100 Jahre Kapp-Putsch: Die Feinde der Demokratie
Militaristen und Nationalisten versuchten im Kapp-Putsch die Weimarer Republik zu zerstören. Immer noch mangelt es an politischer Aufarbeitung.
Am frühen Morgen des 13. März 1920 putschten zwei Freikorps-Brigaden unter Hermann Ehrhardt (1881–1971) und Wilfried von Loewenfeld (1879–1946) gegen die rechtmäßige Berliner Regierung, indem sie das Regierungsviertel im Handstreich besetzten. Die Aktion heißt „Kapp-Putsch“ gegen die Weimarer Demokratie, weil sie von dem konservativen Lobbyisten der Großgrundbesitzer und Generallandwirtschaftsdirektor Wolfgang Kapp (1858–1922) und von General Walther Freiherr von Lüttwitz (1859–1942) geplant wurde.
Mitbeteiligt waren auch Erich Ludendorff (1865–1937), ehemaliger Chef des Generalstabs sowie seine rechte Hand, Oberst Max Bauer (1869–1929) und Waldemar Pabst (1880–1970), der zuvor am Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beteiligt war.
Bereits am 8. Januar 1920 knüpfte Kapp Kontakte zu zehn deutschen Banken und versuchte, sie für „unsere Bestrebungen“ zu gewinnen. Auch der Ruhrindustrielle Hugo Stinnes stand mit Kapp in Verbindung und versicherte dem Mitglied der DDP Otto Geßler (1875–1955), der sich als „Vernunftdemokrat“ bezeichnete und nach dem Putsch Reichswehrminister wurde: „Es ist das Zeichen einer wahren Demokratie, dass sie in Zeiten der Todesgefahr ihren Diktator findet.“
In Berlin brodelte es seit Wochen. Bei einer Protestdemonstration von Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) und Kommunisten (KPD) gegen die „Verwässerung des Rätegedankens“ im Betriebsrätegesetz wurden am 13. Januar 1920 42 unbewaffnete Menschen getötet und 102 verletzt. Den Einsatz der Sicherheitswehr kommandierte General von Lüttwitz, politisch zu verantworten hatten ihn Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) und der preußische Innenminister Wolfgang Heine (SPD).
Marsch nach Berlin
Der Versailler Friedensvertrag war am 10. Januar 1920 in Kraft getreten, und die Siegermächte verlangten die Einhaltung des Artikels 160, dem zufolge die Reichswehr auf 100.000 Mann reduziert werden musste, bis zum 10. Juli. Das bedeutete die Entlassung von rund 150.000 Soldaten und Offizieren. Viele hatten sich nach Kriegsende – von materiellem Ruin und sozialem Abstieg bedroht – in Freikorps organisiert und zogen – vom Baltikum aus – marodierend durchs Land. Dort kämpften sie gegen den Bolschewismus, aber engagierten sich auch in Privatarmeen von Gutsbesitzern.
Auf Druck der Alliierten verfügte Noske am 29. Februar 1920 die Auflösung der Freikorps. Trotzdem hielten diese am 1. März in Döberitz eine Militärparade ab. General Lüttwitz stellte sich demonstrativ hinter die rechten Rebellen: „Ich werde nicht dulden, dass mir eine solche Kerntruppe in einer so gewitterschwülen Zeit zerschlagen wird.“
Am 10. März ging der General noch einen Schritt weiter und verlangte im Gespräch mit Reichspräsident Ebert und Noske die Auflösung der Nationalversammlung, Neuwahlen, die Zurücknahme von Noskes Befehl vom 29. Februar und obendrein seine Beförderung zum Oberbefehlshaber der Reichswehr. Ebert und Noske ließen den offen mit einem Putsch drohenden Lüttwitz nicht verhaften, sondern zu Ehrhardt und Loewenfeld nach Döberitz entkommen.
Die Freikorps machten sich am 13. März auf zum „Marsch nach Berlin“, worüber Noske das Regierungskabinett informierte und vergeblich versuchte, das Regierungsviertel mit regierungstreuen Truppeneinheiten zu sichern. Gegen ein Uhr in der Nacht ergab die Lageanalyse in der Reichskanzlei, dass sich die Berliner Sicherheitspolizei mit den Putschisten solidarisierte und Generaloberst Hans von Seeckt (1866–1936) – der neue Chef der Heeresleitung an der Schaltstelle der nach rechts abdriftenden Reichswehr – sich in der Krise als neutral erklärte: „Truppe schießt nicht auf Truppe“, soll er erklärt haben.
