Plädoyer im Lübcke-Prozess: Es soll nur Totschlag sein

Im Lübcke-Prozess plädieren die Verteidiger auf Totschlag statt Mord – mit kühner Begründung. Für Stephan E. fordern sie einen Strafrabatt.

Stephan Ernst und sein Anwalt stehen im Gerichtssaal

Der Anwalt Mustafa Kaplan und Stephan E. stehen am 12. Januar 2021 im Gerichtssaal in Frankfurt Foto: Thomas Lohnes/dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Es ist ein denkwürdiger Prozess. Seit Juni 2020 wird vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main über den Mord an Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten, verhandelt. Dem ersten Mord an einem Politiker durch einen Rechtsextremen seit Jahrzehnten. Ein Prozess mit gleich drei Geständnissen des Angeklagten. Mit einer völlig unklaren Rolle des Mitangeklagten Markus H. Einer Opferfamilie, die die Glaubwürdigkeit des Täters verteidigt. Und nun auch noch mit einem denkwürdigen Plädoyer.

Die Verteidiger Mustafa Kaplan und Jörg Hardies halten es am Donnerstag für den Hauptangeklagten Stephan E. Und statt Mordes an Walter Lübcke fordern sie nur eine Verurteilung wegen Totschlags – ohne besondere Schwere der Schuld, ohne Sicherungsverwahrung. Eine kühne Forderung. Die Frage der Haftjahre lässt Kaplan offen. Er plädiert für ein „verhältnismäßiges, aber auch annehmbares Urteil“.

Dass Stephan E. an der Tötung von Walter Lübcke beteiligt war, ist unstrittig. Von ihm fand sich DNA am Hemd des Opfers und an der Tatwaffe. Der Rechtsextremist gestand auch, Walter Lübcke am 1. Juni 2019 auf dessen Terrasse in Istha bei Kassel erschossen zu haben – aus aufgestautem Hass über dessen Kritik an Geflüchtetengegner auf einer Bürgerversammlung in Kassel 2015.

Später aber widerrief Stephan E. sein Geständnis und beschuldigte den Mitangeklagten Markus H. als Schützen. Im Prozess dann Version drei: Er habe doch selbst geschossen, aber Markus H. sei mit am Tatort gewesen und habe ihn zuvor aufgestachelt.

„Schmierentheater, der schlechtesten Sorte“

Auch Verteidiger Kaplan spricht von einem „ungewöhnlichen Verfahren“. Die Schuld von Stephan E. stellt er nicht in Frage. Ja, dieser habe geschossen. Das „Geständniswirrwarr“ schiebt Kaplan auf E.s frühere Verteidiger, allen voran den Dresdner Frank Hannig. Der habe das zweite Geständnis schlicht erfunden, „ein Schmierentheater der schlechtesten Sorte“. Auch die Bundesanwaltschaft trage Verantwortung, da sie den Anwälten JVA-Besuche erlaubte, ohne dass Stephan E. dies erbeten hatte.

Kaplan betont aber: Auch Markus H., ein früherer Kumpel von Stephan E. und ebenso Neonazi, sei mitverantwortlich für die Tat. Markus H. habe Stephan E. 2015 mit zu Lübckes Bürgerversammlung genommen. Er habe das Video mit einer verkürzten Aussage Lübckes online gestellt, das danach rechte Hasspostings auslöste. Er habe Stephan E. mit zu Schießtrainings genommen und sei bei Ausspähungen in Istha dabei gewesen.

Und Markus H. sei auch mit auf der Terrasse von Walter Lübcke gewesen, so wie Stephan E. aussagte. H. sei vorne gekommen, Stephan E. von der Seite, die Männer hätten Lübcke bedroht, dann fiel der Schuss. Nur in dieser Konstellation seien die Schmauchspuren am Tatort zu erklären, sagt Kaplan. „Wir Verteidiger haben keinen Zweifel, dass Stephan E. die volle Wahrheit erzählt hat.“

Anwalt verneint niedere Beweggründe

Für Kaplan ist die Tat dennoch kein Mord. So fehle es am rechtlich nötigen Merkmal der Heimtücke. Zwar sei Lübcke wehrlos gewesen. Arglos überrumpelt aber wurde er nicht, weil er die Männer kommen sah. Und es fehle an niederen Beweggründen, da Stephan E. fälschlich davon ausging, im Sinne einer – asylfeindlichen – Allgemeinheit gehandelt zu haben. Dieser Glaube rühre daher, dass er sich zuvor in einer rein „rechtspopulistischen und rechtsextremen Blase“ bewegt habe.

Und sollte das Gericht doch von einem Mord ausgehen, komme zumindest eine besondere Schwere der Schuld nicht in Betracht, erklärt Kaplan. Weil die Tat, mit nur einem Schuss, nicht brutaler war als andere Morde.

