Arte-Film über NS-Kriegswirtschaft: Mörderische Ökonomie
Eine Doku auf Arte analysiert radikal nüchtern die NS-Kriegswirtschaft. Zynisch ist aber nicht der Film – zynisch waren die nazideutschen Eliten.
Auf einem Haufen übereinandergetürmte Fabrikgebäude, Schornsteine, ein Förderturm, ein Greifarm, eine Stoppuhr – und ein Industriekapitän, der anmutet wie die Hybridgestalt aus einer versehrten George-Grosz-Figur und einem Borg aus dem Star-Trek- Universum. Nur zur Erinnerung: Das waren die Cyborgs mit dem kollektiven Bewusstsein, die immer nur gesagt haben: „Widerstand ist zwecklos. Ihr werdet assimiliert.“
In den Doku-Formaten des Senders Arte spielt das grafische Erscheinungsbild seit jeher eine größere Rolle, als man das als deutscher Zuschauer gewohnt ist. Noch dazu ist die visuelle Aufbereitung regelmäßig viel origineller als die freudlosen Balken- und drögen Tortendiagramme von ARD und ZDF. Man denke nur an die rührigen zwölf Minuten „Karambolage“, in denen Claire Doutriaux allsonntäglich deutsch-französische Eigenheiten und Kuriositäten sehr liebevoll aufs Korn nimmt.
Nun also: „Die Nazis, die Arbeit und das Geld“. „Die deutsche Wirtschaft wird vom Weltmarkt abgekoppelt, um sie kriegsbereit zu machen“, lautet der Off-Kommentar zu dem eingangs beschriebenen Bild. Den ökonomischen Fokus kennt man etwa von Götz Aly, der schon vor rund zehn Jahren den blanken Sozialneid als mitursächlich für den Holocaust herausgearbeitet hat. Trotzdem ist diese Schwerpunktsetzung immer noch ungewohnt, gerade wenn sie so konsequent erfolgt wie in Gil Rabiers Film über die nazideutsche Kriegswirtschaft.
Im Stile der Montagen eines John Heartfield wird da ganz am Anfang ein Panzer animiert – und dazu aus der jedem Panzersoldaten ausgehändigten Bedienungsanleitung zitiert: „Für jede Granate, die du verschießt, hat dein Vater 100 Reichsmark Steuern bezahlt; hat deine Mutter eine Woche in der Fabrik gearbeitet; ist die Eisenbahn zehn Kilometer weit gefahren. Der Tiger kostet, mit allem drum und dran, 800.000 Reichsmark und 300.000 Arbeitsstunden. 30.000 Menschen müssen einen ganzen Wochenlohn geben; 6.000 Menschen eine ganze Woche lang schuften – damit du einen Tiger bekommst.“
NS und Geld
Rabiers anschließender Kommentar: „Die Mahnung zu wirtschaftlichem Einsatz wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Tatsache, dass die Umsetzung der NS-Ideologie vor allem eins kostet: Geld.“
Da findet also einer, dass der Nazismus in erster Linie nicht etwa Menschenleben kostete, sondern Moneten? Es bedarf schon einer gewissen Abgeklärtheit für die Spezifik dieses Blickwinkels.
Das zeigt sich auch bei den Talking Heads. Rabier lässt – scheinbar schön ausgewogen – Wissenschaftler aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland zu Wort kommen. Aber die Redeanteile der Französin (Marie-Benedicte Vincent, Université de Franche-Comté, Besançon) und des Deutschen (Frank Bajohr, Institut für Zeitgeschichte, Zentrum für Holocaust-Studien, München) sind dann vergleichsweise so gering, dass man annehmen muss, dass die betont trockenen Analysen des Amerikaners und des Briten für Rabiers Ansatz offenbar deutlich ergiebiger waren:
Adam Tooze (Columbia University, New York): „Die Militarisierung ist auch ein Prozess der kollektiven Modernisierung.“
Richard Overy (University of Exeter): „Zwischen 1940 und 1945 wurden 13 Millionen Nichtdeutsche ins Land gebracht, um dort zu arbeiten.“
„Die Nazis, die Arbeit und das Geld“, Dienstag, 20.15 Uhr, Arte
Tooze: „Alle wurden in den deutschen Industrieapparat eingesogen. Das heißt, 1944/45 war die ethnische Zusammensetzung einer großen deutschen Industriestadt so komplex wie heute. Und die Arbeiterschaft war sogar noch kosmopolitischer als sie es heute ist.“
Overy: „Der Produktivitätsanstieg der deutschen Kriegswirtschaft zwischen 1942 und 44 ist beeindruckend.“
Tooze: „Die Ermordung von sechs Millionen Menschen, von denen viele hochproduktive Arbeitskräfte waren, ist eine immense Verschwendung menschlichen Potenzials.“
Ja, hier werden Sätze gesagt, die für sich genommen zynisch klingen. Aber nicht Gil Rabiers Film ist zynisch – die Kriegswirtschaft der Nazis war es.
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