Literatur-Podcast „Laxbrunch“: Suchen, Fragen, Ringen
Die Hamburger AutorInnen Nefeli Kavouras und Anselm Neft sprechen über Bücher, die sie beeindruckt haben – fernab von Neuerscheinungen und Aktualität.
Die beiden produzieren die nächste Folge ihres monatlichen Literatur-Podcasts „Laxbrunch“, der den Untertitel „Der Literatur-Schnack“ trägt. Nur die ersten Minuten sind abgesprochen: der vorproduzierte Jingle, die Begrüßung der Hörerinnen und Hörer, das gegenseitige Abklopfen, wie es einem gerade so geht. Wie ihr Gespräch danach verlaufen wird, welche Schleifen sie drehen werden und ob die Folge heute knapp eine Stunde wird oder die 90 Minuten knackt – mal schauen.
Fest steht nur, dass diesmal Anselm Neft das Werk vorgeschlagen hat, das Gegenstand ihrer Debatte werden wird: „Ceremony“ von Leslie Marmon Silko. Ein Roman, 1977 erschienen und seit langem nur noch antiquarisch erhältlich. Zudem wird Neft im Laufe des Gesprächs die amerikanische Originalfassung empfehlen und von der Übersetzung ins Deutsche eher abraten. Niedrigschwellig ist das erst mal nicht. „Ich bin so gespannt, was du erzählen wirst“, sagt Anselm Neft. „Ich war sehr irritiert über das Buch“, antwortet Nefeli Kavouras.
Sechs Folgen haben sie so in den vergangenen sechs Monaten produziert und ins Netz gestellt: Die sechste Folge kreiste um den Roman zum gleichnamigen Film „Fight Club“, einst als radikale, ungestüme Konsumkritik gelesen, heute eine Kampfanleitung für militante Maskulinisten. In Folge 5 ging es um den französischen Schriftsteller Édouard Levé, der sich im Alter von 42 Jahren das Leben nahm und der mit „Selbstmord“ ein entsprechendes Prosawerk hinterlassen hat. Folge 4 fragt, ob John Irvings seitenstarker Roman „Hotel New Hampshire“ noch immer so toll ist, wie man ihn damals unbedingt fand. Noch davor sollte geklärt werden, ob Edgar Allen Poe nun ein Feingeist oder doch eher ein Literatur-Macho sei; und in der zweiten Folge war Krimi-Autorin Simone Buchholz zu Gast.
Auf der Literaturliste, die zu jeder Folge eigens dazugestellt wird, finden sich die im Gespräch erwähnten Titel wie „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner, „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk, aber auch eine Analyse von Elisabeth Bronfen über Weiblichkeit, Ästhetik und Tod.
Auch diesmal wiegt der zu verhandelnde Inhalt schwer: Denn „Ceremony“ erzählt von einem Native American, der im Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Armee in Übersee gegen die Japaner kämpft. Der gefangenen genommen wird, der einen Todesmarsch durch den Dschungel überlebt, der schwer traumatisiert zurückkehrt. Der, Kind einer Indigenen und eines unbekannten weißen Mannes, in keine der jeweiligen Communitys gehört. Der trinkt und trinkt, der sich wie in Rauch aufzulösen scheint – bis er sich einer rettenden Heilungszeremonie überantwortet. Und das einmal nicht europäisch-linear erzählt: „Die große Plot-Maschine ist es nicht“, wie Neft mittendrin bekennt.
Was auch für den Podcast der beiden gilt, in dem das suchende Sprechen und das gegenseitige Befragen seinen Platz findet. Neft und Kavouras gestehen sich ein, nicht alles gleich zu verstehen und zu erfassen, statt lauthals zu verkünden, was man alles weiß, was man alles in seinem Leben schon gelesen und also auf der Pfanne hat und noch mehr, wie schlagfertig man ist und wie lustig im sich gegenseitig Übertrumpfen und ins Wortfallen. Umgekehrt gefällt es, zwei Literatur-Profis bei der Arbeit zuzuhören, wie sie miteinander ringen, die einen in die Welt der Literatur ziehen, statt einen mit den neuesten Neuerscheinungen zu bedrängen.