Es sind gewagte Thesen. Die Bundesanwaltschaft jedenfalls hat keinen Zweifel, dass es ein Mord war: Die Tat sei lange geplant gewesen und habe mit dem Hass auf einen politischen Gegner ein niederes Motiv. Auch gehen die Ankläger davon aus, dass Stephan E.s erstes Geständnis stimmt und er sich allein auf die Terrasse schlich – also heimtückisch handelte. Ihre Forderung: lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Auch die Familie Lübcke zweifelt nicht, dass es ein Mord war. Sie aber glaubt, dass tatsächlich beide Angeklagten am Tatort waren – und fordert für beide die Höchststrafe.

„Alles getan, was er tun konnte“

Die will Verteidiger Kaplan gerade nicht. Er verweist darauf, dass Stephan E. die Tat bereue und die Familie um Verzeihung bat. Dass E. umfassend aussagte und so eine Anklage gegen Markus H. erst ermöglichte. Dass er sogar seine Verteidiger partiell von der Schweigepflicht entband. Dass er mithilfe eines Aussteigerprogramms den Rechtsextremismus hinter sich lassen wolle. „Wann hat es jemals etwas Vergleichbares in einem Staatsschutzverfahren gegeben?“, fragt Kaplan. „Alles was Herr E. hätte machen können, hat er gemacht. Mehr geht nicht.“

Kaplan bittet deshalb eindringlich um einen Strafrabatt für Stephan E. Überschwänglich lobt er dabei Richter Thomas Sagebiel: „Sie sind ein wunderbarer Vorsitzender.“ Und er erinnert Sagebiel daran, wie dieser zu Prozessbeginn an die Angeklagten appellierte, eine Aussage sei „Ihre beste Chance, vielleicht Ihre einzige Chance“. Dies müsse Sagebiel nun einlösen, so Kaplan. „Es braucht auch für andere ein Signal, dass es sich am Ende lohnt, auszusagen.“

Auch bei der Familie Lübcke, die im Saal sitzt, bedankt sich der Verteidiger. Für deren „exzellentes“ Plädoyer, in dem sie sich für die Glaubwürdigkeit von Stephan E. aussprach und 30 Indizien für die Mittäterschaft von Markus H. aufführte. Und dafür, dass die Familie ihn und Hardies im September 2020 zu sich auf die Terrasse ließen, um den Tatort anzuschauen. „Das war nicht selbstverständlich.“ Kaplan wendet sich zur Witwe: „Das zeigt, dass die Werte Ihres Mannes weiterleben.“ Am Ende verspricht er der Familie, dass Stephan E. auch nach dem Prozess ihre Fragen zur Tat beantworten werde. „Das gilt unbefristet und unwiderruflich.“

Die Verteidiger von Markus H., zwei Szeneanwälte, kritisieren darauf in einer Erklärung das „herzliche Einvernehmen“ des Täters mit den Opfern. Gemeinsam werde versucht, Markus H. an den Tatort zu dichten. Dies aber werde man im eigenen Plädoyer am Dienstag „widerlegen“. Markus H. selbst schweigt zu den Vorwürfen.

Welche Rolle Markus H. bei der Tat wirklich inne hatte, ist bis heute unklar. Schon im Oktober entließ ihn das Gericht aus der U-Haft, weil es die Aussagen von Stephan E. anzweifelte. Die Bundesanwaltschaft sieht nur die Beihilfe belegt und fordert neun Jahre und acht Monate Haft für ihn.

Freispruch für Messerangriff?

Stephan E. ist indes noch für eine zweite Tat angeklagt: für einen Messerangriff auf den Iraker Ahmed I. in Kassel, bereits am 6. Januar 2016. Hinterrücks soll er den Geflüchteten nahe dessen Unterkunft niedergestochen haben. Stephan E. bestreitet die Tat. Und die Verteidiger halten die Beweise für nicht belastbar. Die DNA an einem bei Stephan E. gefundenen Messer, die der von Ahmed I. ähnelt, könne auch von jemand anderes kommen. Und dass E. berichtete, er habe just am 6. Januar 2016 einen Migranten bedroht, meine einen anderen Vorgang.

Die Verteidiger werfen der Bundesanwaltschaft vor, hier eine Verurteilung auf Biegen und Brechen erzwingen zu wollen, um eine Sicherungsverwahrung zu ermöglichen. Kaplan fordert dagegen einen Freispruch. Damit sei auch keine Sicherungsverwahrung mehr möglich, da diese nur bei mehreren schweren Straftaten verhängt werden kann.

Ob es so kommt, wird nun das Gericht entscheiden. Am kommenden Donnerstag soll das Urteil fallen.

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