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Soziologin über Antifeminismus„Antimodernes Denken“

Co­ro­na­skep­ti­ke­r*in­nen mobilisieren mit antifeministischer Rhetorik. Das Weltbild ist breitgesellschaftlich anschlussfähig, sagt Rebekka Blum.

Proteste gegen die Coronamaßnahmen im November 2020 in Berlin Foto: M. Golejewski/Adora Press
Interview von Alessandra Röder

taz: Frau Blum, der Verein Deutsche Sprache schreibt in den sozialen Medien, die Coronakrise mache deutlich, dass Naturwissenschaften wichtiger seien als Genderstudies. Von der Werteunion und AfD kommen ähnliche Aussagen. Warum bringen die Ak­teu­r*in­nen diese Themen in Zusammenhang?

Rebekka Blum: Zum einen sind das Akteur*innen, die ohnehin immer wieder antifeministische Themen bespielen. Der Verein Deutsche Sprache ist ein großer Akteur bei der Mobilisierung gegen geschlechtergerechte Sprache – und die Krise hat nun angeboten, das neu anzubringen.

Zum anderen bekommen Naturwissenschaften gerade zu Recht einen besonders hohen Stellenwert. Es ist ein rhetorischer Trick von An­ti­fe­mi­nis­t*in­nen und Rechten, Themen, die nicht miteinander zusammenhängen, rhetorisch zu verknüpfen.

Diese Strategie wenden auch Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r*innen an. In Ihrer Studie haben Sie Antifeminismus und Coronaverschwörungen untersucht. Wie hängt beides zusammen?

Antifeminismus hat sich schon immer auch in Verschwörungserzählungen geäußert. Ich sehe da strukturelle Ähnlichkeiten, weil beide Bereiche eine Komplexitätsreduktion und einfache Feindbilder bieten. In der Coronapandemie taucht häufig eine Lebensschutzrhetorik auf. Etwa wenn der Gründer der Marke Rapunzel auf seiner Website fragt, ob wir alte und kranke Menschen schützen sollten, und das den Abtreibungen gegenübergestellt.

Hinzu kommt die Leugnung: Pandemie­­­­­­­leug­­ne­r*in­nen negieren, dass das Virus existiert. An­ti­fe­mi­nis­t*in­nen leugnen, dass es eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gibt. Dabei wird eine Machtelite als Feindbild imaginiert. Bei der Coronapandemie ist es jemand wie Bill Gates. Beim Anti­feminismus werden feministische Ak­teu­r*in­nen als mächtig dargestellt und es wird von einer Staatsdoktrin fantasiert.

Wenn von Machtelite gesprochen wird, steckt dahinter eigentlich immer Antisemitismus. Wie hängt Antifeminismus mit Antisemitismus und Rassismus zusammen?

Im Interview: Rebekka Blum

ist Soziologin und arbeitet beim „Informationszentrum Dritte Welt“, unter anderem mit dem Schwerpunkt Antifeminismus. Sie ist Mitglied im Netzwerk feministische Perspektiven und Intervention gegen die (extreme) Rechte. Ende 2020 veröffentlichte sie gemeinsam mit Judith Rahner die Studie „Antifeminismus in Deutschland in Zeiten der Coronapandemie“ bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Das tritt häufig in einer Verschränkung miteinander auf. Etwa bei der Verschwörungserzählung vom „großen Austausch“, bei dem es heißt, dass ein Bevölkerungsaustausch durch Einwanderung geplant sei.

Zudem wird behauptet, dass der Feminismus dazu führe, dass Frauen weniger Kinder kriegen, und dahinter wird dann ein großer Plan vermutet. Beim Terroranschlag in Halle hat der Attentäter dieses Narrativ aufgegriffen und am Ende gesagt, schuld daran seien die Juden.

Wie zeigt sich die antifeministische Mobilisierung bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen?

Das zeigt sich in der Fokussierung auf das Kindeswohl. Etwa wenn „Querdenker“ Bodo Schiffmann Erzählungen verbreitet, dass Kinder durch das Maskentragen gefährdet werden oder sterben könnten.

