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Gutachten zu Missbrauchsfällen in KölnPersilschein für Kardinal Woelki

Das Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche entlastet den Kölner. Belastet wird sein Hamburger Kollege Stefan Heße.

Hat sich laut Gutachten formal nichts zu Schulden kommen lassen: Kardinal Rainer Maria Woelki Foto: dpa

Bochum taz | „Diesen Tag habe ich herbeigesehnt, aber auch gefürchtet“, sagt Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki am Donnerstag. Gerade hat er ein 800 Seiten starkes Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger entgegengenommen. Die Untersuchung sollte klären, wie viele katholische Würdenträger in Köln, dem größten deutschen Bistum, von dem massiven sexuellen Missbrauch an Kindern und Schutzbefohlenen durch Priester und Kirchenmitarbeiter wussten – und inwieweit sie an der Vertuschung beteiligt waren.

Zumindest persönlich kann Woelki erleichtert sein: Die von seinem Erzbistum im Oktober 2020 selbst beauftragten Straf­recht­le­r:in­nen bescheinigen ihm, „keine Pflichtverletzungen“ bei der Aufklärung, Sanktionierung und Verhinderung von sexuellem Missbrauch sowie der „Opferfürsorge“ begangen zu haben. Schwere Vorwürfe machen die Anwälte dagegen dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Der habe in seiner Zeit als Kölner Generalvikar 11-mal gegen innerkirchliche Vorschriften und Kirchenrecht verstoßen.

Woelkis Vorgänger, dem 2017 gestorbenen Kardinal Joachim Meisner, werden 24 Pflichtverstöße zur Last gelegt. Statt aufzuklären, habe der ultrakonservative Kirchenfürst Vorwürfe von sexuellem Missbrauch durch Priester in einer Akte mit dem Titel „Brüder im Nebel“ gesammelt, die nach Meisners Tod im Geheimarchiv verschwand.

Dem heutigen Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp attestierten die An­wäl­t:in­nen Björn Gercke und Kerstin Stirner bei der Vorstellung des Gutachtens 8 Pflichtverletzungen. Dem obersten Kölner Kirchenrechtler Günter Assenmacher werfen sie „zwei Fälle falscher Rechtsauskunft“ vor.

202 Beschuldigte – und mindestens 314 Betroffene

Zusätzlich listet das Gutachten 30 weitere Verstöße gegen Kirchenrecht auf, im Untersuchungszeitraum von 1975 bis 2018 begangen von vier weiteren Führungspersönlichkeiten des Erzbistums. Insgesamt gab es aber Hinweise auf 202 Beschuldigte – und mindestens 314 Betroffene. Strafrechtlich ergäben sich keine Konsequenzen: Da die meisten Fälle aus den 70er Jahren stammen, aber erst nach 2010 bekannt wurden, gelten sie als verjährt.

Woelki nutzte das Gutachten für einen Befreiungsschlag: Höchste kirchliche Würdenträger hätten „sich schuldig gemacht“, erklärte der 64-Jährige – und räumte „Vertuschung“ ein. Schwaderlapp und Assenmacher entband er „mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben“. Außerdem werde das Gutachten an den Vatikan weitergeleitet, sagte Woelki – mit Blick auf den zum höchsten katholischen Geistlichen Hamburgs aufgestiegenen Heße. Über die Zukunft eines Erzbischofs müsse „der heilige Stuhl entscheiden“.

Allerdings entlastet das Gutachten Woelki nur formaljuristisch: Dem seit 2014 amtierenden Erzbischof wird vorgeworfen, 2015 selbst Vorwürfe schweren sexuellen Missbrauchs gegen einen Düsseldorfer Priester, der als sein Mentor galt, nicht an den Vatikan gemeldet zu haben. Kirchenrechtlich sei dies korrekt gewesen, erklärte Gutachterin Stirner, da der Beschuldigte krank und „verhandlungsunfähig“ gewesen sei.

Außerdem hält Woelki eine bereits im Dezember 2018 in Auftrag gegebene erste Untersuchung seit mehr als einem Jahr zurück. Der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl sei es nicht gelungen, ein rechtssicheres Gutachten vorzulegen, heißt es. Berichte über dessen Inhalt sollen erst ab kommenden Donnerstag möglich sein.

Gutachter Gercke sieht Woel­ki dennoch entlastet: Auch die Münchener Untersuchung komme zu dem Schluss, dass er den Fall des Düsseldorfer Priesters nicht nach Rom melden musste. Die katholische Basisorganisation „Wir sind Kirche“ forderte dagegen den Rücktritt Woelkis und den von Heße. Als Erzbischöflicher Kaplan und Geheimsekretär seines Vorgängers Meisner sei Woelki „selbst Teil des Systems der Vertuschung gewesen“.

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5 Kommentare

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  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    Kardinal Woelkis Verhalten im Zusammenhang mit Aufklärung, Sanktionierung und Verhinderung von sexuellem Mißbrauch sowie der Opferfürsorge war Gegenstand von drei Untersuchungen: durch den Vatikan, die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl und der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger. Alle drei Untersuchungen kommen zu dem Schluß, daß dem Kardinal-Erzbischof im gesamten Zeitraum von 1975 bis 2018 kein Fehlverhalten zur Last gelegt werden kann.

    Es wäre eher an der Zeit, sich bei ihm für die Angriffe der vergangenen Monate zu entschuldigen, als Rücktrittsforderungen zu stellen, weil er "selbst Teil des Systems der Vertuschung gewesen" sei.

  • Sicher ist hier Rücksicht-&Anteilnahme für die Opfer unverzichtbar. But.

    Beim Lesen von “Brüder im Nebel“ & “Schwaderlapp“!



    Wird sicherlich nicht nur der Kölner - eine unhillich Konkordanz imaginieren!



    Normal.

    • @Lowandorder:

      Wie war das mit



      "Nomen est Omen"?

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Ja. Wollt es erst auch nicht glauben.



        Vllt deswegen lieber Pfaffe geworden? - 🥳 -

        • @Lowandorder:

          Zarter Hinweis: Dreijährigen Schlachten

          Mein Lieblingsgroßonkel - der Großbauer & bezeichnenderweise auch der Lieblingsonkel van uns Ohl wör:



          “Jung. Möst Paster warrn!“ - “Nee Nee - lot mi an Lann!“ - “Doch. Möst Paster warrn. Feinen Bandsche. Dreijährigen Slachten!“ ???? & Däh! - 😈 - Düwel ook:



          Alle drei Jahre dieselbe Predigt. Merkt kein 🐗! = Pfaffen unter Wind! Aber ja!



          Liggers Normal - 👹 -