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Feministischer Bestseller aus KoreaEin ganz normales Frauenleben

Cho Nam-joo erzählt in dem ungewönlich sachlichen Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ von einer jungen Frau, die immer wieder ausgebremst wird.

Cho Nam-joo hat mit ihrem Roman den Nerv der Zeit getroffenn Foto: Jun Michael Park/laif

Einer hat geschrieben: „Diese Bitch, sie ist doch hübsch, warum muss sie da Feministin sein?“ Andere männliche Fans des K-Pop-Stars Irene, Mitglied von Red Velvet, haben im Internet Bilder zerschnittener Fotos von ihr gepostet. Irene ist durch bei diesen Jungs, seit die junge Frau bei einem Fantreffen erwähnt hatte, dass sie gerade „Kim Jiyoung, geboren 1982“ gelesen habe. Der Roman, im Original 2016 erschienen, wurde zum Millionenbestseller in Korea, und das will etwas heißen. Den letzten Bestseller dieser Größenordnung habe es, schreibt Wikipedia, im Jahr 2009 gegeben. Auch die Verfilmung, die 2019 in die Kinos kam, verzeichnete Zuschauerrekorde.

Ja, „Kim Jiyoung, geboren 1982“ ist ein feministischer Roman. Und zwar einer, in dem – und das macht sicher einen Großteil seiner Sprengkraft aus – das Fiktionale im Grunde eine untergeordnete Rolle spielt. Die handelnden Figuren mögen erfunden sein, aber das Leben, das sie führen, und die Gesellschaft, in der sie das tun müssen, sind dasselbe Leben und dieselbe Gesellschaft, die ko­rea­ni­sche Frauen aus eigener Erfahrung kennen.

Der Roman

Cho Nam-joo: „Kim Jiyoung, geboren 1982“. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 208 Seiten, 18 Euro

Die Autorin Nam-joo Cho (in koreanischer Schreibweise Cho Nam-joo) hat in ihrem dritten Roman das Leben einer koreanischen Durchschnittsfrau geschildert, gebettet in ein schlichtes, aber wirkungsvolles Konzept. Das Ganze ist im sachlichen Stil eines unbeteiligten Berichts gehalten. Statistische Daten, die in regelmäßigen Abständen einfließen, stellen einen direkten Bezug der Ereignisse zur außerfiktionalen Realität her, die Quellenangaben stehen in Fußnoten darunter.

Das Leben ihrer Protagonistin unterscheide sich nicht sehr von demjenigen, das sie selbst geführt habe, hat Cho Nam-joo bekannt. Auch deshalb habe sie den Roman so schnell schreiben können. Sie hat nur zwei Monate dafür gebraucht.

Ihre Mutter spricht aus ihrem Mund

Jiyoung, ihre Protagonistin, ist eine junge Mutter, Ehe- und Hausfrau, Mitte dreißig, die plötzlich beginnt, sich seltsam zu verhalten. Phasenweise scheint sie aus ihrem eigenen Leben auszusteigen, um eine andere Person zu werden.

Mal ist es ihre Mutter, die aus ihrem Mund spricht, mal eine gute Freundin, die einige Jahre zuvor verstorben ist. Immer sind es Frauen. Als fiktiver Autor des Romans, der auf der Suche nach den Ursachen von Jiyoungs Verhaltens­auffälligkeiten ihr bisheriges Leben sachlich rekapituliert hat, wird sich am Ende des Buchs ihr Psychiater erweisen.

Diese im Wortsinne musterhafte Kim Jiyoung, die 1982 als zweites von drei Kindern in ­Seoul geboren wird, wächst in einer Welt auf, in der es normal ist, dass der Jüngste in der Familie, der Bruder, seinen beiden Schwestern gegenüber von Beginn an Privilegien hat, zum Beispiel bei Tisch gleich nach dem Vater sein Essen serviert bekommt.

Söhne bevorzugt

Was die Kinder nicht wissen, ist, dass die Mutter ursprünglich mit einem Mädchen schwanger gewesen war, das als drittes Kind der Familie geboren worden wäre, hätte sie es nicht abtreiben lassen. (Dazu die Statistik: Zu Beginn der neunziger Jahre sind in Korea „bei den Drittgeborenen doppelt so viele Jungen wie Mädchen“ zur Welt gekommen.) In der Schule, in die die Schwestern gehen, gelten für Mädchen viel striktere Kleidungsvorschriften als für Jungen. Mädchen, die sich gegen solche Ungerechtigkeiten auflehnen, werden betraft.

Als Heranwachsende fühlt Jiyong sich im öffentlichen Raum oft von Zudringlichkeiten fremder Männer unangenehm berührt oder gar bedroht. Über Jiyoungs Studienzeit hat der Roman eher wenig zu berichten, oder fast nur Gutes, scheint sie doch während ihrer Zeit an der Uni erstmals ein nennenswertes Sozialleben zu haben. Jiyoung geht erste Liebesbeziehungen zu Männern ein.

Schwierig wird alles wieder nach dem Studium, als sie lange vergeblich nach einem Job sucht, da auch in der Arbeitswelt männlichen Bewerbern meist der Vorzug gegeben wird und weibliche Angestellte viel geringere Aufstiegschancen und niedrigere Gehälter haben. Dazu heißt es: „Laut einer Statistik aus dem Jahr 2014 verdienen Frauen OECD-weit umgerechnet 844 Dollar auf 1.000 Dollar Einkommen der Männer, in Korea sind es lediglich 653 Dollar.“ (Tatsächlich liegt Korea auch in aktuelleren Erhebungen mit weitem Abstand ganz hinten; aber auch die deutsche Wirtschaft darf sich schämen mit ihrem achtletzten Platz im OECD-Vergleich.)

Als Jiyoung nach der Heirat mit einem netten, verständnisvollen Mann ein Kind bekommt, ist beiden klar, dass sie es sein muss, die ihre Arbeit aufgibt, um das Baby zu versorgen, da doch ihr Mann wesentlich mehr verdient.

Bittere Enttäuschungen

Es geht aus dem Roman zwar auch klar hervor, dass sich im Vergleich zur Generation von Kim Jiyoungs Mutter, die auf eine Ausbildung hatte verzichten müssen, damit ihre Brüder studieren konnten, schon viel zugunsten der koreanischen Frauen verbessert hat. Dennoch entsteht der bittere Eindruck einer Gesellschaft, in der die jungen Frauen inzwischen oft hochqualifiziert, aber gleichzeitig die traditionellen patriarchalen Vorstellungen noch so tief verankert sind, dass sie gegen ihren Willen in alte Rollenmuster zurückgedrängt werden.

Chos Verfahren, den Roman gleichsam im Gestus eines neutralen Arztberichts zu verfassen, ist in doppelter Hinsicht raffiniert. Der minimalistische Berichtsstil unterstreicht die exemplarische Allgemeingültigkeit des Erzählten. Zugleich wird die Ausweglosigkeit von Jiyoungs Situation durch diese Form noch deutlicher.

Denn so wohlmeinend der Psychiater sein mag: Auch er ist ein Mann, der als personifizierter Stellvertreter für die männliche Mehrheit der Gesellschaft steht. Zwar erkennt er die Ursachen der existenziellen Verstörung seiner Patientin, kann ihr aber nicht helfen. Und offenbar versteht er nicht einmal, dass er als Ehemann, dessen Frau des gemeinsamen Kindes wegen ihre eigene Karriere aufgegeben hat, und als Arbeitgeber, der keine verheirateten Frauen einstellt, selbst ein Teil des Problems ist.

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