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Bundestagswahl nach neuem WahlrechtOpposition klagt gegen Wahlrecht

Grüne, FDP und Linke halten die Reform, die die Große Koalition durchgesetzt hat, für verfassungswidrig. Jetzt ziehen sie gemeinsam nach Karlsruhe.

Grüne, FDP und Linke wollen die Wahl des Bundestag im September nach dem neuem Wahlrecht verhindern Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Grüne, FDP und Linke wollen gemeinsam verhindern, dass der Bundestag im September nach dem neuen Wahlrecht gewählt wird. Am Montag reichten die drei Oppositionsfraktionen beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Reform sowie einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung ein.

Die Parlamentarischen GeschäftsführerInnen von Grünen und FDP, Britta Haßelmann und Marco Buschmann sowie der Linken-Rechtsexperte Friedrich Straetmanns warfen Union und SPD vor, die Wahlrechtsreform begünstige CSU und CDU gegenüber den anderen Parteien. Buschmann kritisierte das Gesetz als „politische Selbstbedienung“, Haßelmann beklagte, die Union habe sich „einen allein politisch motivierten Vorteil gesichert“.

Straetmanns sprach von einer politischen Mogelpackung: Der Öffentlichkeit werde vorgegaukelt, dass im Ergebnis der Bundestag verkleinert werde. Das Gesetz sei „grottenschlecht“ und zudem verfassungswidrig, so Haßelmann.

Die Große Koalition hatte im Oktober gegen den Widerstand der Opposition die Wahlrechtsreform durchgesetzt. Deren Ziel sollte es eigentlich sein, den auf inzwischen 709 Abgeordnete angewachsenen Bundestag wieder zu verkleinern. Dass dies mit der neuen Gesetzeslage gelingt, wird von vielen Fachleuten aber bezweifelt. Nach der Reform bleibt es bei der Bundestagswahl im September bei 299 Wahlkreisen, obwohl die Reduzierung der Wahlkreise als der wirksamste Hebel gilt, um die Anzahl der Abgeordneten zu verringern.

Drei Überhangmandate ohne Ausgleich

Überhangmandate einer Partei werden nach der neuen Regelung teilweise mit ihren Listenmandaten verrechnet. Beim Überschreiten der Regelgröße des Bundestags, die 598 Abgeordnete beträgt, sollen aber bis zu drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien kompensiert werden.

An diesen drei nicht ausgeglichenen Überhangmandaten setzt die Klage unter anderem an. Denn von dieser Regelung profitiere, so der Linkenpolitiker Straetmanns, „vor allem die Union“. CDU und CSU erzielen die meisten Direktmandate: Die 46 CSU-Abgeordneten im Bundestag sind alle über ein Direktmandat eingezogen, die CDU holte 185 ihrer 200 Mandate direkt.

„Die Stimmen für die Union sind also mehr wert“, so Straetmanns weiter. Das aber verstoße gegen die Wahlrechts- und Chancengleichheit der Parteien. Zudem, so Buschmann von der FDP, enthalte das Gesetz „hochgradig unklare Regeln“. Das verletzte den Grundsatz der Normenklarheit.

Vertreten werden die drei Fraktionen von der Düsseldorfer Rechtsprofessorin Sophie Schönberger. Das Gesetz sei „in sich widersprüchlich und inkonsistent“, sagte die Juristin bei der Vorstellung der Klage. Der Bundeswahlleiter, der letztlich über die Verteilung der Mandate bestimmt, habe daher „sehr, sehr großen Spielraum“ bei seiner Entscheidung. Man habe, so Schönberger weiter, zwei mögliche Interpretationen des Gesetzes durchgerechnet. Nach der einen habe die Union am Ende über 32 Prozent der Bundestagsmandate verfügt, bei der anderen über 28 Prozent – bei ein und demselben Wahlausgang.

Unklare Regeln gefährden „Befriedungsfunktion“

Buschmann betonte mit Blick auf die USA, wie wichtig es sei, dass für Wahlen klare Spielregeln gelten. Dies helfe dabei, dass der notwendige Streit im Wahlkampf nach der Wahl beendet sei. „Hochgradig unklare Regeln“, wie sie das neue Wahlrecht vorsehe, gefährdeten dagegen die „Befriedungsfunktion des Wahlrechts“ und schadeten damit der liberalen Demokratie. „In Zeiten, wo Benzin in der Luft liegt, spielt man nicht mit Streichhölzern“, so Buschmanns scharfe Kritik an der Großen Koalition.

Hat die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg, würde für diese Bundestagswahl das alte Wahlrecht weiter gelten. Befürchtet wird allerdings, dass der Bundestag damit weiter wachsen könnte – von derzeit bereits 709 Abgeordneten auf möglicherweise mehr als 800.

Nach Vorstellungen der Großen Koalition soll es eine größere Reform – dann mit Reduzierung der Wahlkreise – erst für die Wahl 2025 geben. Dazu soll in der kommenden Legislaturperiode erneut eine Reformkommission eingesetzt werden. WissenschaftlerInnen, Abgeordnete und weitere Mitglieder der Kommission sollen spätestens bis 30. Juni 2023 einen Vorschlag vorlegen.

Grüne, FDP und Linke hatten einen eigenen Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform vorgelegt. Haßelmann, Buschmann und Straetmanns hatten zuvor jahrelang in einer Kommission unter dem Vorsitz von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) an einem Kompromissvorschlag gearbeitet. Doch CDU und insbesondere CSU weigerten sich standhaft, einer Reduzierung der Wahlkreise zuzustimmen.

Bislang waren Änderungen am Wahlrecht mit möglichst breiter Mehrheit verabschiedet worden, die Große Koalition hat mit dieser Tradition gebrochen. Mit der Entscheidung waren aber auch in der CDU nicht alle einverstanden. Bundestagspräsident Schäuble und sechs weitere CDU-Abgeordnete enthielten sich bei der Abstimmung.

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2 Kommentare

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  • > Die Stimmen für die Union sind also mehr wert



    Nicht die Stimmen der Union sind mehr wert sondern die persönlichen Stimmen für den bekannten Direktkanditen werden höher gewichtet als die für eine (für den Wähler) undurchsichtige und anonyme Listenkungelei. Man kann das aus guten Gründen für politisch gewollt und wünschenswert halten. In machen Ländern gibt es aus genau dem Grund *nur* Direktmandate. Davon, politische Themen nicht nach Sachfragen, sondern danach zu diskutieren, von welcher Lösung genau die eigenen Spezl am meisten profitieren, haben wir gerade genug.

    • @Axel Berger:

      Da es keine Stichwahlen für Direktkandidaten gibt, haben viele aber nur noch 40 oder 35 % der Erststimmen; da die CDU in vielen Gegenden die größte Partei ist, hat sie davon profitiert ohne die Mehrzahl der Wähler zu repräsentieren.



      Ob das Vertreten vor allem des eigenen Wahlkreises die Kungelei verringert, wage ich zu bezweifeln.