Der Hausbesuch: Der Macher von Ulm

Peter Langer war zentrale Figur der Ulmer Friedensbewegung. Heute befürwortet er Waffen für die Ukraine und arbeitet für die Donau.

Peter Langer an seinem Tisch

Ulmer Urgestein: Peter Langer Foto: Thomas Vogel

Die blauen Bände immerhin stehen noch im Regal. Marx-Engels-Gesamtausgabe, etwas abgegriffen. Eine Erinnerung an Peter Langers politische Frühphase.

Draußen: Einst war hier ein heruntergekommenes Ulmer Viertel. Bis vor Jahren die Sanierer anrückten und „Auf dem Kreuz“ Mittelstandswohnen ermöglichten. Am Fachwerkgiebel von Langers Haus flattert eine Europafahne. Auf dem Bänkchen darunter pflegt der Wahlschwabe sein Feierabendviertele zu „schlotzen“, also genüsslich zu trinken.

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Drinnen: Eigentlich war sein Domizil mal als Künstlerhäuschen gedacht. Das Klavier, aus der früheren Stamm- und Szenekneipe gerettet, ordnet sich jetzt ganz den Belangen der Bücher unter, wie das meiste im Wohnzimmer. Platz finden noch die Souvenirs zahlreicher Reisen in die Donauländer. Im Gewirr der Accessoires lässt sich eine unechte Ikone erspähen und ein Plastik-Einstein, der auf der Galerie thront. Schreib- und Besprechungstisch sind ausladend. Leben und Arbeiten sind eins. Wie das so ist bei einem Überlebenskünstler, der sich nicht zur Ruhe setzen kann und will.

Der Mehrheitsbeschaffer: Viele Jahre war Langer Chef des Ulmer Kulturzentrums Roxy, das er 1989 mit viel diplomatischem Geschick und Jovialität einer konservativen Mehrheit im Ulmer Gemeinderat abgerungen hatte, als Stadtrat der Grünen. Während der Rest seiner Truppe noch in den Schützengräben der Fundamentalopposition verharrte, hatte er längst Kanäle gelegt. Obwohl er immer noch als „der rote Langer“ galt, hatte er es geschafft, die Meinungsführer unter den „Bürgerlichen“ dazu zu bringen, ihren inneren Schweinehund zu überwinden. „Alternative“ Kultur als „weicher Standortfaktor“, damit ließen sich Richtungswechsel rechtfertigen in einer Stadt, die sich gerade zur Wissenschaftsstadt aufschwang.

albert Einstin als Plastikfigur mit rotem Schlips

Albert EInstein mit rotem Schlips in der Wohnung von Langer Foto: Thomas Vogel

Das Roxy: Einst war das eine 3.000 Quadratmeter große Industrieruine ohne Heizung und mit löchrigem Dach. Mit öffentlichen Geldern und Sponsoren wurde diese peu à peu in ein großes soziokulturelles Zentrum verwandelt. Zum zehnjährigen Jubiläum setzte Langer dann ein Open-Air-Konzert aufs Programm – dumm nur, dass just an dem Tag der örtliche SSV Ulm 1846 in die erste Fußballbundesliga aufstieg. Das Konzert wurde zum Megaflop. Persönlich Verantwortung übernehmend schulterte Langer 300.000 D-Mark des Defizits. Doch er ist immer wieder auf die Füße gefallen, auch dieses Mal.

Der Fall: 1983 wurde Langer zum personifizierten „Fall“ mit überregionaler Resonanz. Entfernt aus dem Schuldienst, weil er als Junglehrer einen „gesellschaftskritischen und unausgewogenen Unterricht“ abgehalten habe. Dabei hatte er mit seiner Vergangenheit beim Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) längst gebrochen. Nicht Marx und Mao, sondern Brecht, Wallraff und Enzensberger brachte er in den Unterricht ein. Zu viel fürs Oberschulamt in Tübingen. „Ein existenzieller Angriff auf mich und meine Familie“, so nahm er den Rausschmiss wahr. Und durchschritt ein Tal der Tränen. Langer gewann den nachfolgenden Prozess, kehrte dem Schuldienst aber dennoch den Rücken. Ein Netzwerk federte den beruflichen Fall ab.

Foto: Thomas Vogel

Das Netzwerk: Langer wurde zunächst hauptamtlicher „Friedensfunktionär“ eines lokalen Bündnisses. In dessen Rahmen legte er sein „Meisterstück“ ab, die Mitorganisation der legendären Menschenkette am 23. Oktober 1983 zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, wo die Pershing-II-Raketen stationiert werden sollten: 108 Kilometer, gebildet aus 200.000, vielleicht sogar über 300.000 Menschen.

