asyl mittlerweile auch immer mehr nicht straffällig gewordene Menschen ab. „Es wird eine Büchse aufgemacht und Einzelne werden abgeschoben“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. „Aber man versetzt eine ganze Community in Angst und Schrecken.“
Mazen, Geflüchteter aus Syrien
Aber anders als zu Afghanistan unterhält Deutschland zu Syrien keine diplomatischen Beziehungen. Ohne sie sind direkte Abschiebungen praktisch unmöglich. Außerdem gibt Pro Asyl Entwarnung: Die meisten Syrer:innen in Deutschland seien durch ihren Flüchtlingsstatus oder den erteilten subsidiären Schutz auch trotz Aufhebung des Abschiebestopps vor einer Abschiebung geschützt und qualifizieren sich nach einigen Jahren in Deutschland bereits für eine unbefristete Niederlassungserlaubnis.
Aus moralischer Sicht wäre eine Abschiebung nach Syrien, wo Rückkehrer:innen immer wieder verschwinden und ihnen teils Gewalt angetan wird, für Deutschland besonders perfide, läuft doch in Koblenz gerade der weltweit erste Kriegsverbrecherprozess gegen Baschar al-Assads Folterknechte.
Allerdings besteht für Syrer:innen in Deutschland die Möglichkeit einer sogenannten freiwilligen Rückkehr: Die regulären, mithilfe der Internationale Organisation für Migration (IOM) durchgeführten Programme, bei denen Menschen finanzielle Anreize gesetzt werden, in ihr Heimatland zurückzukehren, sind für Syrien zwar momentan ausgesetzt. Aber Interessierte können mithilfe des Bundesamtes für Migration (Bamf) und als Teil einer „selbstbestimmten Entscheidung“ Gelder für „Reisebeihilfe“ oder „Starthilfe“ beantragen, die sich am IOM-Programm orientieren.
Druck auf Geflüchtete
Auch Dänemarks Botschaft in Damaskus ist laut Website „aufgrund der aktuellen Sicherheitslage“ geschlossen. Dass die nun angedrohten Abschiebungen tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, ist deshalb derzeit unwahrscheinlich. Doch der Druck steigt enorm: Wem wie Ward und ihrer Tochter mit Abschiebung gedroht wird, hat die Möglichkeit, am dänischen Programm für „freiwillige Rückkehr“ teilzunehmen. Wer das Geld nicht annimmt oder nicht anderweitig ausreist, dem droht dann zunächst die Unterbringung in einem der dänischen Abschiebezentren, die wegen ihrer haftähnlichen Bedingungen berüchtigt sind – und das „womöglich auf unbestimmte Zeit“, wie der Dänische Flüchtlingsrat eindringlich warnt.
Es ist dieser rechtliche Limbo, den Mazen für sich und seine Familie nicht einfach so hinnehmen will. „Nur über meine Leiche“, sagt er. „Ich will, dass uns die dänische Regierung in Ruhe leben lässt, so wie jeden anderen auch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“