Die Reichswehr überließ das Regierungsviertel kampflos den Putschisten. Ebert, Reichskanzler Gustav Bauer (1870–1944) und sozialdemokratischen Regierungsmitgliedern blieb nur die Flucht über Dresden nach Stuttgart. Minister der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der Zentrumspartei waren bereit, mit den Putschisten zu verhandeln, und verließen Berlin nicht.
Aufruf zum Generalstreik
Kapp proklamierte sich selbst am Morgen des 13. März mit den pathetischen Worten, „die bisherige Reichsregierung hat aufgehört zu existieren“, als „Regierung der Tat“ mit dem Ziel: „Wiederherstellung der Ordnung und Heiligkeit des Rechts“. SPD, Gewerkschaften, USPD und Beamtenbund riefen zum Generalstreik auf, der im ganzen Land befolgt wurde. Da auch die Ministerialbürokratie und viele Verwaltungen loyal blieben, wurde das Land buchstäblich lahmgelegt.
Reichskanzler Bauer und Reichswehrminister Noske distanzierten sich vom Aufruf zum Generalstreik der SPD, den ihre geflohenen Kollegen in Dresden formulierten. Bürgerliche und konservative Parteien riefen nicht zum Streik auf, und die KPD erklärte „die Arbeiterklasse (…) in diesem Augenblick“ für „nicht aktionsfähig“ und bekannte sich erst am 14. März mit einem Tag Verspätung zum Widerstand „gegen die Militärdiktatur“ bereit.
Im Ruhrgebiet entfaltete der Streik eine enorme Dynamik, die zum Aufstand von 55.000 bewaffneten Kämpfern führte, die als „Rote Ruhrarmee“ ab dem 22. März und bis zum Monatsende das ganze Revier beherrschten. Mit dem „Bielefelder Abkommen“ vom 24. März sollte der Konflikt friedlich beigelegt werden. Aber unter Verletzung des Abkommens schlugen Anfang April Reichswehr und rechtsradikale Freikorps, die eben noch Demokratie und Republik bekämpft hatten, den linken Aufstand brutal nieder – bis zu 3.000 Tote.
Einigermaßen einig ist sich die historische Forschung in der Beurteilung der verpassten juristischen und politischen Aufarbeitung des Kapp-Putschs und der Folgen für die Weimarer Demokratie. Kapp, einer der beiden Hauptakteure, floh nach Schweden und kam nach seiner Rückkehr in Untersuchungshaft, in der er 1922 starb.
Lüttwitz entkam nach Ungarn, kehrte nach einem Jahr zurück und blieb juristisch unbehelligt, sicherte sich aber seine ungekürzten Pensionsansprüche wie der ehemalige Berliner Polizeipräsident Traugott von Jagow (1865–1941). Er wurde als Einziger Ende 1921 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, aber 1924 begnadigt. 48 Verfahren entledigte sich die Justiz durch Freisprüche.
Folgenreicher als die konservativ-rechtsblinde Justiz war für das Schicksal der Weimarer Republik das sich bereits durch den Kapp-Putsch abzeichnende politische Bündnis zwischen dem preußischen Adel, ostelbischen Rittergutsbesitzern, konservativen Politikern, großen Teilen der Reichswehr und den völkisch-nationalistischen Bewegungen. Diese Koalition beerdigte 1933 die Demokratie – und zwar von Bayern aus, wohin sich die Putschisten gegen die Republik nach ihrer Niederlage 1920 in Preußen ins „Exil“ zurückzogen.
Die gespaltene Linke versagte politisch
SPD, USPD und KPD, die dreifach gespaltene Linke, muss es sich als politisches Versagen anrechnen lassen, dass sie in den der Weimarer Republik noch verbleibenden 13 Jahren nie mehr zu jener politisch handlungsfähigen Aktionseinheit fand, die 1920 in der Lage war, die Putschisten von rechts nach 100 Stunden am 18. März 1920 zur Kapitulation zu zwingen.
Das war in erster Linie ein Verdienst der politischen Führung durch den „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund“ (ADGB) unter dem im Dezember nach dem Putsch verstorbenen Drechslergesellen Carl Legien, dem es freilich nicht gelang, von den neun zentralen Forderungen für die Beendigung des Generalstreiks – etwa nach Demokratisierung der Verwaltung und Justiz sowie der Sozialisierung der Wirtschaft – mehr durchzusetzen als den Rücktritt Noskes und zweier preußischer Minister, die mit den Putschisten sympathisiert hatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?