Was ist an der Fokussierung auf das Kindeswohl antifeministisch?

Ich würde bei Antifeminismus von einem erweiterten Begriff ausgehen, der auch LGBTQIA*-Feindlichkeit mit umfasst. Antifeminismus richtet sich gegen emanzipatorische Geschlechterverhältnisse und Erweiterungen von Heterosexualität.

Bei den „Demos für alle“ wird gegen eine angebliche Frühsexualisierung und gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mobilisiert. Indem man das Kind ins Zentrum stellt, findet eine moralische Aufwertung der eigenen Position statt, obwohl das eigentlich eine homo­feindliche Position ist.

Gegen die Coronamaßnahmen demonstrieren Impf­geg­ne­r*in­nen neben Rechtsextremen. Welche Rolle spielt Antifeminismus für das gemeinsame Auftreten?

Antifeminismus ist eine Türöffner­ideologie. Sowohl An­ti­fe­mi­nis­t*in­nen als auch Pan­de­mi­e­leug­ne­r*in­nen inszenieren sich als freundlich mit Herzluftballons und Kinderchören. Zudem haben extreme Rechte, Eso­te­ri­ke­r*in­nen und christliche Rechte auf den Querdenken-Demos ein geteiltes Feindbild: die Coronamaßnahmen.

Antifeminismus ist bei vielen im Weltbild enthalten. Auch Eso­te­ri­ke­r*in­nen haben häufig ein binäres Geschlechterbild und eine Fruchtbarkeitsidealisierung von Frauen. Diese Festschreibung auf Mutterschaft ist eine Gemeinsamkeit mit der extremen Rechten. Das ist jetzt natürlich zugespitzt, aber trotzdem sehe ich da Überschneidungen.

Was meinen Sie mit Türöffnerideologie?

Zentral ist für mich beim Antifeminismus ein binäres, antimodernes Denken sowie eine Komplexitätsreduktion. Wenn man sich auf diese Art des Denkens einlässt, dockt da ganz viel an. Der Antifeminismus kann daher ein Türöffner für ein ganzes Weltbild sein, wo rassistisches und antisemitisches Denken sowie Verschwörungsdenken mit einhergehen.

Inwieweit begünstigen Krisen den Antifeminismus?

In Krisen wächst der Wunsch nach einfachen Erklärungen und Sicherheit. Die Coronakrise ist eine komplexe Situation, in der Verschwörungstheorien Entlastung bieten können. Wir sind zudem weniger offen für die Infragestellung von bestehenden Denkweisen. Wie der, dass unsere Gesellschaft auf einer zweigeschlechtlichen Denkweise aufbaut.

Die Rechtsextremismus-Expertin Judith Rahner sagte in einem Interview, dass Antifeminismen in der Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fallen. Woran lässt sich das festmachen?

Antifeminismus ist kein rein rechtes Phänomen, sondern breitgesellschaftlich anschlussfähig – weil ein sexistisches und heteronormatives Weltbild noch immer weit verbreitet ist. Etwa die Vorstellung, dass ein Kind beide biologischen Eltern braucht. Oder dass es nur Männer und Frauen gibt.

Auch Frauen können Antifeministinnen sein und machen bei den Coronaprotesten mit. Wie lässt sich das erklären?

Teilweise dadurch, dass die Situation sehr belastend für sie ist. Da ist eine Betreuungs- und Sorgelücke entstanden durch Kita- und Schulschließungen. Der Umgang damit wurde in der Krise individualisiert und privatisiert.

Sollte Antifeminismus bei der Prävention gegen rechts mehr beachtet werden?

Ja, denn wenn man sich extrem rechte Ak­teu­r*in­nen anguckt, gehen bei diesen Antifeminismus und enge Geschlechterbilder – Männlichkeitsbilder – immer miteinander einher.

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9 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    " Inwieweit begünstigen Krisen den Antifeminismus?

    In Krisen wächst der Wunsch nach einfachen Erklärungen und Sicherheit. Die Coronakrise ist eine komplexe Situation, in der Verschwörungstheorien Entlastung bieten können. Wir sind zudem weniger offen für die Infragestellung von bestehenden Denkweisen. Wie der, dass unsere Gesellschaft auf einer zweigeschlechtlichen Denkweise aufbaut."