Der Wendige: Die Ängste in der Bevölkerung vor den Atomraketen, „die habe ich selbst so verspürt“, erzählt Langer. Heute spricht er sich klar für die Unterstützung der Ukraine aus, auch mit Waffen. „Ein moralisch begründeter Pazifismus gibt in diesem Fall keine Orientierung“, führt er aus. Vor 25 Jahren ist er der SPD beigetreten, wo sich nicht alle so leicht tun mit der Umorientierung. „Anders als damals geht es um die Bedrohung einer europäischen Nation durch ein durchgeknalltes System.“ Ein früheres Aha-Erlebnis war ein Besuch der kroatischen Stadt Vukovar, die im jugoslawischen Bürgerkrieg der frühen 1990er Jahre von den Serben zerstört worden war: „Lauter traumatisierte Menschen.“

Alte Schule: Dem Ulmer Gemeinderat gehörte Langer von 1984 bis 1997 an, erst für die Grünen, dann für die Bunte Liste, zuletzt für die SPD. In den späten 1970ern hatte er in Wiesloch, seiner damaligen Heimat, für den KBW kandidiert. Die Theorielektüren dieser Jahre wolle er nicht missen, sagt er, aber das vulgäre Kulturverständnis und die Mao-Verehrung, die hätten ihn immer mehr abgestoßen. Und dass die Genossen immer stärker in sein Privatleben eingreifen wollten. Er wurde ausgeschlossen, weil er nach dem parteilicherseits ungenehmigten Studium im nahen Heidelberg (Germanistik, Politikwissenschaft, Geschichte) nach Ulm zog: „Das wurde mir als Fahnenflucht ausgelegt.“

Der Politaktivist: Wodurch er selbst politisiert wurde? Jedenfalls nicht durchs sozialliberal geprägte Elternhaus, in dem Politik eigentlich kein Thema war. Vater Ingenieur, Mutter Hausfrau. „Er ein Clark-Gable-Typ, sie Lilian Harvey verehrend.“ Kein Nazi in der Familie weit und breit, an dem sich Aufsässigkeit hätte entzünden können. Der Initialfunke sei der regelmäßigen Spiegel-Lektüre entsprungen. Daraus wurde zunächst die Mitgründung einer Schülergruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, inklusive Schulverbot, aber praktischerweise erst nach dem Abitur. Es folgte der Eintritt in eine ideologiegetriebene Partei, die sich als eine der stärksten sah. „Muss es denn gleich Kommunismus sein?“, habe der Vater gefragt. Das Studium hat Langer trotz Kommunismus – er wurde Schülerstreik­organisator und Betriebsagitator – ordentlich beendet.

Der Beweger: Anfang der Nullerjahre fing das mit den Donau-Aktivitäten an. Langer hatte genug vom Roxy und schaffte es, „ein neues Thema in Bewegung zu bringen“. Und damit für sich einen neuen Job in Ulm zu finden – erst als Leiter des Internationalen Donaufests, ab 2002 des neu installierten Donaubüros. Da war er in der Stadt längst „Der Langer“, von den einen bewundert, von anderen kritisch gesehen wegen seiner Netzwerkaktivitäten, die sie als Strippenzieherei und Kungelei betrachteten. Mehr als einmal überzog Langer das Budget des Fests gnadenlos, mehr als einmal kamen ihm schützende Hände zu Hilfe, aus dem Rat- wie dem Pressehaus. Eine Reihe von Gefährten blieb am Wegesrand zurück, enttäuscht ob seiner Geschmeidigkeit.

Der Europäer: Langer dreht jetzt ein viel größeres Rad, bringt längs der Donau Dinge in Bewegung, organisiert Konferenzen und setzt gemeinsam mit der Politik seine Impulse. Literaten wie der Ungar György Konrád wurden und werden zu Freunden und Ratgebern. Der Donauraum mit seinen unterschiedlichen Akteuren, Institutionen und Bewegungen soll besser verknüpft und Kooperationen auf unterschiedlichstem Gebiet sollen eingefädelt werden. Eine Herkulesaufgabe, die zu bewältigen den Schirm der EU erfordert. Dass Novi Sad derzeit europäische Kulturhauptstadt ist, sieht Langer als Ergebnis einer von ihm mitorganisierten Kulturkonferenz. Eingefädelt auch durch die 2008 gegründete Euro­päische Donau-Akade­mie. Ach ja, Langer ist deren Geschäftsführer.

Der verhinderte Schauspieler: „Ich mache, was ich kann.“ Die Berufsberatung erkannte im jungen Langer einen Schauspieler. Heute bereitet er der Kultur Bühnen. „Konsequent“, findet er.

Was er nicht kann: „Mich zur Ruhe setzen“, sagt der 72-Jährige, der sich auf einer ewigen Mission sieht: „Die Welt demokratischer und friedlicher zu machen.“ Was er heute anders machen würde? „Nicht mehr Deep Purple zu einem Open Air einladen.“

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