Plädoyer im Lübcke-Prozess: Der rätselhafte Markus H.
Stachelte er den Attentäter an oder war gar Mittäter? Im Lübcke-Prozess bestreiten die Anwälte des Mitangeklagten die Vorwürfe und fordern Freispruch.
Und Markus H.? Der schweigt zu den Vorwürfen in dem Prozess, der seit Juni 2020 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main über die Tötung von Walter Lübcke verhandelt und kurz vor dem Urteil steht. Dafür aber machen am Dienstag H.s Verteidiger Björn Clemens und Nicole Schneiders, zwei Szeneanwälte, in ihrem Plädoyer klar, was sie von den Vorwürfen halten: nichts.
„Er sitzt hier zu Unrecht“, sagt Clemens. „Er hat nichts zu bereuen, er war schlichtweg nicht beteiligt.“ Schneiders spricht von einem Exempel, dass an Markus H. statuiert werden soll. Die Forderung der Anwälte: Freispruch und Haftentschädigung.
Tatsächlich hatte das Gericht Markus H. bereits im Oktober aus der U-Haft entlassen und erklärt, ein dringender Tatverdacht liege nicht mehr vor. Die Anklage fordert dagegen neun Jahre und acht Monate Haft für den 44-jährigen Waffennarr. Die Hinterbliebenen von Walter Lübcke wollen als Nebenkläger gar lebenslange Haft.
AnwältInnen mit einschlägiger Vergangenheit
Markus H. habe den Hass auf Lübcke losgetreten, als er ein Video mit einem Ausschnitt der Bürgerversammlung von 2015 hochlud, auf welcher der CDU-Politiker rechte Störer zurechtwies. Er habe Stephan E. mit Schießübungen und Teilnahmen an AfD-Demos aufgestachelt. Und er habe auffällig schnell nach dem Mord alle Chats mit Stephan E. gelöscht.
Clemens und Schneiders – er einst bei den Republikanern aktiv, sie bei der NPD – wischen die Vorwürfe weg. Die Teilnahme an AfD-Demos heiße noch keine Radikalisierung. Was bei den Schießtrainigs geschah, sei ungeklärt. Chats zu löschen heiße gar nichts, wenn man die Inhalte nicht kenne. Auch sei Stephan E. seit jeher Rechtsextremist, habe selbst Arbeitskollegen agitiert – eine Radikalisierung von außen sei gar nicht nötig gewesen.
Zudem, so betonen die Anwälte, gebe es bis heute keinen handfesten Nachweis, dass Markus H. etwas von E.s Mordplan gewusst habe. Schon gar nicht, dass er auf Lübckes Terrasse stand. Vielmehr sei das Handy von Markus H. in der Tatnacht in einer Funkzelle fernab von Lübckes Wohnhaus eingeloggt gewesen.
Tatsächlich gibt es von Markus H., anders als von Stephan E., keine DNA-Spur am Tatort. Aber sein früherer Kumpel beteuerte an mehreren Prozesstagen, H. sei dabei gewesen. Und auch der Anwalt der Lübckes listete 30 Indizien auf, die für H.s Mittäterschaft sprächen.
Musterbeispiel „legaler Lebensführung“?
Clemens spricht von einem „herzlichen Einvernehmen“ zwischen Opfern und Täter, beide versuchten Markus H. in die Tat reinzuziehen. Dabei sei es doch sehr bemerkenswert, dass die Familie die Verteidiger von Stephan E. im September 2020 sogar auf ihr Anwesen ließ, um den Tatort zu inspizieren. Schneiders legt noch unverhohlener nahe, dass die Lübckes an einem „Stockholm-Syndrom“ litten.
Die Aussagen von Stephan E. tun die Verteidiger ab. Dieser sei ein notorischer Lügner, schiebe die Schuld stets auf andere. Markus H. lebe dagegen straffrei, besitze seine Waffen legal. Der ebenfalls erhobene Vorwurf eines Waffenverstoß sei daher haltlos, auch hier müsse es Freispruch geben. „Er ist ein Musterbeispiel einer ganz legalen Lebensführung“, sagt Clemens über seinen Mandanten. Eine kühne Beschreibung für einen, bei dem Ermittler reihenweise NS-Devotionalien und eine Zyklon-B-Dose als Stifthalter fanden.
Aber die Verteidiger holen politisch noch weiter aus. Clemens stellt den Mord an Lübcke in eine Reihe mit den RAF-Morden, tut das Lübcke-Video von Markus H. als „Kontrolle der Macht“ ab. Medien wirft er eine Vorverurteilung vor, imitiert gehässig eine Fernsehjournalistin. Und er widerspricht, dass das Urteil im Fall Lübcke ein Signal gegen Rechtsterror sein müsse: Der Staat tue bereits genug gegen rechts, mit „schier unzähligen Maßnahmen“.
Schneiders wiederum verteidigt die Ideologie des Angeklagten. Minutenlang doziert sie über einen angeblich drohenden „Volkstod“ und eine „Umvolkung“ – gängige rechtsextreme Narrative. Für die Anwältin sind dies keine Wahnvorstellungen, wie es die Ankläger nennen, sondern reale Bedrohungen. Und dagegen gebe es eine „Pflicht zur Identitätswahrung“.
„Unanständiges Grinsen“
Im Saal verfolgen die Witwe und Söhne von Walter Lübcke die Ausführungen mit starren Blicken. Sie tun dies auch, als die beiden Angeklagten ganz am Ende noch einmal das letzte Wort erteilt bekommen. Stephan E. wendet sich direkt an die Familie. „Ich möchte Ihnen nochmal, sagen, dass es mir sehr leid tut, was ich Ihnen angetan habe“, sagt er mit gedrückter Stimme. Er bereue die Tat „zutiefst“.
Und E. belastet ein letztes Mal noch seinen früheren Kumpel. „Dass, was ich Ihnen hier gesagt habe, ist die Wahrheit.“ Das teils politische Plädoyer von Markus H. sei dagegen „genau das, wovon ich wegkommen wollte“.
Auch Markus H. ergreift nun das Wort. Allerdings nur, um es bei einer Anmerkung zu belassen: „Nicht alles was gesagt wurde, hat zur Aufklärung beigetragen.“ Ansonsten schließe er sich seinen Anwälten an.
„Schwierig und schmerzhaft“ sei der Prozesstag für sie gewesen, lassen die Lübckes im Anschluss durch ihren Sprecher erklären. Zwar hätten auch Angeklagte, die „diesen Staat verachten und bekämpfen“, das Recht auf eine angemessene Verteidigung. Das Plädoyer von Markus H. aber sei „im Stil unangemessen und in der Sache fehlerhaft“ gewesen. Noch dazu komme es von einem Angeklagten, der im Prozess „nichts, aber auch gar nichts“ zur Wahrheitsfindung beigetragen habe und stattdessen durch „unanständiges Grinsen“ provozierte.
Ob Markus H. auch am Ende noch grinsen kann, wird sich am Donnerstag zeigen: Dann soll das Urteil fallen.
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