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100 Jahre Auflösung der Bremer StadtwehrGewalttätige Antidemokraten

Fast vergessen ist die Geschichte der Bremer Stadtwehr: Gegen Linke schossen die Freiwilligen scharf, Zorn erregte ihre Auflösung vor 100 Jahren.

Ein Grüppchen Stadtwehr-Männer posiert für ein Foto: Am Blechlatz sind sie zu erkennen Foto: privat/Angele

BREMEN taz | Vor 100 Jahren, am 11. Februar 1921, wurde eine Organisation aufgelöst, die unter der Bezeichnung „Stadtwehr“ für einige Jahre das alltägliche Leben in Bremen geprägt hatte. Der mit der Abwicklung betraute Kommandant Heinrich Wätjen schürte in einem Abschiedsschreiben den Missmut gegenüber der Regierung: „Der Senat kann durch seinen Beschluss wohl die Stadtwehr entlassen; das Band jedoch, welches uns auf Grund des seit nunmehr 2 Jahren gemeinsam verfolgten Zieles fest zusammengeschlossen hat, vermag er nicht zu zerreissen!“

Am 13. Februar 1919 hatten sich zum ersten Mal bewaffnete Männer rund um das imposante Lloyd-Gebäude in der Bremer Innenstadt positioniert. Dort hatte die Stadtwehrkommandantur ihren Sitz im Gebäude der Reederei bezogen. In der Folge patrouillierten Tausende dieser Männer durch die Straßen Bremens, gut erkennbar an der Bewaffnung und dem eigentümlichen Blechlatz mit ihren Mitgliedsnummern, den sie um den Hals trugen.

Ausgehend von vier Punkten, dem heutigen Hermann-Böse-Gymnasium, dem Holzhafen, der Hamburger Straße und der heutigen Schule am Leibnizplatz, sollten so „Ruhe und Ordnung“ in der Stadt hergestellt werden. Aber was war in Unordnung geraten?

Die Niederlage des Deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg hatte massive politische Umwälzungen zur Folge. Die Gründungsphase der Weimarer Republik war dabei alles andere als gewaltfrei: Konflikte zwischen Konservativen, Reformern und Revolutionären wurden vielerorts mit Waffen ausgetragen.

Sozialdemokraten billigten die Wehr

Die Stadtwehr war dabei eine von zahlreichen Freiwilligentruppen im Reich, die zur Unterstützung des Militärs und der Polizei eingesetzt waren. Eine der ersten Einwohnerwehren dieser Art gründete sich im Berliner Stadtteil Wilmersdorf. Ausgerechnet dort versteckten sich Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919. Sie wurden von Mitgliedern der Wehr festgesetzt, der Garde-Kavallerie-Schützen-Division übergeben und noch in der selben Nacht ermordet.

In Bremen wurde eine Einwohnerwehr mit leicht verändertem Namen als Reaktion auf die „unabhängige sozialistische Republik“, besser bekannt als Bremer Räterepublik, gegründet. Die Stadtwehr war Produkt der Besprechungen in Verden, wohin sich die Gegner der Räterepublik zurückgezogen hatten. Neben hochrangigen Militärs und den abgesetzten Senatoren waren Mitglieder der mehrheitssozialdemokratischen Partei (MSPD) anwesend.

Letztere billigten die Gründung der Stadtwehr und bildeten nach der Niederschlagung der Räterepublik am 4. Februar 1919 eine provisorische Regierung. Eine militärische Regierungsschutztruppe besetzte die Innenstadt und die Stadtwehr sollte einen strategischen Ring ums Zentrum bilden. Neben dem täglichen Wachdienst hatten die Mitglieder für Alarm­einsätze bereitzustehen. Über 4.000 Männer hatten sich bereits in den ersten Wochen gemeldet.

Doch nicht jeder der insgesamt gut 10.000 Freiwilligen, die in den zwei Jahren in die Stadtwehr eintreten wollten, wurde auch aufgenommen. An eine Prüfung der Kandidaten auf Vorstrafen schloss sich die Kontrolle durch Vertrauensleute der MSPD an, die feststellen sollten, ob die Anwärter in ihrer politischen Gesinnung nicht allzu links waren. Kommunisten oder Mitglieder der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei wurden kategorisch ausgeschlossen.

