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Berlins grüne Spitzenkandidatin JaraschIhre Konterchance

Grünen-Spitzenkandidatin Jarasch ist viel weniger bekannt als SPD-Konkurrentin Giffey. Nach dem Parteitag am Wochenende könnte sich das ändern.

Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch kennen drei von vier Berlinern nicht Foto: Doris Spiekermann-Klaas/TSP/imago

Berlin taz | Die Frage kommt ganz am Ende der Grünen-Pressekonferenz zum Freitag beginnenden Parteitag. Ob sie sich unter Druck fühle wegen ihrer geringen Bekanntheitswerte?

Bettina Jarasch tut, was sie oft macht, wenn eine Frage auf einen Schwachpunkt zielt und sie die irgendwie schon erwartet hat: Sie lächelt ers mal, bevor sie antwortet. „Nein“, sagt die Frau, die im Herbst Berlins erste grüne Regierungschefin werden will, „die sind ja nun keine Überraschung gewesen.“ Diese Werte waren jüngst Ergebnis einer repräsentativen Umfrage und lauten: Nur 24 Prozent der Berliner kennen Jarasch, mehr als dreimal so viele aber ihre mutmaßlich schärfste Konkurrentin, SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey, die auf 80 Prozent kommt.

Das grüne Problem: Die pandemiebedingten Kontakteinschränkungen gaben und geben Jarasch über Wochen und Monate kaum Gelegenheit, an der mangelnden Bekanntheit groß etwas zu ändern. Giffey kann qua Amt als Bundesfamilienministerin Schlagzeilen machen und wird sogar zitiert, wenn sie sich zum Thema Impfen äußert, für das sie gar nicht zuständig ist. Die Grüne hingegen kann oft nur auf Themen aufspringen und hoffen, dass die von ihrem Pressesprecher angebotenen Zitate Absatz finden.

Im grünen Landesverband findet sich zwar noch keine breite Kritik daran, eher Verständnis für die coronabedingt schwierige Lage. Den Tenor bildet ein Satz von Fraktionschefin Silke Gebel gegenüber der taz ab: „Wir sind doch erst am Anfang.“ Und dennoch ist mit jeder weiteren Giffey-Schlagzeile eine wachsende Ungeduld spürbar – es müsse etwas kommen, ein eigener Auftritt, eine Art Konter, ein Ruck.

Es soll um Klimaschutz gehen

Drei Tage Grünen-Parteitag

Erst digital, dann in echt am Sonntag mit vorherigem Schnelltest: Drei Tage beraten und stimmen in einem Hotel in Mitte die Berliner Grünen von Freitag an über ihr Wahlprogramm für die Abgeordnetenhauswahl "Die Zukunft ruft nach uns" und über die Kandidatenliste für die Bundestagswahl am 26. September ab. Während die Partei Kandidaten sonst stets in Mitgliederversammlungen aufstellt, passiert das dieses Mal wie beim Wahlprogramm über eine 155-köpfige Landesdelegiertenkonferenz. Der Vorstand führt dafür pandemiebedingte Gründe an. (sta)

Der Grünen-Parteitag von Freitag bis Sonntag, der erst digital das Wahlprogramm beschließen und dann live die Kandidaten für die Bundestagswahl bestimmen soll, er bietet genau dafür das Podium. Wenn Jarasch gleich nach Eröffnung des Parteitags und den anfänglichen Formalien als erste Rednerin auf dem Schirm zu sehen ist, so ist das ihre große Konterchance. Trifft sie dabei einen besonderen Ton, fängt sie da eine besondere Stimmung ein, die über schon Gehörtes hinausgeht, so könnte sie, wie es bei Corona so oft zu hören ist, vor die Welle kommen, könnte agieren, statt zu reagieren.

Das nicht als Druck zu empfinden ist schwer. Umso mehr, als Giffey oft frei spricht, Souveränität und Führungserfahrung austrahlt. Über Jaraschs Rede bei ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin im Dezember hingegen schrieb etwa der Tagesspiegel: „Es war eine gute, bedächtige Rede. Angriffslustig oder überschäumend vor Ideen wirkte sie nicht, manchmal sogar etwas nervös.“

Im digitalen Pressegespräch mag Jarasch zu ihrem zentralen Thema am Freitag nur so viel sagen: „Es ist klar, dass Klimaschutz im Zentrum der Rede stehen wird.“ Den werde man nur hinkriegen, wenn er Priorität im gesamten Regierungshandeln bekommt. Das ist so richtig wie nicht neu – schon der gerade de facto wiedergewählte grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat als seine drei wichtigsten Themen „Klimaschutz, Klimaschutz, Klimaschutz“ genannt.

