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Vor den Wahlen in Baden-WürttembergUlm, du verkanntes Genie!

Die Stadt ist mehr als ein bloßer Namenswitz. Hier verbergen sich Pioniercharakter, Ironiefähigkeit – und ein Rest echter Schwäbischkeit.

Denkmal für den einst geschmähten „Schneider von Ulm“, Installation Johannes Pfeiffer 2012 Foto: J. Pfeiffer/imago

ULM taz | Läuft man auf der boulevardbreiten Ulmer Stadtmauer um Ulm herum, staunt man als Nichtulmer vor allem über die Nichtulmigkeit von Ulm. Über Ulm weiß man als Nichtulmer ja nur, dass es ein Umland von Ulm geben muss und man zur Aussprache des Namens einen auf halbem Wege stecken bleibenden Würgelaut zu imitieren hat.

Aber dass es nicht nur um Ulm herum schön ist (Neu-Ulm, Schwäbische Alb, Bayern), sondern auch untenrum (Donau, traufständiges Fachwerk mit Schleppgauben, größter Kirchturm der Welt), obenrum (Eselsberg, größte Festung Europas, Science Park I bis III) und innendrin (mediterranes Am­biente mit Fischerviertel und Kanälen, das seit 1910 bestehende „Café Mohrenköpfle“, 100 % vegane Cigköfte bei Urfalim in der Schuhhausgasse) – wer wusste davon?

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Albert Einstein, Hildegard Knef, die älteste Verfassung einer deutschen Stadt – geschenkt. Aber womöglich begann in Ulm sogar auch noch der deutsche Feminismus: 1491 ergaben sich die Stadtväter dem Kampf der Ulmer Metzgerinnen, die ein Jahr lang gegen das Berufsverbot für Frauen in Schlachtbetrieben protestiert hatten. Es ist beschämend, ahnunglos ganz Ulm immer nur des Namens wegen verspottet zu haben.

Doch dieses Schicksal scheint an der Stadt zu kleben wie ein Spätzle am anderen.

Erste Flugversuche

Bei Bertolt Brecht hat man vielleicht mal was vom „Schneider von Ulm“ gelesen – dem als Fantast und Spinner geschmähten Ulmer Albrecht Ludwig Berblinger, der aus Stoff, Schnüren und Fischbein die erste Konstruktion für einen Gleitflieger ausgetüftelt hatte. Blöderweise ging sein Jungfernflug 1811 über die Donau schief: Berblinger landete samt seiner Konstruktion unter dem Gelächter Tausender Schaulustiger in den Fluten.

Dem Fall ins Wasser folgte der Absturz im Leben: Als Betrüger gebrandmarkt, blieb seine Schneiderwerkstatt leer, und der Mann, der auch die erste Beinprothese mit Gelenk erfunden hatte, starb bettelarm, einsam und verkannt. Sein Fluggleiter wurde auf einem Scheiterhaufen verbrannt und sein Genie erst hundert Jahre später erkannt.

Seit letztem Jahr steht da, wo einst der Luftfahrtpionier aus 20 Meter Höhe losflog, ein Denkmal: der Berblinger-Turm, eine 20 Meter hohe Wendeltreppe, die mit einer 10-Grad-Neigung über den Fluss ragt. Die Konstrukteure haben sich in Farbe und Form an den Zeichnungen des Berblinger-Flugapparates orientiert.

Um den Ort zu sehen, an dem der zu Unrecht geschmähte Schneider ins Wasser plumpste, kommt man heute allerdings kaum nach Ulm. Sondern fast ausschließlich „wegen der Arbeit“ – wie einige befragte Passanten an der Donau sagen.

Technik ohne Technik

Zwar wurde Ulm weder dafür berühmt, die Boeing oder den Jumbojet gebaut zu haben, dafür aber Omnibusse, Lkws und Feuerwehrwagen. Mit den Ulmern Magirus und Kässbohrer sind ganze Generationen von Schulklassen und Senioren ins Grüne gefahren.

