Gewalt in Ecuadors Gefängnissen: Wie kamen Waffen in den Knast?
Mindestens 79 Gefangene sterben bei Gewaltausbrüchen in ecuadorianischen Gefängnissen. Die Polizei spielt eine fragwürdige Rolle im Strafvollzug.
Dies teilte die Gefängnisverwaltung des südamerikanischen Landes am Mittwochmorgen mit. Nach Angaben der Behörden sind die zeitgleichen blutigen Revolten auf Rivalitäten zwischen innerhalb der Gefängnisse operierenden Drogenbanden zurückzuführen.
In einer vorherigen Zwischenbilanz der Gefängnisbehörde war noch von 62 Toten die Rede gewesen. Es ist davon auszugehen, dass weitere Tote gefunden werden. Nach Angaben von Behördenchef Edmundo Moncayo gab es unter den Wächtern keine Toten. Doch seien mehrere Polizisten verletzt worden. Inzwischen wurden vor den Haftanstalten Soldaten postiert und Straßensperren eingerichtet.
In ecuadorianischen Gefängnissen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Nach offiziellen Angaben sind allein im letzten Jahr 51 Insassen getötet worden.
Ohne Wissen der Polizei ist der Schmuggel kaum denkbar
Sicherheitskräfte machen rivalisierende Banden für die Gewalt in den Haftanstalten verantwortlich. Die Hintergründe bleiben jedoch meist im Dunklen. Obwohl die Regierung Moreno angesichts einer ersten Gewaltwelle im Mai 2019 die Militarisierung der Gefängnisse angeordnet hat, scheint die Kontrolle über die Haftanstalten weitgehend entglitten zu sein. Der jetzige Gewaltausbruch ist damit nur die Zuspitzung einer Entwicklung, die vor etwa zwei Jahren begonnen hat.
In Ecuador liegt die Gefängnisverwaltung in der Hand einer zivilen Behörde, die aus dem aufgelösten Justizministerium hervorgegangen ist. Zunächst hatte kurz ein Jurist die Behördenleitung inne, bis im Juni 2019 der General der Polizei Edmundo Moncayo die Gefängnisverwaltung übernahm. 1.600 im Schnellverfahren ausgebildeten Vollzugsangestellten stehen 40.000 Gefangene gegenüber.
Der Polizei obliegt allerdings die Eingangskontrolle zu den Haftanstalten. Wer etwa als Anwalt das Gefängnis in Latacunga besucht, wird per Körperscanner durchleuchtet und muss Akten und Schuhe röntgen lassen. Es ist schwer vorstellbar, wie die gefundenen Waffen, Telefone und Drogen ohne Wissen der Polizei in die Gefängnisse gelangten. Bei dem Massaker am Dienstag wurden Macheten und Motorsägen eingesetzt.
Nach den Gewaltwellen der letzten Jahre wurde die Polizei immer wieder beschuldigt, die Gewaltausbrüche zu steuern, um durch gezielte Hinrichtungen einzelner Anführer die Banden zu kontrollieren.
Übergang zwischen Polizei und Kriminellen ist fließend
Gefängniswärter gaben an, dass bei der Enthauptung des Anführers der Choneros im Juni 2019 die Polizei die Türen zum benachbarten Flügel offen gelassen und damit der rivalisierenden Bande den Zutritt ermöglicht hat. Die Täter hatten Zeit, die Enthauptung zu filmen und danach mit dem Kopf des Opfers im Hof Fußball zu spielen.
Zugleich leidet das ecuadorianische Gefängniswesen an Überbelegung und politischer Vernachlässigung. Wie die meisten Länder der Region hat sich auch Ecuador dem Krieg gegen Drogen unterworfen und das Strafverfahren nach US-amerikanischem Vorbild reformiert.
In der Folge explodierten die Gefangenenzahlen. Im Jahr 1989 gab es in Ecuador etwa 7.000 Gefangene, 2009 waren es 11.500 und heute, bei 17,5 Millionen Einwohnern, 40.000 Inhaftierte. Ein Drittel davon sitzt in Untersuchungshaft.
Verurteilungen kommen überwiegend in Schnellverfahren und wegen kleinerer Eigentums- und Drogendelikte zustande. Schwere Taten werden kaum verfolgt. Die meisten Inhaftierten in Ecuador hätten in Deutschland keine Haftstrafe zu befürchten.
Der Alltag in den Gefängnissen ist geprägt von Gewalt und Korruption. Der Übergang zwischen Polizei und kriminellen Banden ist fließend.
Wie viele der Opfer tatsächlich von rivalisierenden Banden oder bei der Niederschlagung der Meuterei von der Polizei getötet wurden, wird mangels unabhängiger Ermittlungen nicht geklärt werden. Sicher scheint, dass der Gewaltausbruch nicht trotz, sondern wegen der Militarisierung der Gefängnisse erfolgte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?