Zieht eine beliebte Spitzenkandidatin?

Die Landtagswahlen in Kretschmanns Baden-Württemberg und im benachbarten Rheinland-Pfalz haben dabei in Berlin die Diskussionen befeuert, dass es auch hier möglich sein könnte, als überaus beliebte Spitzenkandidatin gegen den Bundestrend eine Landtagswahl zu gewinnen. So wie SPD-Frau Malu Dreyer es am Sonntag vorgemacht hat. Geht das auch in Berlin? Giffey wird absehbar versuchen, als alltagsnahe unideologische Problemlöserin jenseits von SPD-internem Streit im Wahlkampf zu punkten.

Die Gegenthese lautet: Nette Idee, aber wenn wie dieses Mal auf Bundes- und Landesebene gleichzeitig gewählt wird, klappt das nicht mit der Abkopplung von einem schwächeren Parteiergebnis. So gibt es bei den Grünen auch die Hoffnung, dass Jarasch selbst bei anhaltender geringerer Bekanntheit auf der grünen Welle ins Rote Rathaus kommt.

Ob sie nach dem Parteitag die Schlagzeilen beherrscht, wird auch von der Listenaufstellung für die Bundestagswahl abhängen. Gibt es dabei am Sonntag Krach und Ärger, könnte das auch eine sehr gute Rede überdecken. Gegenwind von der Initiative „Basis ist Boss“ ist dazu nicht mehr zu befürchten. Die Gruppe um das Charlottenburger Parteimitglied Michael Blöcher hatte für die Kandidatenwahl eine digitale Vollversammlung für die inzwischen 10.000 Mitglieder des Landesverbands gefordert, nicht bloß die jetzige Konferenz von 155 Delegierten.

„Basis ist Boss“ wollte Mitgliederversammlung

Nachdem vor drei Wochen in kurzer Zeit rund 100 Mitglieder und vier bekannte grüne Gesichter diese Forderung unterstützten, setzte sich dieser Trend nicht fort: „Wir sind definitiv nicht bei 200“. sagte Blöcher am Dienstag der taz. Unterstützung gibt es nach seinen Worten sonst nur von 2 der fast 30 Landesarbeitsgemeinschaften der Partei – Mobilität und Säkulare Grüne. „Das muss man akzeptieren“, sagte Blöcher.

Nicht hinnehmen mag er hingegen eine in der Partei kursierende Darstellung, seine Intitiative sei insgeheim von Özcan Mutlu gesteuert, der sich bei einer Mitgliedervollversammlung größere Chancen für einen guten Platz auf der Bundestagskandidatenliste ausrechne. „Das ist eigentlich eine Frechheit“, sagt Blöcher, „als ob ich keine eigene Meinung hätte und ferngesteuert wäre.“ Man habe bei Mutlu zwecks Mitarbeit nachgefragt, aber der habe ausdrücklich Nein gesagt, damit die Ini­tiative nicht personalisiert werde.

Mutlu will wieder kandidieren

Mutlu hatte schon im Spätsommer und Herbst, als er sich vergeblich um die Direktkandidatur in Mitte bewarb, eine angeblich vorbereitete Kandidatenliste kritisiert: Migranten seien auf den aussichtsreichen Plätzen für den Bundestag nicht vorgesehen, wohl aber 3 von 7 Landesvorstandsmitgliedern. Am Dienstag sagte Mutlu der taz, dass er für Platz 6 antrete: „Ich mache ein Angebot mit meiner Erfahrung und als Mensch mit Migrationshintergrund, und nun müssen die Delegierten entscheiden.“

Der Vorstand bestreitet, eine solche Liste verhandelt oder besprochen zu haben. Jarasch räumte im Pressegespräch allerdings ein: „Ja, da ist wirklich noch Luft nach oben bei der Diversität.“ Die Liste für die Abgeordnetenhauswahl, die werde diverser, versprach sie. Darüber beschließen die Grünen nach Ostern. Klappt es also jetzt beim Parteitag nicht mit dem Kontern gegen Giffey, hat Jarasch dort eine weitere Chance.

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