    Spätestens an dieser Stelle hätte ich mir dann doch einen materialistischen Bezug gewünscht.



    Kapitalistische Krisen entstehen strukturbedingt immer von Neuem, da die Mittel zur Überwindung der Krise die nächste Krise hervorbringen.



    Weil die kapitalistische Produktionsweise auf Konkurrenz um die erfolgreichste Ausbeutung von Arbeitskraft angelegt ist und ein Mangel an Kooperation besteht, entsteht ein systemischer Mangel an ausbeutbarer Arbeitskraft.



    In jedem kapitalistischen Krisenzyklus wird in der Mangelgesellschaft erneut die systemische Notwendigkeit deutlich gemacht, diesem Mangel an ausbeutbarer Arbeitskraft Abhilfe zu verschaffen.



    Die Unterwerfung von Frauenkörpern zur vermehrten Reproduktion der ausbeutbaren Arbeitskraft ist schon immer eine Konsequenz dieses kapitalismusbedingten Mangels gewesen, denn die damit verbundene Reproduktionsarbeit wird im Gegensatz zur Produktionsarbeit nicht bezahlt.



    Frauen zu unterdrücken ist billiger als Krieg, um zusätzliche Arbeitskraft unter die nationalökonomische kapitalistische Herrschaft zu bringen. Deswegen ist Antifeminismus eine der ersten spürbaren Krisenfolgen. Gerade für die konservative, esoterische und religiöse Rechte steht Antifeminismus methodische wohl noch vor dem Rassismus. Das kann man bei der konservativen Gesellschaft für Deutsche Sprache und bei Männerrechtsorganisationen sehen.



    Die "Türöffnerfunktion" des Antifeminismus für die extreme Rechte beruht nicht nur auf strukturellen Ähnlichkeiten, sondern ist in erster Linie ökonomisch bedingt.



    Ein Abtreibungsverbot ist billiger als Krieg und drückt nicht das Lohnniveau.

  • zu Naturwissenschaften haben „zu Recht einen besonders hohen Stellenwert“:



    Ich denke, eine intersektionale Analyse des derzeitigen gesellschaftlichen Umgangs mit der Pandemie würde hier eine andere Gewichtung ergeben.



    Die herrschende Geschlechterideologie, nicht nur die von Rechten, gründet sich auf hierarchisierende Gegensatzpaare. Emotionalität, Mitgefühl und Fürsorglichkeit sind weiblich konnotiert und abgewertet gegenüber Rationalität, Vernunft und Abstraktionsfähigkeit, die männlich konnotiert sind. Dem entspricht in der gesellschaftlichen Praxis eine real vorhandene geschlechterhierarchische Arbeitsteilung mit weit überwiegend von Frauen ausgeübter gering oder gar nicht bezahlter Sorgearbeit auf der einen, überwiegend von Männern ausgeübter Arbeit in Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft auf der anderen Seite.



    Wie wirkt sich das auf den Umgang mit Covid-19 aus? Die naturwissenschaftlich-technischen Verfahren haben zu recht einen hohen Stellenwert, denn Tests und Impfstoffe sind wichtig. Aber was kann diese Gesellschaft anbieten, wenn Tests positiv ausfallen? Von Beginn an konzentriert sich das Infektionsgeschehen auf Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser, Wohnheime für Geflüchtete und Arbeiter*innen sowie Arbeitsstätten. Seit Monaten ergeben Untersuchungen, dass über 60% der Corona-Toten Bewohner*innen von Senior*innenheimen sind. Tote nach Krankenhausinfektionen kommen dazu. Das aber sind die weiblich konnotierte Bereiche. Gleichzeitig sind es die Bereiche, die für die privatisierte Krankenhaus- und Heimindustrie Kostenfaktoren sind, die möglichst minimiert werden sollen. Demgegenüber bringen naturwissenschaftlich-technische Verfahren den Herstellern Gewinne. Geschlechterideologie stützt Kapitalinteressen. Besonders im Fall der im Zentrum der Pandemie stehenden Pflegeheime kommt eine rassistische Abwertung vieler Arbeitskräfte hinzu. Es gibt also eine Verzahnung von Kapitalinteressen, race, class und gender.

