Linkspartei vor ihrem Parteitag: Nach dem Protest
Die Linkspartei ist auf das Wahljahr 2021 nicht gut vorbereitet. Ihr fehlt ein klares Programm, eine populäre Führung und die Aussicht auf Macht.
W enn man oberflächlich hinschaut, geht es der Linkspartei einigermaßen. Nach langen, vergeblichen Bemühungen regiert sie in einem westlichen Bundesland mit, wenn auch nur in Bremen. In Thüringen führt ein linker Ministerpräsident die Geschäfte. Im rot-rot-grünen Berlin hat die Linkspartei, etwa bei der Mietenpolitik, der ausgelaugten SPD den Rang abgelaufen. In der Partei sind relativ viele Jüngere. Und im Bundestag ist die Linksfraktion mitunter die einzige rationale Opposition in Sachen Corona: Die FDP neigt zum Populismus, die Grünen sind vorauseilend nett zur Union.
Doch diese Erfolge überblenden ungelöste Probleme. Parteichef Bernd Riexinger glaubt, man habe „im Westen eine stabile Wählerbasis“, aber so ist es nicht. Die Kommunalwahl in NRW ging verloren, bei den kommenden Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz spielt die Linkspartei kaum eine Rolle. In manchen Großstädten kommt sie gut an – in den meisten westdeutschen Flächenländern ist sie unbedeutend.
Für das Wahljahr ist die Linkspartei nicht gut gerüstet. Ihr fehlt alles, was nötig ist, um erfolgreich zu sein: ein klares Programm, populäre Führungsfiguren, die diese Themen glaubwürdig verkörpern und eine Machtperspektive. Noch schlimmer ist die zähe Unfähigkeit, Fehler zu korrigieren. Ein Beispiel für diese spektakuläre Lernblockade ist die Debatte über Außenpolitik und Bundeswehr. Debatten sollen einen neuen Konsens stiften – die Friedensdebatte der Linkspartei, seit 20 Jahren mit den gleichen Argumentationsstanzen betrieben, hat den umgekehrten Zweck: Es soll sich nichts ändern. Nach der Debatte ist vor der Debatte.
Die Linkspartei könnte sich zwei Forderungen zu eigen mache, die politisch redlich und sogar populär wären: Sie verteidigt das Völkerrecht, egal ob im Kosovo oder auf der Krim. Und sie ist gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr, aber nicht gegen friedenserhaltende Auslandseinsätze. Denn wer dazu immer Nein sagt, ist kein glaubwürdiger Befürworter von Völkerrecht und UN.
Parteilinke wie Sevim Dağdelen denunzieren hingegen alle Versuche, eine brauchbare Außenpolitik zu denken, als Verrat – und haben da eine starke Minderheit der Partei auf ihrer Seite, wenn nicht mehr. Matthias Höhn, der auf dem Parteitag als Vizechef kandidiert, hat eine realistische Außenpolitik skizziert. Die Abstimmung wird zeigen, wie groß die Zustimmung dafür tatsächlich ist. Es gibt Grund zur Skepsis. Denn viele Mitglieder verharren in einem schablonenhaften Antiimperialismus. Der roch schon 1990 streng und ist in der multipolaren Weltordnung 2021 unbrauchbar geworden. Die neoimperialen Interventionen in Afghanistan, in Irak und Libyen sind ja längst katastrophal gescheitert. Nur in den Linkspartei-Debatten werden die immer gleichen Gespenster über die Bühne gejagt.
Ein Zweck dieser Aufführung ist es, jede Aussicht auf Grün-Rot-Rot zu zerstören. Der linke Flügel glaubt, dass eifriges Beharren auf roten Haltelinien vor den Sirenengesängen der Macht schützt, die nur in den Abgrund des Opportunismus führen können. Das interessiert jenseits des inneren Parteizirkels übrigens kaum jemand. 80 Prozent der Linkspartei-WählerInnen wollen, dass die Partei regiert. Linke, die Regieren als Gefahr inszenieren, senden also komplett an ihrem Publikum vorbei. Aber es gehört zur Logik des abstrakten Radikalismus, solche Details zu ignorieren.
Die Linkspartei müsste, schon aus Überlebensinteresse, klar machen, dass sie regieren will, wenn sie damit drei, vier Ziele erreicht. Diese Ziele zu erkennen, ist keine Raketenwissenschaft. In den Augen ihrer Klientel steht die Partei für höhere Mindestlöhne, eine Alternative zu der Demütigungsmaschine Hartz IV, eine Reichensteuer und eine Abrüstung, die sich etwa in reduzierten Waffenexporten realisieren ließe. Klimapolitik gehört auch auf die Agenda. Damit aber kann die Partei nur bei Jüngeren punkten, die die Grünen zu angepasst finden. Diese Ziele sind keine Träumerei, sie wären mit der nach links gerückten SPD und den Grünen umsetzbar.
Katja Kipping, Jan Korte und andere begreifen Regieren zwar als Chance. Die Öffentlichkeit aber vernimmt eine Kakophonie: Manche wollen, andere nicht, also was genau will die Partei? Dass die neue Doppelspitze schon vor ihrem Start in zwei Richtungen blinkt (Susanne Hennig-Wellsow will regieren, Janine Wissler lieber nicht), macht es nicht besser. Die Linkspartei kann die Regierungsfrage nur darstellen, aber nicht entscheiden.
Rituale der Selbstvergewisserung
Warum eigentlich? Der vernünftigere Teil der Partei scheut den Machtkampf und das Risiko einer Spaltung – und verschiebt die Entscheidung immer weiter. Vielleicht gibt es noch einen Grund: Die Linkspartei braucht diese Debatte als Fetisch, weil sie sonst nicht mehr zu wissen glaubt, wer sie ist. Das Ritual muss unermüdlich wiederholt werden, um sich der als bedroht wahrgenommenen eigenen Identität zu versichern. Das Problem ist nicht, dass SPD und Grüne so fern, sondern dass sie so verdammt nah sind. Lässt man die roten Haltelinien nur kurz aus der Hand – man müsste erkennen, dass man eine ganz normale linkssozialdemokratische Partei ist.
Für die Bundestagswahl ist die Aussicht düster. Es fehlen klare Botschaften und überzeugendes Personal. Die begabteste Rednerin, Sahra Wagenknecht, die soziale Anklagen effektvoll formulieren kann, entwickelt sich zur loose cannon, die das schwankende Schiff noch mehr destabilisiert. Das neue Duo Hennig-Wellsow/Wissler hat zwar den Charme des Unverbrauchten. Aber ein paar Monate vor der Bundestagswahl zwei national nahezu unbekannte Landespolitikerinnen nach vorn zu rücken, ist sehr optimistisch.
Die Linkspartei hat lange Protest ohne Folgen verkörpert. Diese Erzählung hat an Leuchtkraft verloren. Was kommt danach? Kommt noch etwas?
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