Heute ist Ulm dabei, die Ruinen des Industriezeitalters loszuwerden, und setzt voll auf Digitaltechnologie. Symbolträchtig gibt es vom Bahnhof aus nur Tram- und Busverbindungen, deren Endhaltestelle „Wissenschaftsstadt“ oder „Science Park II“ heißen.

Digitaltechnologiestandort hin oder her: auch in Ulms Trams und Bussen gibt es keine Handyladestationen und man muss bei akutem Akkuschwund im Friseurladen „Haargenau“ (nahe der Straße „Irrgängle“) fragen, ob man mal kurz die Steckdose benutzen kann.

Zum „Science Park II“ führt der Weg steil den Eselsberg hinauf. Man passiert das „Autohaus Ilkay (in Ulm leben 140 Nationen) und Schuttlandschaften aus eingerissenen Häusern. Ein Wind von 1945 weht vorbei – entsteht hier ein neues Wirtschaftswunder?

Auf ein paar Maultaschen

An erfolgreichen Produkten jedenfalls wird hier oben eifrig getüftelt und gebastelt. Hier thront die Universität – der größte Arbeitgeber Ulms. Und um die Uni herum lockt die Stadt auf großflächig versiegeltem Gelände Firmen an. Mit dem Versprechen, dass die Forschung fußläufig erreichbar sei. So erhofft man sich, an die alten Erfolge der Fluggleiter, Omnibusse und Lkws anknüpfen, die Wege zwischen Wissenschaft und Wirtschaft verkürzen zu können. Dicke wie Daimler sitzen hier genau so wie schlanke Start-ups.

„Die Glühbirne wird hier nicht nochmal erfunden“, sagt ein junger Angestellter von Elektrobit, einer Tochter von Continental, die Software für Autos entwicklen. Er macht grade Mittagspause. „Wir verbessern eigentlich nur, was sowieso schon da ist.“ Sympathisch bescheiden, der Mann. Allerdings kommt er, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, aus dem auf der anderen Seite der Donau gelegenen, bayerischen Neu-Ulm.

Sein in Ulm geborener Kollege, der seinen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will, antwortet: „Klar.“ Beide essen Maultaschen mit Kartoffelsalat, die sie beim Imbisswagen „Herr von Schwaben“ vor dem Gebäude von „Scanplus“ gekauft haben. „Manchmal hab ich auch Spätzle von gestern dabei“, antwortet der Neu-Ulmer in ironischer Tonlage auf die Frage, ob er immer Maultaschen esse. Ob der in Ulm geborene Kollege das auch so macht? „Klar.“

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Ganz früher kam man nach Ulm nicht wegen der Arbeit. Man kam hierher, um von hier wegzukommen: Im 17. und 18. Jahrhundert starteten von Ulm aus die „Ulmer Schachteln“ genannten Transportruderboote, mit denen deutsche Auswanderer auf der Suche nach Arbeit in den neuen südosteuropäischen Ländern des Habsburgerreichs die Donau abwärts bis ans Schwarze Meer schipperten. Man nannte sie „Donauschwaben“.

Kann Spuren von Schwaben enthalten

Bis heute bezeichnet man auf dem Balkan Deutsche gerne als „Švabo“ (sprich Schwabo). Aber nur dann, wenn man damit einen Typen meint, der die Eigenschaften geizig, ordentlich und fleißig hat.

Die armen Schwaben. Andererseits bezeichnen die wiederum den Balkan auch gerne als „da unten“. Würden es die da unten jedenfalls mit der Geschichte ernster nehmen, müssten die tpyischen Deutsche auf dem Balkan eher Ulmer genannt werden.