    • @Margit Englert:

      Fortsetzung:



      Ohne diese Verzahnung von Kapitalinteressen, race, class und gender wäre es wohl für jeden human denken und fühlenden Menschen bereits im Frühjahr ein Gebot der Stunde gewesen, die Heime und Krankenhäuser massiv auszubauen und mit angemessener Bezahlung die nötigen Arbeitskräfte einzustellen. So aber müssen bis heute Infizierte mit Nicht-Infizierten Menschen in Heimen auf engstem Raum leben, teilweise ein Zimmer teilen. Private Heimbetreiber antworten nach Ausbrüchen mit vielen Todesfällen lapidar, das sei leider nicht anders möglich. Zur gleichen Zeit wirbt man mit hervorragenden Bilanzen und steigenden Gewinnen weitere Investoren an. Frau Merkel tut es in der Seele weh, nein, nicht dass, sondern nur noch wie die Menschen sterben. In Pflegeheimen werden Quarantänezimmer für Rückkehrer*innen aus Krankenhäusern eingerichtet, weil das Virus in Krankenhäusern aufgrund der dort herrschenden Bedingungen unweigerlich weitergegeben wird. Aus Zeit-, Personal- und Platzmangel ist unmöglich, Krankenhausinfektionen zu vermeiden.

      Gleichzeitig hält eine von männlicher Mittelschicht dominierte Szenerie, die sich die „Linke“ nennt, zu großen Teilen „abwarten“ für das einzig Richtige und gefällt sich darin zum Teil auch noch in der Pose der „Querdenker“-Abwehr. Andere beklagen die „Kritikunfähigkeit“ der „Linken“ während der Pandemie und fragen nach deren Ursachen. Eine Antwort: Mann befindet sich größtenteils in derselben Intersektion wie die, die man sonst vielleicht kritisieren würde. Und so wie das bei den Krähen auch ist, ne …

  • wieso sollte die feststellung, dass es zwei Geschlechter gibt antifeministisch sein? allerdings ist es anschlussfähig, ja. ich empfehle die sendung zu geschlechtermedizin auf deutschlandfunk. dort kann man nachvollziehen, wie das ignorieren von geschlechterdifferenz sich nachteilig in erster linie auf die behandlung von frauen, aber zweitens auch auf männer auswirkt.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @marusja meyer:

      Im 19. Jahrhundert wäre das vielleicht noch keine antifeministische Position gewesen. Mittlerweile ist es wissenschaftlicher Konsens, dass es Intersexualität gibt und die Trans-, Inter- und Nichtbinärenfeindlichkeit hat ihren festen Platz im Antifeminismus bekommen.



      Darin, dass es Inter- Trans- und Homosexualität gibt, sehen VerfechterInnen des klassischen Ehe- und Familienmodells eine Bedrohung für die scheinbare Selbstverständlichkeit ihres Konzeptes.

  • Wer im Klimaschutz aktiv ist - zumal wenn jung, nicht-männlich, und womöglich auch noch mit äußerlich erkennbarem Migrationshintergrund - kennt das nur zu gut. Sexismus, Rassismus, Wissenschaftsleugnung - das ist die unheilige Dreieinigkeit der Antimoderne bzw Anti-Aufklärung (Faschismus ist zwar eine antimoderne Ideologie, aber dennoch ein Kind der Moderne als historischer Epoche).

    Was davon dominiert, bestimmen die Umstände, aber zugrunde liegt allem dasselbe: eine Ideologie, die die Menschen zu ewigen Gefangenen einer mit irgendeiner herbeigeschwurbelten "Vernunft" oder herbeiphantasierten "historischen Wahrheit" begründeten GEISTIGEN UNMÜNDIGKEIT machen will.

