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Mutmaßlicher Antiziganismus bei PolizeiElfjähriger in Handschellen

In Singen haben Polizisten einen jungen Sinto festgenommen. Sie sollen das Kind mit Härte behandelt und rassistisch beleidigt haben.

In Singen sollen Polizisten einen Elfjährigen in Handschellen abgeführt haben (Symbolfoto) Foto: jhandersen/imago

Berlin taz | Nach einer anlasslosen Polizeikontrolle haben Polizeibeamte einen Elfjährigen mutmaßlich rassistisch beschimpft und in Handschellen auf die Polizeiwache gebracht. Die Familie hat Strafanzeige erstattet.

Laut dem Landesverband der Sinti und Roma Baden-Württemberg soll das Kind am Samstag anlasslos durchsucht worden sein, als es gerade mit anderen Kindern vor dem Wohnhaus der Großmutter spielte. Nachdem die Po­li­zis­t*in­nen ein kleines Taschenmesser bei dem jungen Sinto gefunden hatten, seien ihm Handschellen hinter dem Rücken angelegt worden. Ein Beamter hätte den Jungen auf gebrochenem Romanes sinngemäß mit Worten wie „Einer von den Z**, die kennen wir ja“ und „Der Tod kommt dich holen“ bedroht.

Die Mutter anzurufen, die sich unweit des Geschehens befand, sei dem Kind verwehrt worden. Obwohl der Junge darauf aufmerksam machte, dass er drei angebrochene Rippen habe und unter Asthma leide, sei er unter Anwendung körperlicher Gewalt auf den Rücksitz des Polizeiautos bugsiert worden. Auf der Wache sei das Kind eine halbe Stunde lang in einem Verhörraum festgehalten worden, bevor es vollkommen verängstigt allein nach Hause gelaufen sei.

Nach deutschem Recht sind Kinder unter 14 Jahren nicht schuldfähig. Werden sie dennoch zu polizeilichen Vernehmungen geladen, gelten besondere Schutzmaßnahmen, wie etwa ein Anwesenheits- und Mitwirkungsrecht der Erziehungsberechtigten.

Es ist nicht der erste Übergriff

„Ein Kind festzunehmen und dann auch noch den Kontakt zu den Eltern zu verwehren, ist ganz klar rechtswidrig“, erklärte Chana Dischereit vom Landesverband der Sinti und Roma gegenüber der taz. Und es sei nicht der erste Fall von antiziganistischer Polizeigewalt, mahnt sie. Der Fall füge sich ein in eine Reihe von Vorfällen von Polizeigewalt gegen Sinti und Roma in Baden-Württemberg, wie zum Beispiel 2016 in Heidelberg und 2020 in Freiburg und Singen.

„Den Eltern wurde bis heute nicht offiziell mitgeteilt, warum das Kind auf die Wache gebracht wurde“, berichtet Anwalt Mehmet Daimagüler, der am Dienstagabend im Auftrag der Familie „wegen aller in Betracht kommenden Straftatbestände“ Anzeige erstattete, darunter Freiheitsberaubung und Körperverletzung. Er hoffe auf unvoreingenommene und gründliche Ermittlungen, schrieb der Anwalt, der auch schon Familien von NSU-Opfern vertreten hatte, am Mittwoch auf Facebook.

Der Landesverband der Sinti und Roma fordert nun eine vollständige Aufklärung des Übergriffs. „Wir wenden uns darum an Herrn Innenminister Thomas Strobl im Vertrauen darauf, dass die Rechtstaatlichkeit wiederhergestellt wird“, erklärt dessen Vorstandsvorsitzender Daniel Strauß.

Aus dem baden-württembergischen Innenministerium heißt es auf taz-Anfrage, der geschilderte Fall sei im Moment nicht nachvollziehbar, man nehme ihn aber sehr ernst und arbeite intensiv an der Aufklärung.

Forderung nach Rassismus-Studie

Das Polizeipräsidium Konstanz, in dessen Verantwortungsbereich die Singener Polizei liegt, erklärte gegenüber der taz, es sei mittlerweile zwar sicher, dass es am Samstag in Singen einen Vorfall mit einem Elfjährigen gegeben habe. Zu den Inhalten der Vorwürfe könne man sich aber noch nicht äußern, weil die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sei und dem Polizeipräsidium noch nicht vorliege.

Mit der Bitte um Unterstützung bei der Aufklärung wandte sich der Landesverband auch an die Grünen-Politikerin und Staatsministerin Theresa Schopper, die in der Landesregierung für Belange der Sinti und Roma zuständig ist.

Laut dem Grünen-Europaabgeordneten Romeo Franz bekräftigt der Vorfall einmal mehr die Notwendigkeit einer Studie zu Rassismus bei der Polizei. „Die Leipziger Autoritarismusstudie hat 2020 wiederholt aufgezeigt, dass immer noch mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung in diskriminierenden und rassistischen Stereotypen gegenüber Sinti und Roma verhaftet ist“, so Franz. „Genau deshalb benötigen wir eine bundesweite, unabhängige und umfassende Studie zum institutionalisierten Rassismus in der Polizei.