„In Ulm wird keine Straße mehr gekehrt. Das machen die Schwaben nur noch im Prenzlauer Berg“, behauptet eine Frau, die vor dem Imbisswagen „Herr von Schwaben“ auf ihre Maultauschen wartet. Sie will weder ihren Namen in der Zeitung lesen, noch verrät sie, für welche Firma sie arbeitet. Aber ihr Alter: „Mitte 50“. Und ihren Geburtsort: „Ulm“. „Wir sind eine internationale Stadt (126.000 Einwohner, Anm. d. Red.) und Kreuzberg (153.000 Einwohner, Anm. d. Red.) ein schwäbisches Nest.“

Ordnung muss sein

Ein bisschen Schwaben findet man dann aber doch in Ulm: Auf der Homepage der Stadt. Dort gibt es die Rubrik „Mängel melden“. Ein „Anliegenmanagement“ kümmert sich hier um die Probleme, die so angezeigt werden: „Scherben am Weg. Ort: Pfefflinger Str. 3, 89073 Ulm. Meldungnummer: 778435. Gemeldet am: 8. 3. 2021 via: android. Kategorie: Müll und Abfall > Scherben. Status: in Bearbeitung.“

Andere Themen sind „wilder Müll/Windeln“, „Wiederholte Vermüllung mit Fastfoodmüll“, „Gelbe Säcke mit teilweise falschen (sic!) Inhalt“. Klickt man auf die Meldung, geht ein Fenster mit einer detaillierteren Beschreibung des Problems auf, und mit einem weiteren Klick landet man auf einer interaktiven Stadtkarte, in der die gemeldeten „Probleme“ mit entsprechenden Aufstellern markiert sind.

Auch da kann man dann wieder draufklicken und sich ein Bild machen über den Vermüllungsgrad, den Straßenzustand, die Mülleimersituation und die anderen Anliegen. Die meisten haben den Status: „gelöst“.

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11 Kommentare

 / 
  • Also was ich dazu sagen kann als jemand, der von dort stammt und nun in der Nähe wohnt: Die Stadtbusse und Straßenbahnen haben USB-Ladebuchsen. Aber halt auch nur die neuen Fahrzeuge. Weil alt aufzurüsten würde Geld kosten. Ich meine, alt aufzurüsten ist besser, als neu zu kaufen, aus Umweltaspekten gesehen.

    &

    Straßen fegen machen die Leute immernoch gerne! Man kennt halt die Schwaben mit ihrer Kehrwoche. Also ich schwinge keinen Besen, wenn ich weiß, dass es hinterher wieder schmutzig aussehen wird. Nein nein, da spricht der Berliner in mir. Lieber Wildwuchs als Refugium für Insekten, als alles besenrein.

    &

    Keiner erwähnt das Hemperium? Linksalternativer Treff und Kultrestaurant seit den 90ern? Mit unserem Hanfmeister Obi? Der mir als Fahrer eines Omnibusses der Marke Kässbohrer-Setra (ein echter Ulmer Bus!) noch um 21:15 Uhr das Besteck mitgegeben hat, obwohl er schon coronabedingt Feierabend hatte?

  • ...Und Ulm liegt auf dem gleichen Längengrad wie Hamburch.



    Und noch so vieles mehr, dass Ulm sich nicht hinter anderen Städten verstecken muss.



    Die Geschwister Scholl



    HfG - Max Bill & Otl Aicher



    Und weil Ulmer wohl Tiefstapler sind: eine preisgekrönte Tiefgarage 😅

    Im übrigen haben die meisten Straßenbahnen und Busse USB Anschlüsse zum Laden der Smartphones und wlan.

  • Und Ulm ist auf dem gleichen Längengrad wie Hamburch

  • Ok. Ok. Also. Eigentlich …anyway

    Mit Genies - verklappt oder nicht - hab ich‘s ja nicht so.

    Aber mit der einst Familien- & “Friedensrichterin“ Imme Storsberg



    taz.de/Auszeichnun...srichter/!1856018/ -



    &



    betrifftjustiz.de/...e/BJ%20011_web.pdf “Einlassung in der Sache“



    Fein dargelegt what makes her tick!