    Wer in linker Geschichte belesen ist, wird sich vielleicht an eine der wenigen Großtaten von Mao Tse-tung erinnern, der vor rund einem Jahrhundert bereits Folgendes ausarbeitete: gemäß der marxistischen Theorie ist nominell der Klassismus der "Hauptwiderspruch" des Kapitalismus; alle andere Ungerechtigkeit ist letztlich "Nebenwiderspruch". Doch wie Mao zeigte irren diejenigen reaktionären Marxisten - im heutigen Deutschland ist dies typischerweise der Wagenknecht-Fanclub - grundlegend, die rassistische oder sexistische Diskriminierung als bloße "Petitessen" herableugnen:



    Denn es ist eine Frage der Umstände, was in einer *konkreten* Situation in der *realen* Welt Haupt- und Nebenwiderspruch ist. Mao zeigte es am Beispiel von China in den Opiumkriegen, wo der (rassistisch begründete) Imperialismus als Hauptwiderspruch auftrat. Analog kann man dies für die US-Sklavenhalterstaaten sagen. Für Sexismus gilt es entsprechend z.B. im heutigen Saudi-Arabien. All diesen "Widersprüchen" - Klassismus so wie Rassismus und Sexismus - liegt das ENTRECHTUNG schaffende, um sich von der resultierenden MACHTUNGLEICHHEIT nähren zu könnende Wesen des Kapitalismus zugrunde.

    Intersektionalität ist daher immens wichtig, denn damit bekämpft die Bekämpfung des einen Übels auch die anderen, sowie ihre gemeinsame Wurzel.

    • @Ajuga:

      Antwort auf Ajuga:



      interessant, danke!



      zu Marx: Wo steht denn bei Marx etwas von Haupt- und Nebenwiderspruch, oder etwas mit diesem Sinn und anderen Worten?



      Marx hat das Geschlechterverhältnis in seine ökonomische Analyse nicht einbezogen. Er benennt es zwar an etlichen Stellen, aber in der Analyse von Ausbeutung und Gesellschaftsentwicklung ist es eine Leerstelle. M.E. heißt das, Marx hat uns mit dem Kapital ein Buch hinterlassen, das einiges sehr Grundlegendes erklärt, aber eben nicht alles. Daher enthält es die Aufforderung an die nachfolgenden Generationen, weiter zu denken. Gender und race in die Analyse einzubeziehen. Viele tun das seit Jahrzehnten. Sexistische und rassistische „Linke“ aber haben sich diesen Zwischenstand, den Marx hinterlassen hat, zunutze gemacht, um eine Ideologie von Haupt- und Nebenwiderspruch in die Welt zu setzen. Das wieder aus der Welt zu schaffen, um zu einer wirklichen Weiterentwicklung zu kommen, dauert inzwischen über 150 Jahre an. Auch das heutige Lamentieren über den desolaten Zustand der „Linken“, gerade in Zeiten von Corona, ist Ausdruck davon. Denn eine intersektionalistische Analyse kapitalistischer Ausbeutung gerade der jetzigen Situation ist sehr erhellend und hat das Zeug, vielen Menschen das Leben zu retten.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @Margit Englert:

        Bei Marx steht auch nichts von "Klassismus". Da ist von Klassen die Rede. Menschen werden durch die Existenz von Klassen bereits diskriminiert und nicht erst anhand ihrer Klasse diskriminiert, so wie Menschen anhand ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts diskriminiert werden. Durch die bloße Existenz verschiedener Hautfarben und Geschlechter werden Menschen nicht diskriminiert, wohl aber durch die Existenz von Klassen.



        Insofern ist die Existenz von Klassen methodisch gesehen basaler als die Diskriminierung anhand des Klassenstatus, der Hautfarbe und des Geschlechtes, zumindest insoweit sich die letzteren in der kapitalistischen Produktionsweise verorten lassen.



        Deswegen lässt sich auch keine Unterteilung von Klassismus, Rassismus und Sexismus in Haupt- und Nebenwidersprüche machen, wie @AJUGA das behauptet hat.

      • @Margit Englert:

        Die Auffächerung der Wirklichkeit in Haupt- und Nebenwiderspruch hat Mao Zedong vorgenommen.