Flüchtlingsdeal mit der Türkei: Eskalation mit Ansage
Visumfreiheit als Streitpunkt. Die türkische Regierung droht der EU mit dem Scheitern des Abkommens über die Rücknahme von Flüchtlingen.
Auch das Auswärtige Amt blieb im Tonfall betont ruhig. Eine Drohung oder ein Ultimatum könne er in den Äußerungen des türkischen Außenministers nicht erkennen, sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer – sie seien eher ein „kräftiger Ausdruck der türkischen Position“. Schäfer betonte, dass die Vereinbarung der EU mit der Türkei vom 18. März weiter gelte. Es bleibe dabei, dass die Voraussetzungen für eine Visa-Liberalisierung zunächst erfüllt sein müssten.
Damit schloss sich die Bundesregierung der EU-Kommission an. Eine Sprecherin hatte schon am Sonntagabend klar gemacht, dass sich Europa nicht erpressen lassen werde. Die Visumfreiheit für türkische Bürger werde es nur geben, wenn alle Bedingungen erfüllt seien, sagte die Kommissionssprecherin.
Auch aus der Opposition kam Kritik an der Türkei. „Wenn der türkische Außenminister nun ein Ultimatum setzt, verkennt er, dass der Ball bei der türkischen Regierung liegt“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir der taz. Es sei die Entscheidung von Präsident Erdoğan, „ob er lieber weiterhin Journalisten unter dem Deckmantel des Terrorpragraphen einsperren will oder den eigenen Bürgern endlich visumfreie Reisen in die EU ermöglicht“, betonte Özdemir.
Druck auf die EU steigt
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Aufkündigung der EU-Türkei-Vereinbarung gedroht. „Wenn es nicht zu einer Visaliberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmeabkommen und der Vereinbarung vom 18. März Abstand zu nehmen.“ Die türkische Regierung erwarte „einen konkreten Termin“. Dies könne Anfang oder Mitte Oktober sein, aber man erwarte „ein festes Datum“.
Dies ist eine Eskalation in den Beziehungen der Europäischen Union zur Türkei. Die EU hatte der Türkei 72 Bedingungen für die Reisefreiheit türkischer Bürger gestellt, die Verhandlungen laufen schon seit Dezember 2013. Am 18. März dieses Jahres, nach Monaten mit einer sehr hohen Zuwanderung von Flüchtlingen aus der Türkei, schlossen die EU und die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan eine Abmachung. Die EU sagte der Türkei Milliardenhilfen für die Versorgung von Flüchtlingen zu und die Reisefreiheit für türkische BürgerInnen ab Ende Juni.
Im Gegenzug verpflichtete sich die Türkei, illegal nach Griechenland eingereiste Geflüchtete zurückzunehmen. Die EU und die Türkei verabredeten damals einen 1:1-Deal. Für jeden aus Griechenland in die Türkei abgeschobenen Syrer sollte ein Syrer legal aus der Türkei in die EU einreisen können.
Harter Kurs statt Liberalisierung
Dieser Türkei-Deal ist ein entscheidender Baustein in Angela Merkels Plan, illegale Zuwanderung nach Europa zu verhindern. Doch die ursprünglich ab Ende Juni geplante Reisefreiheit scheiterte, weil die Türkei nicht alle 72 Bedingungen erfüllte. Bis heute sind nicht alle Punkte abgehakt. Der Wichtigste sind die so genannten Anti-Terror-Gesetze Erdoğans. Die EU kritisiert, dass sie Terrorismus zu allgemein definieren und die Verfolgung von kritischen Oppositionellen ermöglichen. Auf Basis der Gesetze wurden zum Beispiel Journalisten, Aktivisten oder Politiker inhaftiert.
Erdoğan wiederum hat kein Interesse an einer Änderung der Gesetze und hat das auch öffentlich gesagt. Seit dem Putschversuch geht seine Regierung rigoros gegen vermeintliche Feinde vor, eine sicherheitspolitische Liberalisierung würde diesem harten Kurs widersprechen.
Die Drohung aus Ankara dokumentiert deshalb auch, wie festgefahren die Verhandlungen sind. Für Merkel ist die EU-Türkei-Vereinbarung wichtig. In Kombination mit den Grenzschließungen der Balkanstaaten hat sie zu einem starken Rückgang der Zahl der auf den griechischen Inseln ankommenden Geflüchteten geführt.
Kaum Fluchtwege offen
Dort gingen laut FAZ im Januar und Februar täglich fast 2.000 Menschen an Land, im Juni waren es nur noch 50. Die Schlepper finden kaum noch Menschen, die für die teure illegale Überfahrt über die Ägäis bezahlen. Laut Bundesinnenministerium schoben griechische Behörden seit März 468 Menschen in die Türkei ab. 849 Menschen nahm die EU aus der Türkei in einem Ressettlement-Programm auf – davon kamen 294 nach Deutschland.
Was passieren würde, wenn die Türkei die Vereinbarung kündigte, ist unklar. Einerseits dürfte sich unter den Geflüchteten in der Türkei herumgesprochen haben, dass der Weg über die Balkanroute nach Mittel- und Nordeuropa versperrt ist. Dies spräche dagegen, die gefährliche Überfahrt nach Griechenland zu wagen.
Gleichzeitig spitzt sich die Situation in der Türkei zu, was viele doch zur Flucht bewegen könnte. Griechenland, wo jetzt schon Flüchtlinge in katastrophalen Zuständen leben, wäre heillos überlastet. Das Elend der Geflüchteten wäre damit wieder in der EU angekommen.
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