    &



    Der & ihren Mitstreitern bei der Sitzblockade Mutlangen - bundesweit über 450 Richter & Richterinnen - Staatsanwälte & Staatsanwältinen öffentlich “Wir bekunden Respekt!“ beisprangen (Die Zeit & FAZ;) *



    &



    Die seit langem im Vorstand des Kinderschutzbundes - Flagge zeigt - u.a. mit der früheren KollegaPräsi SG Ulm



    Gabriele Wurst.



    www.swp.de/suedwes...hule-19233715.html

    Klaro - daß ein Straffälliger wie Häuptling Silberkrücke Graf Rotz zu Lambsdorff (der Onkel Herr PU;(( vollmundig ahnungslos geiferte: “Sofort aus dem Dienst entlassen!“ Das nahm niemand ernst.



    Aber. “Die bremischen& hamburgischen Kollegen hatten ja sich. Aber ich hier als Einzelkämpfern - das war ne ganze Weile - teils doch ziemlich hart.



    “Imme. Wherever you are - Chapeau & Masel tov weiterhin!“ 🗽

    unterm——-*



    “Sie sind ja neuerdings auch literarisch tätig!“ - “Das wäre mir neu!“



    “Doch schaun Sie - Hier!“ wurde dem bayrischen Kollegen beim Vorturnen beim Bundessozialgericht seine Unterzeichnung textgemarkert vorgehalten! (Beim nächsten mal hat‘s dann geklappt(phantastischer 🎺er too;)



    &



    (Ulm? - harrick maln Achter gewonnen;)



    Aber die Mathe-Arbeit dann verhauen!;)



    & Däh -



    Jahrzehnte später ne Kollega “Ihr ward ja gar nicht der richtige Ratzeburger Achter. Was waren wir sauer!“;))) - 🎏 -

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Ulmer Schule - Otl Aicher, Max Bill, etc. - vergessen! de.wikipedia.org/w...für_Gestaltung_Ulm

    Und im Bereich der populären Musik - Kraan: de.wikipedia.org/wiki/Kraan

  • dieses jahr beginnt die produktion einer der weltweit ersten elektro-lkw's von nikolamotors in ulm

  • 0G
    09139 (Profil gelöscht)

    Vergessen wir nicht das bekanntete und sympathischste Aushängeschild dieser Stadt: den magischen SSV ULM 1846.



    Etwas chaotisch und durchwachsen, nicht immer konform und somit also genau das was der Stadt gut tut. Allzu viel Perfektion und Spießigkeit langweilt doch nur.



    Aber man kann nun mal nicht aus seiner Haut, von dem her: bleibt dem SSV ´46 treu und pilgert wieder ins charmant abgerockte Donaustadion, wenn's wieder möglich ist! :-)



    Ob man gewinnt, ob man verliert - is nich das Entscheidende. Ulm gewinnt immer ;-)

  • Von welchem Land ist gleich der Sohn von Ex Finanzminister Theo Waigel "Honorar" - Konsul? Richtig:

    ... Liechtenstein

    Und der Masken Nüsslein aus Neu Ulm ist der Nachfolger im Wahlkreis von Theo Waigel.

    • @Super Constellation:

      Liechtenstein und Nüssi haben mit Ulm,(Schwaben Baden-Württemberg) nichts zu tun. Der zu einem Rücktritt als Abgeordneter zu feige Nüssi stammt aus dem nahen Neu-Ulm in Bayern.

  • Außerdem ist Ulm die weltweit erste Stadt, in der ein Film über professionelles Minigolf gedreht wurde. NOT joking! (Lokalmatador: www.youtube.com/watch?v=0X4xEoA6qBk)

    • 0G
      09139 (Profil gelöscht)
      @Christoph Buck:

      Wahnsinn! :)



      Dem Minigolf-Hooliganismus frönen , auch das ist Ulm!



      Ich persönlich widme meinen Hooliganismus zwar lieber dem antifaschistischen Boxen und dem SSV Ulm 1846 , aber kommt doch mal vorbei zum Derby gegen die Reutlinger!



      ( auch wenn das nur noch im Pokal realistisch wäre, denn mit einem baldigen 6.-Ligisten kann Ulm sich nie mehr messen ).



      Ich mag das gerne :)