5 Jahre EU-Türkei-Abkommen: Ein Deal mit vielen Kratzern
6 Milliarden Euro flossen von der EU an die Türkei, damit Geflüchtete nicht über die Grenzen kommen. Beide Seiten sehen Defizite bei der Umsetzung.
Jetzt besucht sie eine Schule für syrische Kinder in Şırnak. Ohne die Hilfe, die die EU seit nunmehr fünf Jahren für die Unterstützung syrischer Flüchtlinge in der Türkei aufbringt, wäre Seyma jetzt wahrscheinlich weder in der Schule, noch könnte sie wieder laufen. Zwar hat die Prothese eine private Hilfsorganisation gespendet, doch die medizinische Versorgung der Flüchtlinge aus Syrien und der Aufbau von Schulen für über 1,3 Millionen syrischer Kinder wird von der EU stark unterstützt.
Insgesamt 6 Milliarden Euro hat die EU bislang im Rahmen des EU-Türkei-Flüchtlingspaktes für die Unterstützung syrischer Flüchtlinge in der Türkei aufgebracht.
Mit dem Geld wurden Kliniken gebaut, Schulen errichtet und lokale Gesundheitszentren ermöglicht. Einer der wichtigsten Programmpunkte ist das sogenannte Cash-Kartensystem, bei dem derzeit 1,8 Millionen Flüchtlinge monatlich 15 Euro für den Kauf von Grundnahrungsmitteln überwiesen bekommen.
Abschottung und Milliarden
Während die 6 Milliarden entweder bereits ausgegeben wurden oder aber für bestimmte Projekte fest zugesagt sind und deshalb jetzt erst einmal keine neuen Projekte finanziert werden können, ist das Cash-Kartensystem bereits bis 2022 verlängert worden. Es trägt der Situation Rechnung, dass von den rund 3,6 Millionen offiziell registrierten syrischen Flüchtlingen nur noch rund 1 Prozent in Lagern lebt, wo sie vom türkischen Roten Halbmond versorgt werden. Alle anderen sind längst über das ganze Land verstreut. Allein in Istanbul leben offiziell 500.000 Flüchtlinge, Hilfsorganisationen gehen aber davon aus, dass tatsächlich schon rund 1 Million Syrer nach Istanbul eingewandert sind.
Auch wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den letzten Jahren immer wieder moniert hat, dass das Geld aus Brüssel viel zu langsam komme und die projektgebundene Mittelvergabe viel zu restriktiv sei, haben die bislang gezahlten Milliarden doch geholfen, die Situation der Flüchtlinge zu stabilisieren. Neben der stärkeren Abschottung der EU an der türkisch-griechischen und türkisch-bulgarischen Grenze hat das sicher einen entscheidenden Anteil daran, dass die „illegale Einwanderung“ in die EU über die Türkei sehr stark reduziert werden konnte.
Andere Punkte des am 18. März 2016 unterschriebenen EU-Türkei-Flüchtlingspaktes wurden dagegen gar nicht umgesetzt. Eigentlich sollten die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln, die keine Aussicht auf Asyl haben, umgehend in die Türkei zurück abgeschoben werden. Für jeden Flüchtling, den die Türkei aus Griechenland zurücknimmt, sollte dann in einem ausgeklügelten Verfahren ein Flüchtling direkt aus der Türkei legal in die EU kommen dürfen. Damit wollte man den Flüchtlingen klarmachen, dass sie lieber in der Türkei warten sollten, als sich im Schlauchboot auf den Weg zu den Inseln zu machen.
Dieses Verfahren hat nie funktioniert. Am Mittwoch forderte der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi die türkische Seite zur Rücknahme von knapp 1.500 Migranten auf, als Zeichen der „Bereitschaft zur Zusammenarbeit“ mit der EU. Abgesehen davon, dass die Türkei mit dem Verweis auf die Coronapandemie derzeit sowieso keinen Flüchtling aus Griechenland zurücknimmt, hat aber auch die griechische Justiz bei dem ganzen Verfahren nicht mitgespielt, weshalb sich die Asylverfahren auf den Inseln bis heute über Jahre hinziehen. Zum anderen waren auch die meisten EU-Länder nicht bereit, direkt Flüchtlinge aus der Türkei einzufliegen.
Die EU hatte der Türkei außerdem in Aussicht gestellt, dass türkische Bürger visumfrei einreisen dürften. Das ist bis heute nicht der Fall und einer der Gründe, warum Erdoğan den Pakt neu aushandeln will. Der Außenbeauftragte der EU, Joseph Borrell, hat erst am Dienstag erklärt, dass die Kommission grundsätzlich bereit sei, den Flüchtlingspakt neu aufzulegen, dafür müssten aber alle Mitgliedsländer zustimmen. Beim EU-Gipfel am 23. März soll darüber diskutiert werden, wie die EU mit der Türkei weiter verfahren will.
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