Diesmal werden sie sich nach einer Stunde und zwölf Minuten wieder verabschieden. „Erzählst du noch den Mythos unserer Gründung?“, fragt Nefeli Kavouras.
Beide kennen sich privat, sind in einer Schreibgruppe; sind in der Hamburger Lese-Szene unterwegs. Nefeli Kavouras schreibt Prosa, arbeitet im Hamburger Mairisch Verlag, organisiert die mehrsprachige Lesereihe „Hafenlesung“ mit. Vor zwei Jahren gab sie einen Erzählband des so früh verstorbenen Autors Rüdiger Käßner heraus, der sich in seinen Weblesungen um die Werke der anderen kümmerte und sein eigenes hintanstellte.
Anselm Neft ist Mitstreiter der Lesebühne „Liebe für alle“; sein nächster Roman, sein fünfter, ist für 2022 angekündigt – alles verschiebt sich ja gerade sehr.
Wie es zur Idee mit dem Podcast gekommen ist?„Es war Lockdown im März, April, und ich dachte: Lesungen, das wird erst mal nichts – wie wäre es mit einem Podcast?“, sagt Neft. „So was kann man doch auch selbst machen, nur mit wem?“ Er lotet die Eckpunkte aus: „Die Chemie muss stimmen, die Blickweisen müssen unterschiedlich genug sein, trotzdem muss man sich gut verstehen – und da blieben nicht viele Leute.“
Eine Art Test ergab sich, als es zwischendurch kurz möglich war, sich auf ein Bier in einer Kneipe zu treffen, wo die beiden über Bov Bjergs damals frisch erschienenen Roman „Serpentinen“ sprachen, eine Erzählung über einen depressiven Vater, der überlegt, sich umzubringen – so wie sich schon sein Vater und auch der Großvater das Leben genommen haben. Und dazu tranken sie eben Bier.
„Wir hatten je eine komplett andere Sicht auf den Text, haben uns beide dafür sehr stark gemacht und am Ende verstanden, warum der andere den Text sieht, wie er ihn sieht – das hat viel Spaß gemacht, das hätte man im Nachhinein gesehen auch aufnehmen können“, erzählt Nefeli Kavouras. Jedenfalls: Sie war gerade in Köln, eingeladen von der Plattform Audible, die derzeit sehr erfolgreich Hörbücher und Podcasts vermarktet und per Abo unter die Leute bringt. Es ging um eine Hörproduktion mit Geschichten aus dem eigenen Leben: „Das war mein allererstes Mal in meinem Leben: ich, am Mikrofon.“ Fast eine halbe Stunde sprach sie am Stück, eine Art Aha-Erlebnis: „Ich spreche und lese nicht ab – das hat sich bizarr angefühlt, aber auch mega gut.“
So gestimmt stieg sie in den Zug zurück nach Hamburg, als ihr Handy schnurrte, weil Neft sie per SMS fragt, ob sie nicht mit ihm einen Podcast machen möchte. „Normalerweise wäre ich vorsichtig gewesen, von wegen: Kann ich das? Anselm ist schließlich doppelt so alt, er ist ein gestandener Autor.“ Aber die Euphorie sagte: Na, klar. Und sie machten eine Pause – also sie wollten eine Pause machen. Doch sie sprachen noch mal über das Buch, seinen Inhalt, seinen so ganz anderen Stil. Das sei schon Weltliteratur, sagt Nefeli Kavouras, dieser Roman, den Leslie Marmon Silko schrieb, als sie 29 Jahre alt war. Schullektüre war der Roman zeitweise in den Staaten. Dann fragt sie ihren Podcastpartner: „Hast du eigentlich alles gesagt, was du sagen wolltest?“
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