Der Stadtwehr fehlte, ebenso wie der provisorischen Regierung, eine demokratische Legitimation. Sie spiegelte nicht die Wahlergebnisse zur Nationalversammlung wider, die unter den Räten am 19. Januar zugelassen worden war. Kein Wunder also, dass die Stadtwehr unter Linksradikalen verhasst war.

In der Zeitung Der Kommunist wurde sie als „Konterrevolutionäre Henkerstruppe“ beschimpft. Dass die Stadtwehr mit Slogans wie „Schützt Bremen! Schützt die Revolution!“ um Mitglieder warb, machte sie in den Augen derer, die für die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus standen, nicht gerade sympathischer.

Das Image der Stadtwehr als Kampftruppe gegen die Arbeiterschaft war nur schwer von der Hand zu weisen. Die Mitglieder übten mit großer Mehrheit bürgerliche Berufe aus, sie waren Kaufleute, Handlungsgehilfen, Beamte. Antisemitismus und ein kriegerischer Nationalismus grassierten.

Nur die menschlichsten Mittel

Vor allem bei den außerordentlichen Einsätzen und in Alarmsituationen zeigte sich, wie es um das eigene Bekenntnis – „Politik darf es in ihren Reihen nicht geben“ – stand: In 19 außerordentlichen Einsätzen hegte die Stadtwehr Demonstrationen linker Parteien ein, schützte Mitglieder der Technischen Nothilfe, Vorläuferin des Technischen Hilfswerks, zur Aufrechterhaltung von Betrieben, deren Arbeiterschaft streikte und bewachte Geschäfte während der sogenannten Lebensmittelunruhen im Sommer 1920.

Ihre Alarmvorschriften ließen keinen Zweifel an den richtigen Mitteln bei der Ausübung der Staatsgewalt: „Je schärfer die Mittel, desto schneller der Erfolg. Der Gegner ist im allgemeinen feige und hält bei energischem Zugreifen nicht stand. Deshalb keine halben Maßnahmen wie Schreckschüsse usw. Wenn der Feind sieht, dass rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird, verliert er den Mut und wird den größten Teil seiner Leute nicht halten können. Die schärfsten Mittel sind deshalb auch die menschlichsten.“

Elias Angele

Elias Angele ist Historiker und arbeitet am Institut für Geschichtswissenschaft der Uni Bremen. Sein Buch “‚Schützt die Revolution!‘ Die Stadtwehr Bremen 1919-1921“ erscheint im Frühjahr im Franz Steiner Verlag. Es war seine Master-Arbeit

Diese Passage war keine bremische Erfindung. Sie war direkt aus den „Richtlinien für die Aufstellung einer Einwohnerwehr“ entnommen, die die Garde-Kavallerie-Schützen-Division in dem Bemühen herausgegeben hatte, die Wehren auf den Kampf gegen „Ruhe und Ordnung“ einzustimmen. Wie viele den Einwohnerwehren dabei zum Opfer fielen, ist nach wie vor ungeklärt, zumal deren Geschichte bislang noch nicht gründlich erforscht wurde.

Die Auflösung der Einwohnerwehren war nicht etwa einem Politikwechsel der deutschen Regierungen geschuldet, sondern lag am Druck der Siegermächte des Ersten Weltkriegs, die in den Wehren einen Versuch zum Erhalt des drastisch verkleinerten Militärs sahen.

Für die Mitglieder ging damit auch ein Männerbund zu Ende, der ihnen zum einen die Pflege eines männlich-soldatischen Selbstbildes ermöglichte und der zum anderen für den Erhalt der bestehenden Eigentumsordnung kämpfte. 1921 verlieren sich die Spuren, zahlreiche Mitglieder scheinen jedoch den Weg in den Untergrund gewählt zu haben, es gab offensichtlich Verbindungen zu den Organisationen „Wehrwolf“ und „Consul“. Allesamt rechte Netzwerke, die sich über die Jahre folgenschwer verdichten sollten.

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