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9 Kommentare

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  • ich frage mich wie die wohl reagieren würden, wenn jemand so mit deren kindern umgesprungen wäre

  • Ist es denn nicht Pflicht der Polizei, die Eltern zu informieren, bevor sie ein Kind mit auf die Wache nehmen? Ich meine, was für Ängste würde man als Elternteil ausstehen, wenn man das Kind draußen sucht, nicht finden kann und es eventuell kein Handy mithatte, weil es nur kurz vor dem Haus spielen wollte? Sollte so etwas nicht auch der Beamte bedenken, der das Kind mit auf die Wache nahm - egal, in welcher Form?



    Und je nachdem, wo die Wache lag, könnte es auch fahrlässig sein, einen Elfjährigen einfach allein nach Hause gehen zu lassen, ohne sicher zu sein, dass er den Weg kennt und bewältigen kann (Wetterlage etc.).

  • "...unsere tägliche Portion Rassismus gib uns heute..." :: so der erschreckendde Tenor der Leserkommentare. Laut "Netiquette" der taz wird Rassismus und Diskriminierung nicht akzeptiert. Das scheint hier für etliche LeserInnenbriefe nicht zu gelten!

    • @Beate Homann:

      Wollen Sie trollen, oder wurden die angeblich rechten Kommentare gelöscht!?...

  • Oh Mann, was ist in unserer Polizei los? Da kann einem angst und bange werden!!

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Behaupten kann mensch viel ... in den sozialliberalen Kreisen der 1970er haben wir eins (als Kinder) gelernt, es gibt in jeder Gruppe "solche und solche" ...

    Heute scheint es nur noch "Angriff ist die beste Verteidigung" und Schwarz-und-Weiß-zu-geben.... Armer 11-jähriger und böse Rassisten. Diversität ist aber bunt!

    Es gilt für Sinti und Roma das gleiche wie für XY und sogar auch für Polizeibeamte: Selbst wenn ich 9 Arschlöcher kennengelernt habe, kann ich dem 10. der den vorherigen ähnlich ist, nicht deswegen aufs Maul hauen, muss ja ein Arschloch sein!

    Gebrochene Rippen und Asthma, ich hatte beides noch nicht ... aber wenn, weiß ich nicht, ob ich wirklich mit "Taschenmesser" draußen rumspielen würde ... aber es gilt natürlich für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.

    Und ja unter 14-jährige sind strafunmündig und glücklicherweise wissen viele Kinder das nicht ;-) und wir alle wissen auch, wie manche 12-jährige und mancher 11-jährige aussieht und auch handelt .... Kein leichter Job für Irgendwen!

  • Wie sind die geschilderten Tatsachen?



    Ein Elfjähriger wurde kontrolliert und festgenommen.



    Hinterher machen die Eltern einen riesigen Wirbel.



    Ohne Klärung des Ablaufs ist die Meinungsbildung rein von Vorurteilen geprägt.



    Es könnte auch völlig ok gewesen sein.



    Polizei macht sich doch nicht anlasslos so einen Aufwand:



    Vermutlich hat sich der Junge unangemessen verhalten, vielleicht ausfällig.



    Vielleicht hat er Widerstand geleistet, so dass Handschellen nötig waren und er „in den Wagen bugsiert“ werden musste.



    Vermutlich sieht man ihm sein Alter nicht an.



    Vermutlich hatte er keinen Ausweis dabei.



    All dies wäre für ein Kind nicht untypisch.



    Aber es kann eine Reaktion bei der Polizei verursachen, die etwas weitreichender ist. Letztlich ist ihm aber außer dem Schrecken nichts passiert.



    Bei meinem Kind würde ich sagen: Hoffentlich hast Du jetzt gelernt, dass es besser ist, sich vernünftig zu verhalten!



    Aber hier wird ein Riesenaufstand gemacht, nur weil es ein Sinto ist? Ist das keine Vorverurteilung der Beteiligten Polizisten? Von einer Rückfrage zur Sache der Eltern bei den Polizisten habe ich nichts gelesen...

  • 0G
    09139 (Profil gelöscht)

    Mal wieder Rassismus bei der Polizei.



    Bestimmt wieder so ein Einzelfall, Einzeltäter.



    Zum Kotzen, die AfD hat mir ihrer Hetze mitgewirkt. Drum Kampf dem Faschismus und Rassismus = Kampf der AfD!

  • Antiziganizmus.. taz lesen erweitert meinen



    Wortschatz, die unmenschliche Polizei besten bekannt aus der taz ist dagegen nicht Neues ... ja Singen und ich dachte immer es gibt nur das vierte Stadtrevier in Frankfurt. Egal wo ihr euch versteckt die taz findet Euch